Feria del Libro in Havanna - Buchmesse hinter Gittern

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Sonne strahlte vom Himmel, der Atlantik rauschte gegen die Mauern des Malecon in Havanna, auf Hochglanz polierte Straßenkreuzer fuhren die Uferstraße entlang, hier und da plätscherte wunderbare Musik, der Duft bester Zigarren stieg in die Nase und massenhaft strömten die Menschen in die Festung San Carlos de la Cabaña, um die Feria del Libro de la Habana zu besuchen.
Angenehm kühl ist es in dem alten Gemäuer, das die Spanier im 18. Jahrhundert erbauten. Hier saß der Volksheld José Martí im Knast, hier richtete Ernesto „Che“ Guevara seine Kommandantur ein – den symbolischträchtigen Hintergrund für seine Arbeit erkannte der asthmatische Revolutionär aus Argentinien seinerzeit mit traumwandlerischer Sicherheit.

Hier also fand sie statt, die Buchmesse von Havanna, die am 22. Februar zu Ende ging. In diesem Jahr waren 185 Aussteller aus 43 Ländern dabei, der größte Teil davon aus Lateinamerika. Die Aussteller, darunter auch ein deutscher Gemeinschaftsstand, den die Frankfurter Buchmesse organisiert hatte, zeigten und verkauften ihre Bücher an überaus lesehungrige und überaus gebildete Menschen, die schon in den Tagen vor der Messe massenhaft die pünktlich zum Auftakt in die Buchhandlungen gelieferten neuen Titel aus kubanischer Produktion gekauft hatten und nach weiterem Lesbaren lechzten.

„Ein heiteres Volksfest der Literatur“ wurde da gefeiert, 50 Jahre nach der kubanischen Revolution, schreibt „Neues Deutschland“.

Es war eine Pracht. Es war eine Freude.

Es war eine Buchmesse im Gefängnis.

Denn kein anderes Land in der westlichen Hemisphäre unterdrückt in ähnlich brutaler Weise die Meinungs- und Pressefreiheit. Jeder, der auch nur im Verdacht steht, sich für die Durchsetzung der Menschenrechte zu engagieren, wird zum Ziel von Verfolgung und Unterdrückung. Das ist sogar juristisch einwandfrei: Kuba bekennt sich zwar zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, aber seine Verfassung stellt den Erhalt der  kommunistischen Strukturen über das Völkerrecht.

Natürlich hält die kubanische Regierung das Monopol in allen Bereichen des Publikationswesens, vom Buch über Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen bis zum Internet. Dabei setzt Kuba übrigens ganz auf die Hilfe der einzig wahren Brüder im Geiste: China liefert die  Störtechnik, mit der unliebsame Radiosender ausgeknockt werden. Und China liefert auch die Überwachungssoftware, mit der die freie Nutzung des Internets verhindert wird und mit der unliebsame Bürger, die im Internet ihre Meinung kund tun - Cyberdissidenten – aufgespürt werden.

Kuba-Fans weisen gerne darauf hin, dass das Land ein vorbildliches Gesundheitssystem aufgebaut hat und seinen Bürgern eine erstklassige Bildung garantiert. Dass die üble wirtschaftliche Lage durch den seit fast 50 Jahren anhaltenden Boykott der USA verursacht wurde und wird. Dass in weiten Teilen Lateinamerikas Kuba als Beispiel für Beharren auf Eigenständigkeit gegenüber dem großen Hegemon viel Sympathie genießt, Fidel Castro zuweilen geradezu kultische Verehrung zuteil wird. Und dass gleich nebenan, auf dem US-Stützpunkt Guantanamo, die westliche Weltmacht ein skandalöses Straflagersystem unterhält, in dem auch vor Folter nicht zurückgeschreckt wird.

Das alles ist zugestanden. Guantanamo ist ein unerträglicher Schandfleck, und tatsächlich hat Kuba in Gesundheitsvorsorge und Bildung Großes geleistet. Aber: Kohlrouladen sind keine Widerlegung der Relativitätstheorie, und der Autobahnbau keine Entschuldigung für den Naziterror.

Auch im Falle von Kuba sollte die Aufrechnung von Menschenrechten gegen Infrastruktur nicht wirklich statthaft sein.

