3. Zukunftstag von LG Buch, MDG und Umbreit

Das Einmaleins der Konsumforschung

3. März 2015
von Börsenblatt
Warum kaufen Menschen, und warum nicht? Die rund 70 Teilnehmer des Zukunftstags von LG Buch, MDG und Umbreit hatten eine harte Nuss zu knacken – eine, die, wie am Montag klar wurde, selbst die Wissenschaft immer wieder vor eine Probe stellt: Andrea Gröppel-Klein nahm sie mit auf einen Ausflug durch die weite Welt der Konsumforschung.

Die Wege der Kunden sind unergründlich. Heute kaufen sie dies, morgen jenes – und wieder ein anderes Mal gehen sie bloß achtlos an den aufwändig dekorierten Auslagen vorüber. So oder so: Der Sache ist in der Praxis oft nur schwer beizukommen.

Andrea Gröppel-Klein kennt solche Situationen zur Genüge, aus eigener Anschauung und aus Forschersicht: Sie leitet das Institut für Konsum- und Verhaltensforschung (an der Saar-Uni und beschäftigt sich seit Jahren mit nichts anderem als der Frage, was Menschen wann, wie und warum einkaufen. Dabei stößt sie vor zu den Befindlichkeiten der Kunden, ihren ureigenen Bedürfnissen nach Akzeptanz, Selbstachtung und Selbstschutz. Den rund 70 Buchhändlern, die sie beim Zukunftstag von LG Buch, MDG und Umbreit (Thema: "Von Bewusstem und Unbewussten beim Einkaufen“) vor sich hatte, präsentierte sie den Stand der Forschung. Sie ließ die Buchhändler teilhaben an ihren Erkenntnissen, lüftete manchen Werbetrick, lieferte Beispiele. Zum Beispiel: 

    • Für Kaufentscheidungen gilt kein einfaches Ursache-Wirkung-Prinzip, Menschen verhalten sich nicht wie Pawlowsche Hunde. Eines konnte die Forschung laut Gröppel-Klein aber zeigen: Dass bei jeder Kaufentscheidung – ob es nun um einen Porsche geht oder um ein Buch – im Hirn das Belohnungszentrum aktiviert werden muss. Das Aber: „Konsumenten stumpfen nach einer gewissen Zeit ab.“

  • Emotionen und Kognitionen lassen sich nicht trennen. Beispiel: Autohersteller, die auf  Plakaten eine junge, gutaussehende Frau neben das zu bewerbende Fahrzeug stellen, tun das in dem Wissen, dass Gefühle die Wahrnehmung steuern – die Attraktivität und Ausstrahlung der Frau quasi automatisch auf das Produkt abfärben. Gröppel-Klein: „Unbewusst spielt der Kontext immer eine Rolle.“

    • Wenn Menschen einkaufen gehen, wissen sie in der Regel vorher, wie viel Geld sie ausgeben wollen – und wie lange sie sich zum Einkaufen Zeit geben. Es geht also nie nur ums Geld, sondern auch um ein Zeitbudget. Die Folge: Mangelt es im Laden an Orientierung, finden sich Kunden nicht zurecht, weil sogenannte kognitive Anker fehlen (Erkennungszeichen, u.a. Fotos und Schilder; Bildschirme/ Bewegtbild), ziehen sie unverrichteter Dinge wieder von dannen. „Keiner mag gern lange suchen“, sagt Gröppel-Klein. „Orientierung ist im stationären Handel auch deshalb so wichtig geworden, weil sich im Web mittlerweile sehr schnell etwas finden lässt.“ Generell sei es so: Wer schneller findet, was er sucht, gibt mehr Geld aus – weil er noch Zeit zum Stöbern hat.  

