13 Fragen an Schriftstellerin Terézia Mora

"Georg Büchner kann man unmöglich nicht lieben"

12. Juli 2018
von Börsenblatt
Den Börsenblatt-Fragebogen, der in der Tradition eines schon in den Salons der Vergangenheit verbreiteten Gesellschaftsspiels steht, hat in dieser Woche die Büchner-Preisträgerin Terézia Mora beantwortet.

Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Essen. Baden. Unter einem Baum sitzen und lesen. Immer abwechselnd.

Georg Büchner ist für mich …
... ein redliches Genie. Das Gegenteil einer honetten Person. Hellsichtig, leidenschaftlich und sprachgewaltig. Niemals langweilig. Man kann ihn unmöglich nicht lieben. 

Eine literarische Lieblingsfigur ist …
Woyzeck. Leopold Bloom. Harry Angstrom. Emma Mörschel (Lämmchen). Alice. Die namenlose Frau in Marlen Haushofers Die Wand.

Ihre Heldin im Alltag?
Meine Mutter. Die sich um ihre Eltern, um mich und um meine Tochter kümmert und um überhaupt alles. Sie führt ein so selbstloses Leben, wie es die wenigsten von uns tun. Als ich jünger war, dachte ich, sie täte es aus Mangel an Alternativen oder aus Schwäche. Heute weiß ich, dass es eine Entscheidung ist und Zeichen ihrer Stärke.

Welche Gabe würden Sie gern besitzen?
Oh, das sind zu viele. Von Akrobatik bis Zen-Gelassenheit.

Was bringt Sie so richtig auf die Palme?
Respektloses, rücksichtsloses Verhalten. Und die unbegreifliche Dreistigkeit, mit der einem Demagogen mitten ins Gesicht lügen - und auf der anderen Seite die Bereitschaft von Leuten, genau solche bad leader haben zu wollen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass sie nicht sehen, was da mit ihnen gemacht wird. Sie sehen es und bejahen es. Das ist sehr frustrierend.

Der mutigste Moment in Ihrem Leben?
Ich habe so viele Ängste, dass es im Grunde jedes Mal eine Heldentat ist, wenn ich nicht nur zu Hause bleibe. Aber besondere Momente waren: als mein Roman "Alle Tage" fertig war. Die halbe Stunde danach. Als ich meine Tochter zum ersten Mal sah und begriff: Ab jetzt bist du bis ins Grab mit jemandem bis in die tiefsten Ebenen deiner Existenz verbunden.

Ihr Traumberuf als Kind?
Schriftstellerin.

Welches Gerät müsste man erfinden?
Ein Entlarvungstool für jede Lüge und jede Bedrohung, die uns im Leben begegnet. Wobei der Zwang zur Redlichkeit vermutlich innerhalb von kürzester Zeit zu Mord und Todschlag führen würde.

Das Faszinierendste an der ungarischen Sprache?
Ihre Grauzonen. Dank ihrer einfachen Struktur ist sie unendlich flexibel und kann in solche mit Worten eigentlich nicht erfassbare Bereiche vordringen, wie das Übersetzungen leider niemals wiederzugeben in der Lage sein werden.

Total überbewertet finde ich …
Das Reden über Wohnaccessoires, Diäten und Promis u.ä.  Wobei die Gespräche sowohl im Privaten als auch im öffentlichen Raum in letzter Zeit  besser geworden sind. Weil die Lage der Welt sichtbarer geworden ist, nehme ich an.

Ihr bislang schönstes Reiseziel – und das voraussichtlich nächste?
Oh, ich hatte das Privileg, an sehr vielen schönen Orten gewesen zu sein.  Überhaupt nicht schön, aber sehr beeindruckend war das Auftauchen einer sowjetischen Industriestadt aus der kasachischen Steppe. Überhaupt nicht schön. Aber interessant. Wie sichtbar alles war.  - Das nächste Reiseziel ist die Trauerweide im Thermalbad in meiner Heimatort in Ungarn (siehe Antwort auf die erste Frage). Und danach: Rio de Janeiro. Man sagt, das sei schön und gefährlich. Ich werde Gelegenheit haben, alle meine Ängste zu testen.

Mit wem würden Sie gern für einen Tag den Platz tauschen?
Mit meiner Tochter. Sie würde ihr engelhaftes Aussehen und ihre Freundlichkeit behalten, aber ich steckte in ihr und würde ihr helfen, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Und wenn das nicht geht, dann möchte ich bitte gerne für einen Tag der Papst sein. Das würde vielleicht Einblicke gewähren!

Zur Person

Terézia Mora bekommt am 27. Oktober in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung verliehen. Zu ihren bisherigen Auszeichnungen gehören der Ingeborg-Bachmann-Preis (1999), der Preis der Leipziger Buchmesse (2005), der Adelbert-von-Chamisso-Preis (2010), der Deutsche Buchpreis (2013) und der Preis der Literaturhäuser (2017).


Am 5. Februar 1971 im ungarischen Sopron geboren, wuchs Mora zweisprachig auf. Seit 1990 lebt sie in Berlin, wo sie Theaterwissenschaft und Hungarologie an der Humboldt-Universität studierte und das Drehbuch-Diplom der Deutschen Film- und Fernsehakademie erwarb. Die Schriftstellerin übersetzt auch aus dem Ungarischen.