In der „Rangliste der Pressefreiheit“, die alljährlich von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht wird, belegt Kuba Rang 169 von 173 Ländern. Nur Burma, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea stehen noch schlechter da. Derzeit sitzen 23 Journalisten hinter Gittern. Die Haftbedingungen sind gnadenlos: Gefangene werden teils ohne Kleidung in ihren Zellen gehalten, ohne Tageslicht oder ärztliche Versorgung. Das Rote Kreuz darf kubanische Gefängnisse nicht inspizieren, Menschenrechtsorganisationen erst recht nicht.

Im Jahr 2004 hätte Deutschland Gastland bei der Buchmesse in Havanna sein sollen. Daraus wurde nichts: Als Reaktion auf eine Gewaltaktion der kubanischen Regierung, die Ende 2003 75 Dissidenten zu langjähriger Haft verurteilen und Bootsflüchtlinge hatte hinrichten lassen, legte die europäische Union die Beziehungen auf Eis. Seinerzeit organisierte eine Gruppe aus dem Umfeld der Tageszeitung „Junge Welt“ einen deutschen Gemeinschaftsstand – mit großem Erfolg übrigens. 2005 wurden die Sanktionen wieder aufgehoben, erst seit dem vergangenen Jahr gibt es aber wieder einen ernsthaften politischen Dialog.

Soll man, darf man, in einem solchen Land Bücher zeigen? Ich meine, dass man das getrost tun darf, vielleicht sogar tun muss. Von Zensur bezüglich deutscher Bücher ist nichts bekannt – allerdings dürfte die Auswahl der gezeigten Titel den Sensibilitäten Rechnung getragen haben. Kulturaustausch ist wichtig und hilft, Verständnisprobleme zu überwinden.

Damit das funktionieren kann, ist Dialogbereitschaft auf beiden Seiten nötig. Daran scheint es bei den kubanischen Mächtigen noch zu hapern. Jegliche Erörterung des Schicksals der noch einsitzenden der 2003 inhaftierten Dissidenten oder der im Gefängnis sitzenden Journalisten wird von den Kubanern nach wie vor abgelehnt. Fragen Sie mal den kubanischen Autor Carlos A. Aguilera, der zurzeit in Frankfurt lebt, im Rahmen des Programms „Städte der Zuflucht“, nach der Dialogbereitschaft der kubanischen Regierung. Er musste nach mannigfachen Repressionen 2002 Kuba verlassen, inzwischen wurde ihm seine Staatsbürgerschaft aberkannt, Rückreise ausgeschlossen.

Die Buchmesse in Havanna – ein Volksfest der Literatur? Sicher: Wenn man sich beim Gedanken an die Inhaftierten nicht verschluckt. Falls man überhaupt an sie denkt.

Kulturaustausch ist wichtig, das sagte ich bereits. Dabei müssen die Menschenrechte, die Freiheit des Wortes und damit auch des künstlerischen Ausdrucks, im Vordergrund stehen. Dazu gehören auch Auftritte von Künstlern aus solchen Ländern bei uns. Wir können viel von ihnen lernen, denn vor allem wir selbst haben Verständnisprobleme.

Die Grenze des Austauschs, das ist sicherlich Konsens, ist dann erreicht, wenn aus dem kulturellen Austausch eine politische Legitimation totalitärer Systeme wird und die Neugier auf Kunst und Kultur, auf das Fremde, von den Machthabern propagandistisch ausgeschlachtet wird zur Feier ihres Regimes.

So etwas würden wir hierzulande nicht zulassen – oder?

Übrigens: China, Rang 167 auf der Liste der Pressefreiheit, Weltmarktführer bei Aufspür- und Blockadetechniken im Internet, größter Presseknast der Welt, ein Land, in dem Dissidenten in Arbeitslager gesperrt und bisweilen auch totgeschlagen werden, ist in diesem Jahr, pünktlich zum 60. Jahrestag der Machtergreifung der Kommunistischen Partei, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.



Lesetipp:

Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro. (Ch. Links, 2006)

Carlos A. Aguilera: Theorie der chinesischen Seele. (Ed. Erata, 2008)


Holger Ehling war Leiter der Unternehmenskommunikation sowie stv. Direktor der Frankfurter Buchmesse und berichtet seit rund 20 Jahren als Reporter und Korrespondent für das Börsenblatt über die Buchmärkte der Welt.