Buchtage Berlin

Image, Orientierung, KNV: Was die Fachgruppen beschäftigt

19. Juni 2019
von Börsenblatt
Nach einem langen Kongresstag gingen die Diskussionen weiter: Verleger, Buchhändler und Zwischenbuchhändler haben sich am Dienstagabend in Berlin zu den Fachgruppenversammlungen des Börsenvereins getroffen. Zentrales Thema: Die Arbeit der beiden Taskforces "Image" und "Orientierung", die derzeit Branchenlösungen entwickeln, um wieder mehr Menschen für Bücher zu begeistern. Und auch Tobias Wahl, Insolvenzverwalter von KNV, schaute vorbei.

Die Sitzungsrunde begann mit einem Treffen aller drei Fachgruppen - schließlich ging es um ein Thema, das alle gleichermaßen betrifft: Insolvenzverwalter Tobias Wahl gab ein Update zum Insolvenzverfahren von KNV. Das Fazit vorweg: alles läuft nach Plan. Und nein: Den neuen Investor hat er noch nicht verraten. Aber die Entscheidung soll bis Monatsende fallen.

Im Detail:

  • 98 Prozent der Verlage beliefern das Barsortiment der KNV-Gruppe wieder
  • mit den Schulbuchverlagen wurden entsprechende Vereinbarungen für das Schulbuchgeschäft im Sommer getroffen
  • bis zum Jahresende ist die KNV-Gruppe "durchfinanziert"
  • die Verbindlichkeiten der Verlage konnten von 45 Millionen Euro auf 36 Millionen Euro abgebaut werden (dank Eigentumsvorbehalt)
  • die KNV Verlagsauslieferung läuft ebenso wie die Logistik stabil
  • erste Restrukturierungsmaßnahmen (Trennung von 54 eigenen Fahrern) sind abgeschlossen

Die nächsten wichtigen Termine: 

  • 18. Juli: Frist für die Anmeldung der Forderungen für die Insolvenztabelle
  • 25. Juli: erste Gläubigerversammlung.

Noch vorher soll aber der neue Eigentümer von KNV bekanntgegeben werden können. Der Bieterprozess "läuft auf Hochtouren, wir sind dabei in die Zielgerade einzubiegen", sagte Wahl. Noch im Juni sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden. Es werde mit mehreren Interessenten verhandelt, die alle das gesamte Unternehmen übernehmen wollen, so Wahl.

Quo vadis, Buchkäuferstudie?

Vor einem Jahr hatte Jana Lippmann, Leiterin Stabsbereich Marktforschung im Börsenverein, die Studie "Buchkäufer – quo vadis?" vorgestellt, derzufolge die Branche innerhalb von fünf Jahren sechs Millionen Buchkäufer verloren hat. Zwar ist die Zahl der Buchkäufer 2018 wieder um 300.000 Menschen gestiegen, doch "noch ist nicht die Zeit gekommen, die große Trendwende auszurufen", so Lippmann in einer kleinen Geburtstagspräsentation auf der gemeinsamen Fachgruppensitzung.

Im Kampf um die Buchleser seien diverse Konzepte entwickelt worden, berichtete Lippmann - wie zum Beispiel neue Handelskonzepte bei Thalia und Hugendubel und Veranstaltungsformate wie Yoga oder Modenschauen in der Buchhandlung. Zwei Taskforces beim Börsenverein arbeiten außerdem intensiv an den beiden Themenfeldern Orientierung und Image, bei denen die Buchkäufer-Studie Handlungsbedarf aufgezeigt hat. Die Stichwörter dafür lieferte bei den Buchtagen Berlin der Diplom-Psychologe Hans-Georg Häusel im Kongressprogramm: Es gehe um Inspirationsshopping und die Reduktion von Komplexität. 

Für die Task Force Orientierung stellte die Beraterin Stefanie Lange in der gemeinsamen Sitzung der Fachgruppen erste Ergebnisse vor. Die wichtigste Erkenntnis: Künftig soll vom Käufer zum System, und nicht vom System zum Käufer gedacht werden. Entwickelt werden soll nicht weniger als ein Standard für eine Branchenlösung, die die Customer Journey auf allen Handelsstufen und über alle Warengruppen hinweg in den Mittelpunkt stellt – unter Einbeziehung der bestehenden technischen Systeme und Standards wie VLB, VLB-TIX und Thema. Die Plattform Netflix funktioniere für die Nutzer aufgrund ihres Empfehlungsmarketings, sagte Lange. 

