Über die Arbeit der Fantasy-Übersetzer

Wortmonster vermeiden

16. November 2017
von Christiane Petersen
Übersetzer arbeiten im Spannungsfeld zwischen Texttreue und kreativer Freiheit. Bei Fantasy-Literatur werden sie manchmal zu Schatzsuchern im Reich der Worte.



Ein Übersetzer folgt in erster Linie dem Autor. Es sind Qualitäten wie Genauigkeit, Geduld, sprachliches Feingefühl, die er für seine Arbeit braucht. Gestaltungsfreiheit und Kreativität dagegen sind eher das Sahnehäubchen auf dem Übersetzeralltag. Im Fantasy-Genre sieht das anders aus: Realweltliche Bezüge fehlen häufig, Übersetzer sehen sich mit frei erfundenen Wörtern konfrontiert. Wo die Wörterbücher streiken, beginnt die gestalterische Freiheit des Übersetzens. ­"Genau darin liegt der Spaß an Fantasy-Übersetzungen: Wir können uns kreativ austoben, neue Begriffe erfinden, unsere Fantasie spielen lassen", erklärt Michelle Gyo. Nach einem Studium der Germanistik und Buchwissenschaft und Stationen bei verschiedenen Verlagen ist Gyo heute als freie Lektorin und Übersetzerin auf den Fantasy-Bereich spezialisiert.

Ihr Kollege Simon Weinert stimmt ihr beim Stichwort "Austoben" zu. Wie Gyo übersetzt Weinert aus dem Englischen ins Deutsche, seit zehn Jahren arbeitet er als freier Übersetzer, unter anderem für Piper. "Wie in allen anderen Genres müssen auch wir viel recherchieren, nach geeigneten Begrifflichkeiten suchen. Gleichzeitig können wir manchmal laxer sein", sagt er. "Anders als im historischen Roman, wo es auch um geschichtliche Genauigkeit geht, müssen wir zum Beispiel nicht darauf achten, ob sich die Menschen zu dieser oder jener Zeit gesiezt haben – das können wir einfach dahingehend entscheiden, ob es zum Text passt." Wichtig sei, dass die Stimmung des Originals transportiert werde. "Will ich, dass der Ton etwas gestelzter und barocker ist – dann sieze ich." Kaum ein Übersetzer hat das Gesamtsortiment im Fantasy-Bereich so gut im Blick wie Weinert. Er führt in Berlin die Buchhandlung Otherland, die sich auf Fantasy und Science-Fiction spezialisiert hat. "Das ergänzt sich gut – und ich kann auch mal die Bücher empfehlen, die ich übersetzt habe."

Kirsten Borchardt hat als Journalistin gearbeitet, bevor sie sich auf das Übersetzen von Fantasy-Literatur aus dem Englischen spezialisierte. Bei ihrer Arbeit versucht sie, moderne Ausdrücke zu vermeiden und möglichst auch alle Namen zu übersetzen. "Im Englischen funktionieren die kurzen Wörter als Namen gut, im Deutschen muss man sich bemühen, Wortmonster zu vermeiden und passende Entsprechungen zu finden". Das sei nicht immer einfach. In Joe Abercrombies Roman "Racheklingen" habe es beispielsweise eine Figur gegeben, die "Shiver" hieß. "Ich konnte ihn schlecht 'Zittern' nennen – und habe ihm schließlich den Namen 'Espe' gegeben", erinnert sie sich. Es sind gerade Namensschöpfungen wie diese, die auch für Borchardt den Reiz am Fantasy-Übersetzen ausmachen – und die Übersetzer zu Schatzsuchern werden lassen.

