So funktioniert agiles Management

Wir alle sind Helden

1. Dezember 2016
von Börsenblatt
Lean Management und agile Arbeitsmethoden werden im Wirtschaftsbuchsegment aktuellhoch gehandelt. Dabei sind die vermittelten Prinzipien gar nicht neu, sie passen nur perfekt in die heutige Zeit.

Geschäftsführer, Abteilungsleiter und Projektmanager tragen in letzter Zeit ein paar Wörter besonders gern auf den Lippen: Scrum, Kanban, PDCA (Plan-Do-Check-Act), Design Thinking, Sprint – und immer wieder: lean und agile. Die mitunter klingonisch anmutenden Begriffe sind Ausdruck einer modernen Arbeitswelt, wie sie in immer mehr Unternehmen Einzug hält. Agile Unternehmensführung und »leane«, also schlanke Produktionsprozesse, gelten als Schlüssel für künftigen Erfolg. Von manchen Unternehmen und Branchen werden sie sogar als notwendige  Voraussetzung gesehen, um zu überleben.

Es gibt verschiedene Schulen und Methoden. Der Autobauer Toyota zum Beispiel hat schon in den 70er Jahren niedergeschrieben, wie er seine Produktion so effizient gestaltet, dass nur die wesentlichsten Elemente zur Wertschöpfung beitragen. Agile Arbeitsweisen wiederum wurden erstmals von IT-Firmen und Softwareentwicklern angewandt: Statt stur monatelange Projektphasen zu durchlaufen, werden in kleineren Etappen Ergebnisse veröffentlicht und an die Realität – meist definiert durch die Kundenbedürfnisse – angepasst. In agilen Unternehmen arbeiten Abteilungen und Teams selbstorganisiert, es gibt wenige Vorgaben oder Hierarchien, allein das Ergebnis zählt.

Mittlerweile sind Agilität und schlanke Abläufe auch in anderen Branchen gefragt, nicht nur in IT-Firmen – und Verlage profitieren davon: Sie bewegen sich im Bücherherbst 2016 besonders agil, ­allein Hanser hat vier neue Titel im Programm. "Bei den Wirtschaftsbüchern ist Agilität derzeit das Trend-Thema Nummer 1", sagt Lektorin Lisa Hoffmann-Bäuml. Obwohl es manche Methoden und Prinzipien schon lange gebe, hätten viele Menschen noch immer keine genaue Vorstellung davon. Hoffmann-Bäuml geht davon aus, die meist vierstelligen Auflagen rasch abzuverkaufen, bevor nach zwei Jahren in der Regel die Neuauflagen kommen. Zwei der vier Herbsttitel:

  • "Digital vernetzt. Transformation der Wertschöpfung" (Hanser, 432 S., 50 Euro), herausgegeben von Hans H. Jung und Patricia Kraft, liefert einen umfassenden theoretischen Unterbau für den von Technologie getriebenen Wandel in allen Bereichen eines Unternehmens, von den Führungsstilen (Leadership 4.0) bis hin zu den Erwartungen smarter Kunden von heute. Angereichert wird das Buch mit zahlreichen Erfolgsmodellen digitaler Transformation aus diversen Branchen wie Medien-, Pharma- oder Automobilindustrie.
  • Mehr um Führungsmethoden geht es in Thomas Breyer-Mayländers Buch "Management 4.0. Den digitalen Wandel erfolgreich meistern" (Hanser, 408 S., 36 Euro). So erfährt der Leser etwa, dass Führungs- und Strategieprozesse heute "digitale Weisheit" erfordern und dass unterschiedliche Mitarbeitergenerationen unterschiedlich geführt werden müssen. Bei der Generation Y, der Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen, greifen überholte Managementstile nicht mehr. Netzstrukturen und kollegial-selbst-organisierte Führung gelten als Königsweg der Stunde.