  • Laufwege: Konsumenten orientieren sich in einem Laden immer eher zur Wand hin, nehmen deshalb auch eher Produkte wahr, die auf der linken Seite des Ganges stehen. Folgen sie auf ihrem Weg durch den Laden dem Uhrzeigersinn, können sie sich besser und schneller zurechtfinden. Gröppel-Klein: „Kreatives Chaos empfinden Kunden als unangenehm.“ 
    • Orientierung ist Pflicht – Emotionen sind die Kür. Oder anders gesagt: Ohne die Motoren im Belohnungszentrum in Gang zu bringen, läuft wenig; die Bereitschaft zum Geldausgeben sinkt. Welche Reize das Belohnungszentrum brummen lassen: Kontraste aller Art, Licht,  Farben, Thementische, Fotos, Grünpflanzen, überraschende Deko, Produkte mit Witz,    besondere Möbel – und eine Fantasie anregende Innenarchitektur. Für letzteres hatte Gröppel-Klein auch einen Beleg dabei: ein Foto von einer Buchhandlung, deren Torbogen mit Büchern eingefasst ist (gesehen in Los Angeles). "Machen Sie es wie die Werbeindustrie", empfahl Gröppelin-Klein. "Erzählen Sie Geschichten und werden sie dadurch unverwechselbar." 

    • Die Kommunikation mit Kunden ist ein Feld voller Fettnäpfchen – vor allem, wenn Verkäufer dazu neigen, ihre Kunden herablassend anstatt wertschätzend zu behandeln (nach dem Motto: „Hat es uns geschmeckt?“). Das habe fatale Folgen, betonte Gröppel-Klein. Kunden beurteilten die Kompetenz des Verkäufers automatisch niedriger und reagierten auch unzufriedener. Der Fachbegriff dafür lautet: patronisierende Kommunikation.

    • Apropos Abstumpfung. Aus Sicht der Forschung treibt Menschen ein unbewusster Wunsch nach Abwechslung – was Händler vor neue Schwierigkeiten stellt: „Man muss viel häufiger umgestalten als noch vor zehn oder 20 Jahren“, so Gröppelin-Klein.

Gewonnen hat die Konsumforschung ihre Erkenntnisse vor allem im Versorgungshandel - nicht im Erlebnis-, sprich Buchhandel. Das enttäuschte manche Teilnehmer des Zukunftstags, lässt sich aber wohl erklären: Der Buchhandel ist, wie andere kleinteilig strukturierte Branchen auch, nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Entsprechend rar sind die Studien, und entsprechend ungewiss ist es zudem, ob und inwiefern sich die Erkenntnisse in den Alltag im Buchhandel übertragen lassen.

Dass sich die Teilnehmer am Nachmittag dennoch daran machten, eine Art To-do-Liste für die nächsten Wochen zu verfassen, lag wohl an der Eingängigkeit der wissenschaftlichen Argumente – und an dem Schwung, mit dem sie von Gröppel-Klein vorgetragen wurden.

„Natürlich war vieles nicht neu“, bekannte Michael Fürtjes, geschäftsführender Vorstand der LG Buch, am Ende der Tagung, und deutete das zugleich als positives Zeichen. „Das Rad wird nicht neu erfunden“, erklärte er, vieles mache der Buchhandel ohnehin längst richtig. Es sei gut, sich das, auch gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse, noch einmal bewusst zu machen. „Und genau dafür war der Zukunftstag da.“ (Der zweite Schwerpunkt, das Thema visuelles Marketing, mussten die Organisatoren auf ein andermal verschieben – weil der zweite Referent krankheitsbedingt kurzfristig ausfiel.)

Welche Ideen, Pläne und Ziele die Buchhändler am Ende auf dem Zettel hatten:

  • Die Buchhandlung als Ort der Kommunikation stärken, etwa indem Lesekreise eingeladen werden, Veranstaltungen zu organisieren oder Kunden die Gelegenheit erhalten, ihre eigenen Lieblingsbücher vorzustellen.
  • Für eine Titel-Rotation im Laden sorgen, Präsentationen häufiger wechseln.
  • Darüber nachdenken, wie sich Platzierungen vermarkten lassen (nach dem Vorbild der Lebensmittelbranche). 
  • Kooperation mit anderen Händlern suchen.
  • Im Laden wert auf Klarheit und Ordnung legen, das Leitsystem und die Wegweiser prüfen. Außerdem:  Feste Plätze für Ankerwaren bestimmen.
  • Überraschungen bieten – zum Beispiel in Form einer Bibliothek der verschollenen Bücher (= Bücher, die in Vergessenheit geraten sind).
  • Besser planen.

Für LG Buch, MDG und Umbreit war es bereits der dritte Zukunftstag; zum ersten Mal wurde die Veranstaltung 2013 organisiert - in der Zentrale von Umbreit in Bietigheim-Bissingen.