Bilanz der umstrittenen Märchenbuchaktion der Stiftung Lesen

Nicht alle haben sich gefreut

26. September 2019
von Börsenblatt
Die Aktion der Stiftung Lesen mit Amazon und 943 Buchhandlungen ist zu Ende. Eine Million Märchenbücher wurden am Weltkindertag in Rekordzeit verteilt. Die Bilanz.

Ab 6 Uhr morgens hat Amazon am 20. September Bestellungen für das Märchenbuch aus dem hauseigenen Verlag Tinte & Feder entgegengenommen, um 10 Uhr hieß es: alle ­Exemplare vergriffen. "Ich habe das Glück, eine gebundene Ausgabe zu bekommen. Ich freue mich sehr. Dass Leute bei einer Geschenkaktion einen Stern vergeben, als hätten sie ein Recht auf ein Exemplar, verstehe ich nicht. Undank ist der Welten Lohn", heißt es in einem Kommentar. 1.050 Leute haben kommentiert – die eine Hälfte ist begeistert, die andere ärgert sich, weil sie leer ausgegangen ist. Auf Ebay warten schon ein paar Amazon-Märchenbücher auf Käufer; 15,50 Euro werden geboten.

Die Märchenbuchaktion der Stiftung Lesen mit den Partnern Amazon, Thalia und Hugendubel hat im Vorfeld für Aufregung gesorgt. Erst in letzter Sekunde wurden die ­übrigen Buchhändler ins Boot geholt, konnten Märchenbücher ordern und wurden in die Liste der teilnehmenden Buchhandlungen aufgenommen, die bei Redaktionsschluss am Dienstag noch immer auf amazon.de zu finden war. ­Dabei waren die gedruckten der insgesamt eine Million Bücher da schon so gut wie überall weg.

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, nannte die Märchenbuchaktion einen "waschechten Affront für die vielen Menschen in der Branche, die tagtäglich und mit hohem persönlichem Engagement Lesen und Literatur vermitteln". Für viele Buchhändlerinnen und Buchhändler kam eine Teilnahme an der Märchenbuchaktion nicht infrage. Die Gründe dafür? Vielfältig. Nicht mit Amazon in einem Boot zu sitzen und dessen Datensammelwut zu unterstützen, war ein Grund. Oder dass man die Geschenke für seine Kunden selbst auswählen möchte. Viele wollten Leseförderung auch nicht missverstanden wissen als einmalige Verschenkaktion eines Buchs mit lesepädagogisch wenig wertvollem Inhalt.

Aber 933 Buchhandlungen beteiligten sich an der Aktion, darunter 243 Thalia- Filialen, 57 Buchhandlungen der Mayerschen und 74 Hugendubel-Buchhandlungen. Etwa 4.600 Buchhandlungen gibt es laut Börsenverein in Deutschland, das heißt etwa 20 Prozent aller Buchhandlungen waren dabei. Viele mit Freude, wie zum Beispiel ein Bericht aus dem Berliner Buchhandel gezeigt hat.

Mehr als 900.000 Märchenbücher, physisch wie elektronisch, dürfte der Internetgigant an seine eigenen Kunden verteilt haben – wenn man annimmt, dass jede der 559 unabhängigen Buchhandlungen, die sich an der Aktion beteiligt haben, im Durchschnitt 50 Bücher geordert hat. Der Aktionspartner Thalia / Mayersche gibt die in seinen Läden verteilte Gesamtmenge mit 35.000 Exemplaren an, Hugendubel spricht von 17.000 verteilten Märchenbüchern.

Und im nächsten Jahr? Amazon scheint sich in der Rolle des Leseförderers zu gefallen. Pedro ­Huerta, Country Manager Books Deutschland: "Wir sind überwältigt von der Reaktion der Leser auf die Aktion. Wir möchten uns langfristig und nachhaltig in der Leseförderung engagieren und werden die Aktion nun erst einmal in Ruhe auswerten und dann entscheiden, wie dieses Engagement im kommenden Jahr aussehen könnte."

Buchhändlerinnenstimmen

Conny Prinz, Buchhandlung Markus Idstein, Oestrich-Winkel

"Wir haben nicht teilgenommen, und das ohne Bauchschmerzen. Unsere Kund*innen haben nicht einmal nach dem Buch gefragt. Einzig auf unserer Facebook-Seite war die Aktion mal kurz Thema. Ich habe dazu Stellung genommen – und Lob dafür erhalten, dass wir bei dieser Verteilaktion nicht mitgemacht haben!"

Karin Hoffmann, Bücherkabinett Hoffmann, Mannheim

"Mein Fazit: Ich würde es wieder tun. Es war ein voller Erfolg. 95 Prozent der Menschen, die ein Märchenbuch mitgenommen haben, haben noch andere Kinderbücher gekauft. Viele waren zum ersten Mal in meiner Buchhandlung und wollen wiederkommen."

Martina Tittel, Nicolaische Buchhandlung, Berlin-Friedenau

"Wenn wir die Möglichkeit bekommen, Bücher an Kinder zu verschenken, um für das Lesen und das Buch zu werben, nehmen wir sie wahr. 40 Märchenbücher haben wir geordert und gezielt an Familien mit Kindern und an Kinder direkt verschenkt."

Nicole Jünger, Der Buchladen am Neuen Markt, Meckenheim

"Wir hatten die Bücher nicht. Den drei Leuten, die sie bei mir haben wollten, habe ich erklärt, dass es sich um ein Werbegeschenk von Amazon handelt und wo sie es in der Umgebung vielleicht noch bekommen können. Bei uns gibt es Ostern und Weihnachten etwas Selbstgemachtes, das kann ich gut vertreten."

Doris Müller-Höreth, Buchhandlung Pelzner, Nürnberg

"Wir haben aus Prinzip nicht mitgemacht, und ich habe im Vorfeld in der sehr kontroversen Diskussion bezüglich Amazon und Stiftung Lesen Stellung bezogen. Meiner Meinung nach hätte der Börsenverein als Konsequenz die Stiftung Lesen verlassen sollen, genau so wie der Beltz Verlag das gemacht hat."

Sabine Friemond-Kund, Buchhandlung Lesezeit, Voerde

"Ich hatte 60 Exemplare. Es sind alle weg. Kurzentschlossen habe ich über Facebook eine Märchenstunde gepostet. Es war ein super Nachmittag, die Eltern haben die Kasse klingeln lassen. Natürlich werden wir manche, die sich gefreut haben, nie wieder­sehen. Aber vielleicht doch."

Aktionszahlen
  • "Es war einmal" ist im Amazon-Verlag Tinte & Feder erschienen und enthält auf 220 Seiten elf bekannte Märchen der Brüder Grimm und fünf neu geschriebene Märchen von Poppy J. Anderson, Iny Lorentz und anderen. Partner der Aktion sind die Stiftung Lesen, Amazon, Thalia / Mayersche und Hugendubel.
  • Insgesamt wurden eine Million Märchenbücher verschenkt; Amazon lässt offen, wieviele davon gebundene Exemplare waren. 17.000 Exemplare hat Hugendubel verteilt, 35.000 Märchenbücher wurden von den Partnern Thalia und Mayersche ausgegeben. Aktionszeitraum war der Weltkindertag am 20. September.
  • E-Books und Hörbücher des Märchenbuchs sind bei Amazon und Audible noch bis zum 20. Oktober erhältlich, ohne Limitierung.
  • 933 Buchhandlungen haben sich an der Aktion beteiligt, 559 unabhängige Buchhandlungen, 74 Buchhandlungen des Partners Hugendubel, 57 Läden der Mayerschen und 243 Thalia-Filialen.