Bücher am Ende der Welt

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Schon ein Blick auf die Landkarte genügt, um neugierig zu werden auf dieses Land, das sich so lang und schmal an die Westküste Südamerikas schmiegt. Im Durchschnitt nur 180 km breit, erstreckt sich Chile von Norden nach Süden über 4.300 km. Im Norden befindet sich die trockenste Wüste der Welt, während man im Süden über riesige Gletscher staunen kann. Von den knapp 16,6 Millionen Einwohnern lebt etwa ein Drittel in der Metropolregion Santiago. Da versteht es sich von selbst, dass sich hier auch der Buchmarkt konzentriert.
Nach 17 Jahren Diktatur unter Pinochet ist Chile seit 1989 wieder ein demokratischer Staat und hat sich zum wohlhabendsten Land Südamerikas entwickelt. Aufgrund der enormen Größe des Landes sind allgemeine Aussagen zur Bücherversorgung natürlich schwer.

Das Buch als Luxusobjekt

Die Schere zwischen arm und reich ist in Chile sehr ausgeprägt, doch selbst in wohlhabenderen chilenischen Haushalten wird man kaum Bücher finden. Zu seiner Zeit führte Pinochet eine Mehrwertsteuer auf Bücher über 19 % ein, die auch von der heutigen Regierung aufrechterhalten wird. Die offizielle Begründung lautet, dass man damit andere kulturelle Projekte gegenfinanzieren wolle. Demnach kostet ein Buch in Chile trotz der viel geringeren Kaufkraft der Bevölkerung meist genauso viel wie ein gleichartiges Buch in Deutschland. Es ist also kein Wunder, dass sich ein Chilene keine Bücher zur puren Unterhaltung oder Entspannung kaufen will und kann. Die meisten Bücher werden zur Weiterbildung gekauft und lesende Personen in den Parks oder in der Metro sind ein seltener Anblick.

Literaturversorgung durch Bibliotheken und Buchhandlungen

Öffentliche Bibliotheken sind im Stadtbild Santiagos allerdings recht präsent. An vielen Metrostationen gibt es so genannte Bibliometros, bei denen man als Mitglied Bücher ausleihen und sie auch außerhalb der Öffnungszeiten in eigens dafür aufgestellte Behälter zurückgeben kann. Außerdem gibt es in den meisten Einkaufszentren eine Filiale der Bibliothekskette Biblioteca Viva, die von einer privaten Stiftung finanziert wird. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass sich die großen Shoppingmalls mit Bibliotheken in den reicheren Vierteln Santiagos befinden und die ärmeren Stadtviertel mit Literatur schlichtweg unterversorgt sind.
Ein Großteil des Buchkaufs findet auf der Straße oder an Kiosken statt. Raubkopien sind weit verbreitet und es gibt keine Hemmschwelle ganze Bücher einfach zu fotokopieren. Auf Buchbestellungen muss man teilweise wochenlang warten, denn einen Zwischenbuchhandel oder gar Barsortimente gibt es nicht. Internetbestellungen sind aus naheliegenden Gründen nicht üblich. Nur circa 10 % der Haushalte haben einen Internetanschluss und viele haben kein Bankonto mit dazugehöriger Kreditkarte, um online zu bezahlen. Wer trotzdem nicht auf Lesestoff verzichten will, reist über die Anden ins benachbarte Argentinien, wo man Bücher viel günstiger erwerben kann.
In Chile gibt es eine große Buchhandelskette, die Feria Chilena del Libro. Anders als in Deutschland müssen sich die Buchhandlungen nicht vor allem durch Service und Ambiente profilieren. Auf den meisten Büchern stehen keine Preise, der Kunde muss erst mit dem Buch zu einem der Scanautomaten und den Strichcode einscannen, um den Buchpreis zu erfahren. Darüber hinaus gibt es keine buchhändlerische Ausbildung, die Bücher auf den Auslagen liegen häufig durcheinander und mitten im Verkaufsraum stehen Kisten und Pakete mit unausgepackten Büchern. Ein schöneres Einkaufserlebnis bieten kleinere Buchhandlungen mit Antiquariat, die in bestimmten Stadtvierteln angesiedelt sind.

Verlage und Buchmessen


Die meisten Verlage auf dem chilenischen Buchmarkt sind spanische Imprints, fast alle eigens chilenischen Verlage sind Universitätsverlage. Schulbücher haben bei weitem den höchsten Warengruppenanteil, denn wie bereits erwähnt ist der Markt für Unterhaltungsliteratur in Chile nicht besonders groß. Buchmessen erfreuen sich allerdings großer Beliebtheit, da dort die Verlage im Rahmen kultureller Open-Air-Events ihre Produkte billiger anbieten. Die wichtigste Buchmesse Feria Internacional del Libro de Santiago findet in den ersten beiden Novemberwochen im Zentrum Santiagos statt. Das Interesse der Besucher gilt zwar häufig eher dem kulturellen und vor allem dem kulinarischen Zusatzangebot, aber auf diese Weise kommen zum Beispiel Kinder im Rahmen von Familienausflügen wenigstens indirekt mit Büchern in Kontakt. Die schlechte Ausstattung der Schulen mit Lesestoff und die hohen Buchpreise verhindern leider allzu oft, dass sich das Medium Buch in den Alltag junger Chilenen integrieren könnte.