In einem ersten Teilprojekt will die Task Force nun Bedürfniskategorien der Leser definieren. Dafür soll dem Börsenvereinsvorstand, der kommende Woche tagt, die Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Gruppe Nymphenburg vorgeschlagen werden.

Wird die Kampagne "Jetzt ein Buch!" neu ausgerichtet?

Die Konsequenzen aus der Studie "Buchkäufer – quo vadis?", die vorher schon die gemeinsame Fachgruppenversammlung beschäftigt hatte, wurden in der Fachgruppenversammlung Sortiment weiterdiskutiert: Anne-Mette Noack, beim Börsenverein Leiterin Kulturprojekte, Marketing, Kommunikation, berichtete vom Stand der Pläne, das Image für Bücher zu stärken – und dafür die bestehende Kampagne "Jetzt ein Buch!" neu auszurichten.

Die entsprechende Taskforce beim Börsenverein hat bereits Agenturideen eingesammelt und sich für eines der drei eingereichten Konzepte begeistern können. "Das Buch hat ja eigentlich ein tolles Image", so Noack: "Was die Menschen derzeit nicht haben, ist Zeit, um sich auf Bücher einzulassen." Genau darauf ziele das Kampagnenkonzept ab, mit Alltagssituationen und einem Augenzwinkern.

Ende Juni wird sich der Vorstand des Börsenvereins mit der Imagekampagne beschäftigen und entscheiden, ob "Jetzt ein Buch!" mit diesen Ideen revitalisiert wird. Der optische Auftritt der aktuellen "Buch an Bord"-Aktion (mehr dazu hier) vermittle eine kleine Ahnung davon, wo die Reise hingehen könne, so Anne-Mette Noack. Oberstes Ziel aller Aktionen müsse es sein, die Kunden in die Buchhandlungen zu lotsen.

VLB-TIX, hohe Remissionsquoten, Ökologie im Buchhandel: Die Sortimenter arbeiteten in ihrer Fachgruppenversammlung noch viele weitere Themen ab – mit einem Format, das ein bisschen an das "Aktuelle Sportstudio" erinnerte.

Die Berliner Buchhändlerin Christiane Schulz-Rother (Tegeler Bücherstube, Berlin) moderierte als Vorsitzende des Sortimenter-Ausschusses die Runde, "Paten", die sich im 2018 neu gewählten Ausschuss um bestimmte Themen kümmern, stellten den Stand ihrer Projekte vor.

Wo bleibt die körperlose Remission?

Dazu gehört das große Thema Rationalisierung, von der körperlosen Remission über Bestellbündelung bis zu elektronischen Abrechnungsprozessen: "Sagen wir so: Der Weg bis zur Weltspitze ist noch lang", blieb Michael Kursiefen (Schweitzer Fachinformationen) im Sportstudio-Jargon. Er kümmert nicht nur im SoA um das weite Feld der Prozessoptimierung, sondern auch als Sprecher der IG PRO im Börsenverein (Prozesse, Rationalisierung und Organisation).

Kursiefen verwies darauf, dass es zum Prozedere bei Remissionen schon seit Jahren zwei umfassende Papiere mit Handlungsempfehlungen der IG PRO gebe: "Aber vielleicht müssen wir in die Bütt steigen, um mit den Verlagen ganz konkret über die körperlose Remission reden." Denn in den Verlagshäusern gebe es noch große Vorbehalte. Grundsätzlich, da waren sich die Sortimenter einig, gewinnt die körperlose Remission auch vor dem Hintergrund der Klimadebatte an Relevanz.

Wie wird die Buchbranche nachhaltiger?

Das gilt für den gesamten Komplex Nachhaltigkeit, den der Chemnitzer Buchhändler Klaus Kowalke (Lessing & Companie) im SoA begleitet. "Die Schutzfolie für Bücher ist dabei nur ein Baustein – erhöht aber gleichzeitig wiederum die Gefahr von Remissionen", beschrieb Kowalke das Dilemma.

