EU verunsichert Selbstverleger von E-Books

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Europäische Union kann sich nicht durchringen, Vorgaben für die steuerliche Gleichbehandlung von gedruckten und elektronischen Büchern zu verabschieden. Das erschwert die Arbeit von Self-Publishern, meint Matthias Matting.

Immer stärker ins Licht der Öffentlichkeit rückt in Deutschland eine neue, große, agile Autoren-Gilde: die Self-Publisher. Das sind Schreiber, die ihre Werke auf eigene Rechnung verlegen und in Internetshops anbieten. Rund 75.000 Autoren haben 2013 bei uns mehr als 50.000 Krimis, Sachtexte, Ratgeber, Romane selbst digital produziert; Tendenz weiter steigend. Zum Vergleich: Die etwa 1.800 Verlage hierzulande brachten im vergangenen Jahr schätzungsweise rund 90.000 gedruckte Bücher als Erstauflage heraus, 2012 waren es knapp 80.000 Titel. 

Kultureller Schatz

Ob künstlerisch wertvoll oder trivial, ob E-Book-Bestseller oder Leserflop: Self-Publisher in Deutschland verfassen einen vielfältigen kulturellen Schatz, der allerdings durch die Steuergesetzgebung bedroht ist. Grund: Die Europäische Union kann sich nicht dazu durchringen, den 28 Mitgliedsländern Vorgaben für eine steuerliche Gleichbehandlung von gedruckten und elektronischen Werken zu verabschieden.

Noch immer ist für E-Books das EU-Recht maßgeblich, dass sie Software-Dienstleistungen sind und daher mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belastet werden müssen. Im Gegensatz dazu gelten gedruckte Bücher als unabdingbar für Bildung. Nationale Gesetzgeber dürfen Print-Veröffentlichungen daher weniger stark steuerlich belasten. Folge: Ein absurdes Abgabenwirrwarr in den EU-Staaten.

In einigen Ländern wie Großbritannien ist Lesestoff auf Papier von Steuern gänzlich befreit, auf E-Books fallen 20 Prozent an. In Italien sind vier Prozent für gedruckte Erzeugnisse fällig, für digitale 23 Prozent. In Luxemburg müssen Käufer immer drei Prozent Mehrwertsteuer zahlen, in Deutschland sind sieben Prozent auf Print- und derzeit noch 19 Prozent auf elektronische Bücher zu entrichten. Einzig Frankreich und Luxemburg erheben seit 2012 eine identische Umsatzsteuer. Das verstößt gegen geltendes Recht: Die EU-Kommission hat beide Länder deshalb verklagt.

Indie-Autoren verdienen wenig

Für die stetig größer werdende Schar der deutschen Self-Publisher (auch Indie-Autoren genannt) ist die hiesige Praxis bislang wenig hinderlich: Zum einen verdienen sie bei einer eigenen aktuellen Erhebung unter rund 500 Selbstverlegern zufolge im Schnitt erst magere 312 Euro im Monat; nur die allerwenigsten Autoren können von ihren E-Book Werken leben. Zum anderen verkaufen viele der ambitionierten Selbstverleger ihre Werke über das so genannte KDP − das Kindle Direct Publishing.

Hinter dieser Publikations- und Vermarktungsplattform verbirgt sich der E-Book-Laden des Versandhändlers Amazon mit Sitz in Luxemburg. Und da E-Book-Erwerber bisher in der EU nur den Satz des Verkäuferlandes berappen müssen, hat die (luxemburgische) Mehrwertsteuer in Höhe von drei Prozent die Verdienstmöglichkeiten der neuen Autoren-Gilde beflügelt. 2015 könnte damit Schluss sein. Nach EU-Plänen soll ab Januar nächsten Jahres für elektronisch erbrachte Dienstleistungen (etwa E-Books) der Steuersatz des jeweiligen Käuferlandes gelten.