"Dabei suche ich so lange und konsultiere auch mein Umfeld, bis ich zufrieden bin", erklärt Übersetzer Ruggero Leò sein Vorgehen. Leò übersetzt seit 1998 unter anderem für Droemer Knaur aus dem Englischen ins Deutsche. Oft komme es vor, dass der Autor einen Begriff erfindet, den er im gesamten Roman nicht erklärt, so Leò. Einmal, erläutert er, sei eine Art Monster vorgekommen, denen der Autor die Bezeichnung "skweams" gegeben habe – weitere Erklärungen zu diesen Geschöpfen hätten gefehlt. "Man hätte den Begriff, der mehrfach fiel, für eine Abwandlung von 'screams/screamer' halten und sich für 'Kreischer' entscheiden können", erinnert sich Leò. Da er seine Autoren aber ohnehin kontaktiere, um mit ihnen Detailfragen zu klären, habe er um eine Erklärung gebeten. "Erst, als der Autor mir das Aussehen der Wesen beschrieb, hatte ich sie vor Augen und konnte einen angemessenen deutschen Begriff dafür erfinden: Sandräuber – denn es handelte sich um riesige Wüsteninsekten."

Solche Konsultationen seien mitunter unerlässlich, fügt der Übersetzer hinzu. Ansonsten würde er eventuell eine falsche Entscheidung treffen, die sich dann bei einer Fortsetzung der Fantasy-Saga bitter rächen könne. Tatsächlich scheint der Draht zwischen Übersetzern und Autoren im Fantasy-Genre besonders eng zu sein. "Es ist im Zweifel immer besser, nachzufragen – gerade beim Übersetzen des ersten Bandes einer Reihe. Ton, Begrifflichkeiten und Grundlagen müssen einfach passen", bestätigt Gyo.

Nicht immer ist es aber möglich, die phantastischen Wendungen einer nicht realitätsgebundenen Geschichte schon im ersten Band abzusehen – mit Überraschungen müssen die Übersetzer immer rechnen. "Einmal gab es zum Beispiel eine Gottheit, die im Original 'The One God' hieß und keinen weiteren Namen hatte", berichtet Kirsten Borchardt. "Ich habe sie dann weiblich übersetzt als 'die Eine Göttin'. In einem späteren Band wurde dann thematisiert, dass sie weder männlich noch weiblich ist. Da hieß es dann: 'die Eine Gottheit – nicht Mann und nicht Frau.'"

Derartige Schwierigkeiten treten bereits beim Übersetzen aus dem Englischen auf, der Sprache, aus der die meisten Fantasy-Titel übersetzt werden. Ungleich schwieriger wird es, wenn nicht nur die Sprache, sondern auch die Schriftzeichen und der Kulturraum des Originaltitels deutlich fremder sind – zum Beispiel bei Übersetzungen aus dem Russischen oder Chinesischen. Sinologin Karin Betz zum Beispiel sitzt gerade an einer Übersetzung, die viel Zeit und Geduld erfordert: "Der dunkle Wald" des chinesischen ­Erfolgsautors Cixin Liu ist der zweite Band der "Die Drei Sonnen"-Trilogie, die bei Heyne erscheint und eher der ­Science-Fiction zuzurechnen ist. Schon der erste Band des Autors war in Deutschland außerordentlich erfolgreich, 15 Wochen stand "Die drei Sonnen" auf der Bestsellerliste.

In den Übersetzungen aus dem Chinesischen steckt viel präzise Detailarbeit: "Für viele Schriftzeichen gibt es keine Wörterbücher, ich muss dann mehrere Schritte machen und mir zunächst die englischen Übersetzungen anschauen. Auch ganz einfache Begriffe aus der Computer-Terminologie recherchiere ich aufwendig", erkärt Betz. Um sich in die Gedankenwelt des Autors zu versetzen, schaut sich die Übersetzerin Filme an – zum Beispiel den amerikanisch-britischen 3-D-Weltraum-Thriller "Gravity". Betz: "Wir wollen die Übersetzung ja lebendig gestalten, das sind wir dem Autor und dem Leser schuldig. Dafür muss man einerseits genau sein bei Begriffen aus Wissenschaft und Technik – und andererseits die Freiheit nutzen, bei den ­Erfindungen des Autors auch im Deutschen kreativ zu sein."

In einem Punkt sind sich übrigens alle befragten Übersetzer einig: Auf Fantasy-Übersetzungen spezialisiert sich nur, wer das Genre liebt. Und das spiegelt sich dann eben auch in den Texten wider.