Die IG PRO hat derzeit den Arbeitsauftrag, nachhaltige Konzepte für die Branche zu analysieren. Am Ende soll im Idealfall ein Branchenpapier mit Handlungsempfehlungen für einen ökologischen Buchmarkt stehen, unterstützt und getragen von allen drei Sparten.

Wie entwickelt sich VLB-TIX? 

Dauergast auf der Tagesordnung der Sortimenter ist VLB-TIX. Das digitale Vorschausystem polarisiere, so Christiane Schulz-Rother: "Die einen finden es toll, die anderen lehnen es ab." Der Hanauer Buchhändler Dieter Dausien (Buchladen am Freiheitsplatz) machte deutlich, dass sich VLB-TIX vom Entwicklungsstadium längst verabschiedet habe: "Es ist mittlerweile ein vollentwickeltes Tool – aber natürlich bleibt noch einiges zu tun."

Eine Agentur analysiert derzeit im Auftrag der MVB (als Betreiber von VLB-TIX) das Nutzerverhalten, Ziel sei es, die "Usability weiter zu verbessern", so Dausien. Wünsche aus dem Publikum folgten prompt. Beispielsweise vermissen Sortimenter nach wie vor viele kleinere Verlage auf VLB-TIX. Einige regten einen Button an, mit dem gedruckte Vorschauen im Zuge der VLB-TIX-Nutzung abbestellt werden können – was bei den Verlagen allerdings auf eher wenig Gegenliebe stößt. Fazit von Christiane Schulz-Rother: "Wir werden die MVB wohlwollend, aber kritisch bei der Weiterentwicklung begleiten."

Wie lässt sich auf Urheberrechtsthemen schneller regieren?

Zwei Rechtsthemen, die die Verlagswelt sehr lange beschäftigt haben, standen bei der Fachgruppenversammlung der Verlage jetzt noch einmal auf der Agenda: der im Mai verabschiedete Übersetzernormvertrag und die Zustimmung zur EU-Copyright-Reform im März. Der gemeinsame Vertrag mit den Autoren sei besonders deshalb bedeutsam, "um in Allianz mit unseren Autoren und Übersetzern auftreten zu können", sagte Peter Kraus vom Cleff, Rowohlt. In Sachen EU-Richtlinie und Verlegerbeteiligung müsse noch viel Überzeugungsarbeit gegenüber der Politik und den Autoren geleistet werden, sagte er. 

Über die Neustrukturierung des Urheberverlagsrechtsausschuss (UVA) berichtete Nadja Kneissler, Delius Klasing: Künftig soll es eine Kerngruppe aus drei Verlegern und zwei Juristen geben, die sich kontinuierlich mit dem Thema Urheber- und Verlagsrecht befasst. Ziele und Aufgaben:

  • hohe Reaktionsgeschwindigkeit des Börsenvereins bei urheberrechtlichen Themen sicherstellen, zum Beispiel im Falle von Meinungsverschiedenheiten bei Stellungnahmen
  • dem Börsenverein beim Thema nach außen ein ehrenamtliches Gesicht zu geben, insbesondere bei Anhörungen, Politikergesprächen

Die Erstbesetzung der UVA-Kerngruppe besteht aus

  • Nadja Kneissler,
  • Barbara Budrich (Verlag Barbara Budrich),
  • Jürgen Hogrefe (Hogrefe-Verlag),
  • Wolf von Bernuth (externer Justiziar des Verbands für Bildungsmedien)
  • Rainer Dresen

Der bisherige UVA soll beibehalten werden.

Die Zwischenbuchhändler diskutieren auf den Buchtagen traditionell die Ergebnisse der aktuellen Logistikumfrage. Eine Zahl aus der Untersuchung: 54 Prozent aller Bestellpositionen, die bei den Verlagsauslieferungen eingehen, beziehen sich auf ein einziges Exemplar. Effizienz geht anders. Kernzahlen aus der Studie finden Sie im aktuellen Börsenblatt, Ausgabe 25 und am Mittwochvormittag online auf boersenblatt.net.