"Bücher bauen Brücken": Auftakt in Köln

"Eine großartige Möglichkeit, Klischeebilder zu überprüfen"

19. Mai 2017
von Börsenblatt
Im Sendesaal des WDR stand am Donnerstag eine Premiere an: Die Aktionswoche "Bücher bauen Brücken" wurde eröffnet. Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, würde sich wünschen, dass sie demnächst nicht nur in NRW, sondern bundesweit gefeiert wird.

"So ein Schlamassel!", "Was für ein Bohei!", "ganz schön kess": All diese Redewendungen kommen aus dem Jiddischen und sind aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken. Jüdische Bürger haben das Leben in Deutschland über Jahrhunderte hinweg mitgeprägt. Ohne sie wäre Deutschland nicht das Land, das es heute ist - sozial, politisch, wirtschaftlich und kulturell.

Umso erschreckender ist es, dass der Antisemitismus wiederauflebt. "Die Gewalt gegen jüdische Mitbürger hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW wurden für das Jahr 2015 270 antisemitische Straftaten verzeichnet, darunter auch tätliche Angriffe", sagte WDR-Intendant Tom Buhrow am 18. Mai bei der Eröffnung der Aktionswoche "Bücher bauen Brücken" im WDR-Sendesaal in Köln. Er erinnerte dabei auch an die Anschläge auf Synagogen in Münster und Wuppertal.

"Wenn man sich in Deutschland als Jude outet, gibt es zwei Reaktionen: Entweder deutliche Ablehnung oder deutliches Interesse, gepaart mit etwas Unsicherheit oder begeisterter Zuwendung": Das berichtete der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, beim Auftakt von "Bücher bauen Brücken". Unkenntnis kommt oft dazu. So wurde er jüngst bei einer Veranstaltung in Berlin zwar herzlich empfangen, "aber dann kam die Frage: Sprechen Sie Deutsch?"

Persönliche Begegnung statt Vorurteile

Große Hoffnung setzt der Zentralrat der Juden auf die Aktionswoche "Bücher bauen Brücken", die vom Regionalbüro NRW des Börsenvereins initiiert wurde und an der sich bis zum 24. Mai 40 Buchhandlungen beteiligen - mit 45 Veranstaltungen von der Lesung bis zur koscheren Weinprobe. Für Lehrer ist die Aktionswoche zum jüdischen Leben im Deutschland von heute "eine großartige Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Klischeebilder mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Denn wenn man sich persönlich kennenlernt, fallen Vorurteile schnell in sich zusammen." Abraham Lehrer würde sich wünschen, dass "Bücher bauen Brücken" demnächst bundesweit gefeiert wird – und dass es im Bundeskanzleramt einen Antisemitismus-Beauftragten gibt.

Der Zentralrat der Juden hat mit der Kultusministerkonferenz darüber gesprochen, wie sich das Thema Judentum  im Schulunterricht vermitteln lässt. "Bisher geht es dabei nur um die Rolle von Juden als Opfer. Über die Kultur und den Alltag von Juden in Deutschland erfahren die Schüler nichts." Noch schwieriger gestalte sich die Wissensvermittlung bei der älteren Generation. "Da hilft die Aktionswoche weiter. Sie ermöglicht generationsübergreifende Begegnungen vor Ort – und zeigt, wie bereichernd es ist, Neues zu wagen und sich mit anderen Menschen auszutauschen."

Zwei Autoren und ihre Geschichte

Dass die Literatur Brücken baut, zeigten die beiden jungen jüdischen Autoren Mirna Funk ("Winternähe") und Dmitrij Kapitelman ("Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters") am Kölner Eröffnungsabend bei einer Podiumsdiskussion. Beide haben einen jüdischen Vater und eine nichtjüdische Mutter – und beschäftigen sich in ihren Büchern mit der Suche nach der eigenen Identität.

Mirna Funk, 1981in Ostberlin geboren, gibt ihrer Romanheldin, der jungen Fotografin Lola, viele autobiografische Züge. Sie selbst hat in Berlin antisemitische Angriffe erlebt, auf einem Foto wurde ihr Konterfei mit einem Hitlerbart verschandelt.

Kapitelman, der 1986 in Kiew geboren wurde und im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Leipzig kam, stellt die Beziehung zum jüdischen Vater in den Mittelpunkt. Dieser ist nicht besonders religiös, liebt "Schweinefleisch mit Schweinefleischsoße", betreibt in Leipzig einen Lebensmittelhandel für russische Spezialitäten. Mit einer gemeinsamen Reise nach Israel versucht der Autor, seinen Vater aus der Reserve und der eigenen "Unsichtbarkeit" herauszulocken. Davon erzählt sein Buch.

"Mein Vater war als Jude in der Ukraine antisemitischen Angriffen ausgesetzt, Deutschland hat er den Holocaust nie verziehen, nur in Israel nutzte er als Jude die überlegene Position gegenüber Arabern", erinnert sich Kapitelman an die Reise, die das Verhältnis von Vater und Sohn verändern sollte. Er berichtete in Köln aber auch: "Nach Ereignissen wie der Kölner Silvesternacht und dem offenen Antisemitismus bei Parteien wie der AfD ist mein Vater im Moment dabei, sich wieder mehr und mehr unsichtbar zu machen."

Das Programm zur Aktionswoche "Bücher bauen Brücken" finden Sie hier Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-priority:99; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin-top:0cm; mso-para-margin-right:0cm; mso-para-margin-bottom:10.0pt; mso-para-margin-left:0cm; line-height:115%; mso-pagination:widow-orphan; font-size:12.0pt; font-family:"Arial","sans-serif"; mso-fareast-language:EN-US;} . Die Aktionswoche soll einer breiten Öffentlichkeit vermitteln, wie jüdische Bürgerinnen und Bürger heute in NRW leben - und die Vielfalt und den Reichtumjüdischer Geschichte und Kultur veranschaulichen. Der Börsenverein in NRW ist Initiator von "Bücher bauen Brücken". Er wird konzeptionell von der Synagogen-Gemeinde Köln unterstützt. Bis zum 24. Mai finden in 13 Städten in NRW rund 45 Veranstaltungen in 40 Buchhandlungen statt, auch 70 Verlage bundesweit unterstützen die Aktionswoche.