Wie viele gefallene Engel verträgt der Markt?

20. Juli 2015
von Börsenblatt
In der Flut der Fantasy-Novitäten sollten Buchhändler klug einkaufen − und den finanziellen Spielraum nicht aus den Augen verlieren. Das rät die Nürnberger Sortimenterin Doris Müller-Höreth ihren Kollegen. Und: "Unsere Kunden erwarten von uns Beratungskompetenz, Begeisterungsfähigkeit, Leidenschaft", so Doris Müller-Höreth.

In die Fantasywelt bin ich mit meinen Kunden hineingewachsen; mittlerweile sehe ich die zweite Generation Fantasyfans erwachsen werden, habe viele Trends mitgemacht und mich durch Berge von Fantasy gelesen. Filme wie "Rubinrot", "Percy Jackson" und "Die Chroniken der Unterwelt" sorgen für gute Absatzzahlen, ganz zu schweigen von den wunderbaren Tolkien-Verfilmungen. Fantasyleser sind Viel­leser, und sie wollen gut gefüttert werden. Ideale Kunden für uns also, und alles könnte so schön sein, wenn nicht ... Berge von Neuerscheinungen uns überschwemmen, überfordern, langweilen und oft auch eine gewisse Abwehrhaltung in uns generieren würden.

Welchen Trend hätten Sie denn gern? Wo hat sich denn gerade ­herumgesprochen, dass jetzt Märchenmotive en vogue sind, wie viele gefallene Engel verträgt der Markt, und wer hat eigentlich zuerst bemerkt, dass Dystopien langsam out sind, dafür aber Zombies so richtig angesagt? Ich habe Glück: In unserer Buchhandlung gibt es einen Leseclub, und viele der jungen Leute stürzen sich auf Leseexemplare aus der Fantasy-Ecke. So bin ich ziemlich gut informiert, was sie gerade lesen wollen, kaufe bereitwillig Novitäten ein, die sich um eine verlorene junge Tänzerin an der New Yorker Met drehen, oder stürze mich auf alles, was weibliche oder männliche Helden aus der griechischen, römischen, nordischen usw. Mythologie aufzuweisen hat.

Manchmal weigere ich mich innerlich bereits, eine Neuerscheinung überhaupt nur zu beachten, weil sie wieder mal ein unglaublich wichtiges neues Label eines Verlags einführen will, der auch auf der vermeintlichen Erfolgsschiene mitreiten möchte − dann zwingt mich mein Leseclub dazu, "Starters" zu lesen; ich kaufe den Titel ein − und, weil der Vertreter schon begeistert die vorher verschmähte ivi-Vorschau zückt, zwei weitere Titel dazu, die ich eigentlich gar nicht wollte.

Womit wir wieder beim Thema wären: Unsere Kunden erwarten von uns Beratungskompetenz, Begeisterungsfähigkeit, Leidenschaft. Auch die Vertreter schauen fassungslos, wenn man zugibt, dass man den Spitzentitel des Verlags gar nicht gelesen hat und auch nicht vorhat, ihn einzukaufen. Noch schlimmer wird es, wenn man andeutet, das Buch zu mögen und trotzdem weder ein Fenster damit gestalten noch die Reizpartie einkaufen will. Begeisterungsfähig und leidenschaftlich kann ich nur sein, wenn auch der Blick auf mein Bankkonto mir nicht den Atem raubt; wenn mein Angebot meine Kunden nicht erschlägt, sondern verführt; wenn ich die Titel gelesen habe.

In unserer Buchhandlung halten wir es so: Wir pflegen unsere heiß geliebte Backlist, aber auch da tauschen wir immer wieder aus. Potter sollte im Regal stehen, Collins, Riordan, Hunter, Poznanski, Landy, manchmal Funke, Tolkien, Hohlbein, Pratchett. Dazwischen, auf Sicht oder im Stapel, aktuell gut gehende Reihen und die zehn Neuerscheinungen, die dann auch von einem von uns gelesen werden, damit wir kompetent beraten können. Wir erheben nicht den Anspruch, die besten Titel der Saison entdeckt zu haben, auch wenn wir das versuchen! Wir sind offen für neue Trends, und wenn ein Buch vom Leseclub gelobt wird, dann haben wir es da.

Was ich mir aber abgewöhnt habe, ist ein schlechtes Gewissen gegenüber Verlagen und Vertretern. Ihren Erwartungsdruck will ich nicht erfüllen − schon gar nicht, wenn ich dabei meinen finanziellen Spielraum aus den Augen verliere. Trotzdem, liebe Verlage: Verführt uns weiter mit aufregenden Neuentdeckungen, lasst dabei einfach alles Mittelmäßige und vor Stereo­typen Starrende weg.

Mehr zum Thema können Sie im Börsenblatt Spezial Fantasy & Science Fiction (Heft 44) vom 31. Oktober lesen.