Deutschland fordert gleiches Recht

Eine schnelle Harmonisierung ist indes unwahrscheinlich. Schon seit 2011 prüft die EU ergebnislos, ob der Mehrwertsteuersatz für elektronische Bücher auf das Niveau gedruckter Lektüre gesenkt werden sollte. Dabei kommen aus vielen EU-Ländern eindringliche Plädoyers − auch aus Deutschland. Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, fordert ebenso wie der Deutsche Kulturrat und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels "aus kulturpolitischer Sicht" gleiches Recht. Die ermäßigte Steuer sichere die "Vielfalt unseres Bücherangebots" und trage "zur Information und zu selbstständiger Meinungsbildung in der Bevölkerung bei", sagte CDU-Staatsministerin Grütters Ende Januar 2014 und verwies auf den Koalitionsvertrag vom vergangenen Herbst. Darin heißt es, dass die Bundesregierung bei der Europäischen Union auf einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für E-Books, E-Paper und andere elektronische Informationsmedien hinwirken will.

Für Self-Publisher wäre ein entsprechender Schwenk der EU-Politik immens wichtig. Bleiben die divergenten Steuersätze, könnten viele unabhängige Publizisten ab 2015 in Bedrängnis geraten. Denn die E-Book-Preise lassen sich nicht einfach anheben. Zwar kostet ein elektronisches Buch in der Regel rund 20 Prozent weniger als die günstigste gedruckte Version. Doch für Leser ist das offenbar immer noch viel zu teuer. Laut einer GfK-Studie aus dem Jahr 2013 empfinden Konsumenten eher einen Abschlag von 40 Prozent als passend. Es kommt hinzu, dass für E-Books nur bestimmte Preisschritte möglich sind − das liegt unter anderem an der in Deutschland geltenden Preisbindung. Im Sinne dieser Richtlinie gelten E-Books nämlich sehr wohl als "Bücher" − ein Status, der ihnen beim Mehrwertsteuersatz verwehrt wird. Bei gleichen Netto-Preisen und höheren Steuern würden die Autoren kräftig Umsatz und damit sicher auch Verlegerambitionen verlieren.

Vielfalt des Bücherangebots wichtig

Viele Indie-Autoren handeln altruistisch. Geld und Ruhm ist für sie keine primäre Motivation. Doch die sich abzeichnende Steuerpraxis würde Ideen, Leidenschaft sowie Ideale begrenzen und damit die Vielfalt des Bücherangebots drosseln. Kritiker mögen einwenden, dass E-Books im Vergleich zu Print-Publikationen nur eine vergleichsweise geringe Marktbedeutung besitzen.

Rund zehn Prozent ihres auf elf Milliarden Euro geschätzten Gesamtumsatzes haben deutsche Verlage 2013 mit elektronischen Büchern erwirtschaftet. Weil sich die Konsumgewohnheiten ändern, erwartet die Branche allerdings eine sukzessive Steigerung auf 20 Prozent. Immer mehr Menschen schmökern auf mobilen Endgeräten in Sachtexten, in dramatischer, epischer, lyrischer Literatur. Laut Statistischem Bundesamt hatten Anfang 2012 schon rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland ein Lesegerät für E-Books. Anfang 2014 dürften es bereits rund drei Millionen sein, da populäre Modelle mittlerweile schon ab 70 Euro zu haben sind und der Absatz von Tablets rasant anzieht.

Kreativer Freiraum ist wertvoll

Der E-Book-Umsatz der Verlage ist kein Gradmesser für die Arbeit der Self-Publisher in Deutschland − und zwar weder in Bezug auf die volkswirtschaftliche Bedeutung noch für die literarische Leistung. Wer selber verlegt, hat sich für einen Weg entschieden, der schnell, einfach und ohne inhaltliche Kompromisse das Anbieten eigener geistiger Schöpfung ermöglicht. Es ist dieser kreative Freiraum, der den eigentlichen Wert von selbst publizierten Werken als wichtige Kulturgüter ausmacht: Ein Wert, der eine steuerliche Gleichstellung von E-Books und gedruckten Büchern in der EU sicher rechtfertigt.