66. Frankfurter Buchmesse eröffnet

„Nur das freie Wort kann fliegen“

16. Juli 2015
von Nils Kahlefendt
Die Buchmesse ist eröffnet: Außenminister Frank-Walter Steinmeier plädiert für ein „Völkerrecht des Netzes“, der finnische Präsident Sauli Niinistö schreibt als erster Staatsgast „cool“ ins Goldene Buch der Stadt Frankfurt. Und Sofie Oksanen erklärt uns, was vermeintlich kleine Sprachen alles zu leisten vermögen.

„Beim ersten Mal ist es Zufall, beim zweiten Mal Schicksal, beim dritten Mal muss es Liebe sein“, meinte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, als er gestern Abend - zum dritten Mal - die Frankfurter Buchmesse eröffnete. Und ließ keinen Zweifel daran, dass ihn die Liebe zum Buch, zu „einem lesenden Europa“ ans Rednerpult führte. Dem Buchhandel versicherte Steinmeier seine Sympathie nicht nur ganz allgemein, er wurde konkret – schon bald könnte es etwa einen von Auswärtigem Amt und Börsenverein ausgelobten Preis für die besonderen Verdienste ausländischer Buchhandlungen um die deutsche Literatur geben. 

Die Buchbranche, das hatte zuvor bereits Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller klar gemacht, setzt in dieser lesenden Welt auf die „Symbiose von Online und Offline, von Digital und Analog, von Mobil und Stationär“. Das digitale Zeitalter aber stellt neue, andere Anforderungen an die Politik – Steinmeier machte in seiner Rede deutlich, dass es auf dem Weltmarktplatz, der „globalen Agora“, auch eine „kulturelle Logik“ geben müsse; im Erhalt der Buchpreisbindung und dem Schutz des Urheberrechts sieht er wichtige Bedingungen für die kulturelle Infrastruktur (Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sollte sich später noch zum Lordsiegelbewahrer des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes machen). „Die Ausgestaltung des digitalen Raums ist eine gesellschaftliche Aufgabe“, so Steinmeier, „wir brauchen dazu ein Völkerrecht des Netzes“. Die gemeinsam mit dem letztährigen Buchmesse-Gastland Brasilien eingebrachte UN-Resolution zum „Right to Privacy“ – womöglich ein Anfang. 

Mit Blick nach Brüssel sprach sich der Außenminister dafür aus, keine voreiligen Kompromisse mit einem der Netz-Giganten zu schließen: „Wir können nicht auf nationaler Ebene mit Argusaugen die Fusion von Lokalzeitungen verfolgen – und vor gigantischen monopolistischen Tendenzen im internationalen Maßstab die Augen verschließen.“ Nationale europäische Antworten, so viel ist für Steinmeier klar, werden künftig nicht reichen – die Netz-Großmacht USA muss in den Dialog eingebunden werden. „Wenn wir uns nicht einmischen“, so der Außenminister kämpferisch, „dann werden andere die Standards der Globalisierung festlegen“. 

Kultur, da waren sich alle Redner einig, sollte nicht das wohlfeile Extra-Sahnehäubchen sein, das aufgeschlagen wird, wenn alles wirklich Wichtige erledigt ist. Vom Buchmesse-Ehrengast Finnland lässt sich da einiges lernen. Und das nicht nur, weil Finnlands Präsident Sauli Niinistö vermutlich der erste Staatsgast ist, der das Wort „cool“ ins Goldene Buch der Messestadt Frankfurt geschrieben hat.

 Die Finnen – PISA-Weltmeister, Pioniere des Frauenrechts und der freien Rede – wissen, wie’s geht: „Die Welt“, so Niinistö, „verbessern wir in der Sauna, indem wir uns gegenseitig mit Birkenquasten auf den Rücken schlagen. Genauso gut, wie wenn wir in den städtischen Kaffees bei Café Latte in den sozialen Medien surfen.“

Sprache, so die Star-Autorin des Gastlands Sofie Oksanen, produziert immer Realität. Vielleicht sind also die Finnen deshalb für ihre Gewissenhaftigkeit bekannt, weil Präsens und Futur bei ihnen dieselbe Verbform haben? Der Weihnachtsmann, der laut Oksanen auf einem Berg im Grenzgebiet zwischen Finnland und Russland wohnt, versteht als gebildeter Skandinavier gottlob viele Sprachen. In vielen Zungen könnte er darüber berichten, welche Entwicklung Völker, Sprachen und Künste in historisch kurzer Zeit durchlaufen können, wenn sie denn die Möglichkeit dazu bekommen: „Nur das freie Wort kann fliegen.“