10. APE-Konferenz diskutiert Open Access

Wer soll das bezahlen?

3. März 2015
von Torsten Casimir
Dass freier Zugang zu wissenschaftlichen Informationen wünschenswert ist, stellt niemand in Frage. Auf der Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) wurde aber diskutiert, wer diese Open-Access-Angebote finanzieren soll.
Zum zehnten Mal treffen sich in Berlin Autoren, Verleger, Bibliothekare, Wissenschaftsmanager, Vertreter der Internetwirtschaft und Juristen zur internationalen Konferenz Academic Publishing in Europe (APE). Mehr als 200 Teilnehmer sind der Einladung des Konferenzleiters Arnoud de Kemp in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gefolgt. Tagungstitel 2015, wie gewohnt der Zukunft zugewandt: "Web25: The Road Ahead. Exploring the Future of Scholarly Communication". 
Natürlich stand und steht für die Explorationen der beiden Konferenztage gestern und heute mit Open Access ein altbekanntes Thema zur Besichtigung – allerdings ändern sich von Jahr zu Jahr doch die Klarheiten und Unklarheiten. Das wurde in den Vorträgen und Diskussionsrunden dieses Jahr abermals deutlich. Eine zunehmend dringliche Frage im wissenschaftlichen Publizieren, die mit Open Access keineswegs des Feldes hat verwiesen werden können, lautet: Wer bezahlt?
Denn "freier Zugang und freie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen", das betonte Frederick Dylla am Dienstag, bedeute eben nicht, dass diese Informationen ohne Kosten (für wen auch immer) zu haben seien. Der Direktor des American Institute of Physics legte dar, wie mit den wachsenden Möglichkeiten zu Open-Access-Publikationen die Kostenfrage mehr und mehr auch ins Bewusstsein der Autoren gerät. "Ich gebe zu, dass mich selbst früher, als ich noch aktiv als Physiker geforscht habe, das Thema, wer die Veröffentlichung meiner Beiträge bezahlt, nie interessiert hat." Dies habe sich komplett gewandelt.

Seit zwei Jahren sind die Forschungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten von Regierungsseite aufgefordert, für wissenschaftliche Publikationen und Daten konkrete Open-Access-Richtlinien zu formulieren. Im August vergangenen Jahres, so berichtete Dylla, kam die erste von etwa 20 Institutionen (das Department of Energy) mit solchen Richtlinien heraus. Die zu erwartende Vielfalt an unterschiedlichen Leitlinien werde in nächster Zukunft die Komplexität eher erhöhen, sagte der Institutschef voraus. Jedenfalls spiele der Kostenfaktor beim Aufbau geeigneter Open-Access-Infrastruktur auch für die US-Forschungsförderer eine entscheidende Rolle.

Ein der Idee nach einfach anmutendes Modell für Open Access ist seit einiger Zeit Gegenstand einer kontrovers geführten Diskussion zwischen Verlegern, Urheberrechtsexperten und Autoren auf der einen sowie Forschungseinrichtungen und Nutzern wissenschaftlicher Informationen auf der anderen Seite: die Veröffentlichung auf dem Weg einer Creative Commons-Lizenz unter so genannten CC-BY-Bedingungen. Dieser Weg sieht für Wissenschaftler vor, die Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung so zu publizieren, dass jedermann die Publikationen einsehen und – unter bloßem Hinweis auf den Autor und mit Link zur Lizenz, also zur Originalquelle – für eigene Zwecke weiterverwenden kann: beispielsweise für die Aufnahme in einen Sammelband; oder für die Weiterverbreitung in anderen Sprachen; oder für die Verbreitung in anderen Medien und auf anderen Plattformen.
Kurzum: Ein Autor, der via CC-BY publiziert bzw. zu publizieren gezwungen wird, verliert im Augenblick der Veröffentlichung alle Entscheidungsmöglichkeiten, was wer zu welchen Bedingungen wo mit seinem Beitrag anstellt. Zündstoff genug also für einen gepflegten fachlichen Streit, den auf der APE der Justiziar des Börsenvereins, Christian Sprang, moderierte.
Das auf den ersten Blick urheberrechtlich inakzeptable Modell von CC-BY hat in der akademischen Welt eine wachsende Zahl von Befürwortern. Einer ist Robert Kiley vom britischen Wellcome Trust, der in London für die Digitalen Services der Wellcome Library Verantwortung trägt. Die milliardenschwere Stiftung gehört zu den weltweit finanzstärksten Forschungsförderern insbesondere in der Medizin. Kileys zentrales Argument: CC-BY sei eine Art Beschleuniger für die Verbreitung aktueller wissenschaftlicher Information. Die freie Weiternutzung etwa von Artikeln erhöhe deren Reichweite und Leserschaft nachweislich. Schlagendes Beispiel des Briten: ein Beitrag über die Verwendung von "Female Condoms", der nach seiner CC-BY-Publikation international von den unterschiedlichsten Medien aufgegriffen und weiterverbreitet worden sei. Kiley sprach in dem Zusammenhang von "promiscuous content" – und will das als guten Befund verstanden wissen.