Man dürfe aber nicht den Fehler machen, agile Unternehmensführung nur mit dem Abbau von Hierarchien und ­Regeln gleichzusetzen, sagt Michael Leitl, ­Redakteur beim "Harvard Business ­Manager", der schon häufig über dieses Thema geschrieben hat. Führungsrollen und -aufgaben werden nur anders strukturiert und sind oft zeitlich begrenzt. Das bietet jedem Einzelnen die Chance, in eine solche Position hineinzuschlüpfen, birgt aber auch große Verantwortung. "Nicht jeder Mensch und nicht jede Firma sind für diese Freiheit geschaffen", weiß Leitl. Daher scheiterten manche auch an der Umstellung zu einer agilen Arbeitsweise.

Es muss ja nicht immer gleich das große Ganze sein. Am liebsten experimentieren Unternehmen mit neuen Organisationsformen auf Abteilungs­ebene, wie zum Beispiel der Onlinehändler Zalando, der sein Technologie-Team mit europaweit rund 1.300 Mit­arbeitern agil aufgestellt hat.

Eher ungewöhnlich ist, dass ein Unternehmen über seine Ansätze und Erfahrungen in einem selbst verlegten Buch Auskunft gibt. In "24 Work Hacks" (56 S., 24,95 Euro) beschreiben Tim Mois und Corinna Baldauf vom Düsseldorfer Telefonieanbieter Sipgate, was mit ihrer Firma passiert ist, als sie "mit Agile und Lean Ernst machten". Zu ihren großformatig bebilderten "Work Hacks" – Untertitel "... auf die wir gerne früher gekommen wären" – zählen Open-Friday-Runden in der Cafeteria und Peer Recruiting: "Bei uns stellt nicht der Chef ein, sondern die Kollegen."

Diesem Prinzip haben sich auch Bernd Oestereich und Claudia Schröder verschrieben, mit ihrem Buch "Das kollegial geführte ­Unternehmen. Ideen und Praktiken für die agile Organisation von morgen" (Vahlen, 320 S., 34,90 Euro). Ihr Credo für die "soziale Architektur moderner Organisationsführung" lautet: "Führungsarbeit statt Führungskräfte". Und zwar in allen Angelegenheiten des Joballtags: Von der Arbeitszeit über Zeugnisse und Gehaltserhöhungen bis hin zu Abmahnungen und Kündigungen.

Grundlage ist die Erkenntnis, dass die Beurteilungs- und Steuerungsfähigkeiten von Vorgesetzten im Zeitalter der Wissensarbeit nicht mehr zwingend aus­reichen, sondern je nach Situation auf andere übertragen werden müssen.

Die Arbeitswelt verändert sich gerade rasant. Man könnte es vergleichen mit dem "Sprint", den Jake Knapp, John Zeratsky und Braden Kowitz in ihrem gleichnamigen Buch beschreiben (Redline, 256 S., 19,99 Euro). In jeweils nur fünf Tagen testen sie neue Ideen und lösen Probleme – früher für ihren Arbeitgeber Google, jetzt auch im Auftrag anderer Unternehmen. Die Technik hilft dabei, in kürzester Zeit erfolgsentscheidende Mängel eines Produkts oder einer Idee zu definieren und die Zukunft auf dem Markt quasi vorwegzunehmen. Das sei besser und effektiver als in endlosen ­E-Mail-Fluten und zeitfressenden Meetings zu ertrinken und erst nach Monaten festzustellen, dass man sich auf dem falschen Weg befindet.

Wolfgang Zimmermann, seit vielen Jahren als Berater unterwegs, kennt viele solcher falschen Wege – aus der alten, nicht-agilen Welt. Er weiß, wie es läuft  mit den Seilschaften und Alphatieren. Und er plädiert deshalb für eine Wende, für ein Ende der alten Ordnung und des Hierarchiedenkens: In seinem neuen und sehr persönlich geschriebenen Buch "Umbruch in der Chefetage. Vom Heldentum zur agilen Führung" (Haufe, 224 S., 29,95 Euro) berichtet er von seinen Erfahrungen – und schwärmt von seinen Kontakten mit Start-ups. Hier entstehe eine Dynamik, von der hierarchisch organisierte Konzerne nur träumen könnten, Mit Herrschaftslogik geht das nicht zusammen.