 

Einspruch kam sowohl von Verlegerseite wie auch aus juristisch informierter Autorenperspektive. Aus Sicht des Urheberrechtsexperten Martin Schaefer (Boehmert & Boehmert, Berlin) liegt für Autoren die Zumutung des Verfahrens insbesondere darin, dass sie "gänzlich die Kontrolle über die Integrität ihres ursprünglichen Beitrags verlieren. Du kannst eben unter dem Deckmantel der adaption eine ganze Menge Sachen mit einem Text veranstalten." Man kann ihn etwa sehr schlecht übersetzen (lassen). Wer merkt es? Und wer sieht die Fehlerquelle? Die "Promiskuität" des Inhalts kann Schaefer zufolge sogar zu einer kommerziell getriebenen Weiterverwertung eines Originals führen – selbst dann, wenn die Urheber diese Möglichkeit ausdrücklich nicht haben wollten. Der Jurist zeigte das am Beispiel von Fotografen, die ihre Bilder auf einer Open Access-Plattform zur freien Verwendung eingestellt hatten und später erstaunt feststellen mussten, dass eine zu Yahoo gehörende Website diese Fotos als Prints zum Verkauf anbot.

Thieme-Verleger Albrecht Hauff machte grundsätzlich darauf aufmerksam, dass mit CC-BY in einer nicht akzeptablen Weise über Rechte verfügt werde, die einzig und allein dem Urheber gehörten. Bei Thieme stelle man seinen wissenschaftlichen Autoren deshalb die verschiedenen Varianten einer Publikation unter Creative Commons-Lizenz zur Wahl – und die allermeisten, so Hauff, optierten für die Variante CC-BY-NC-ND. NC-ND bedeutet: Weiterverwendung des Materials für kommerzielle Zwecke wird nicht gestattet. Ebenso bleibt eine inhaltliche Veränderung insoweit ausgeschlossen, als etwaige bearbeitete Fassungen des Ursprungsmaterials nicht verbreitet werden dürfen. Diese Variante werde bei Thieme auch verlagsseitig den Autoren empfohlen.
Bei aller Tendenz zur möglichst weitgehenden Öffnung und Beschleunigung wissenschaftlicher Kommunikation – der in Basel niedergelassene Rechtsanwalt Carlo Scollo Lavizzari (Lenz & Caemmerer) stellte fest: "Publishing bleibt ein Geschäft, das auf Rechten basiert." Eine Frage, die sich daraus ergebe und der sich "alle Stakeholder" zu stellen hätten, lautet für Lavizzari: Wer trägt "die Last des Stewards", desjenigen also, der Ordnung ins wissenschaftliche Publizieren bringt? Das eigentliche Risiko der CC-BY-Praxis sieht der Schweizer Anwalt darin, dass dieses Verfahren für alle Beteiligten "eine Black Box ist beziehungsweise zu werden droht. CC reduziert Komplexität, indem es die Wahlmöglichkeiten reduziert." Aus Sicht eines Juristen, der gute Verträge anstrebt, ist das eine unbefriedigende Situation.