"Chrismon"-Chefredakteur Arnd Brummer im Interview

"Manchen sind wir nicht fromm genug"

25. Februar 2016
von Börsenblatt
Das Christentum ist eine frohe Botschaft – keine saure Holschuld. Sagt "Chrismon"-Chefredakteur Arnd Brummer. Und verbreitet sie lockerer und lauter als man es von der Kirche gewohnt ist.

Kinder und Job unter einen Hut bringen, pflegebedürftige Eltern betreuen: Warum ist in "Chrismon" mehr von den Niederungen des Alltags als von Gott und Glauben die Rede?
Weil genau das unsere christliche Kernthematik ist: Wir wollen die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit erreichen, bei ihren existenziellen Sorgen und Nöten. 

Wo bleibt da die christliche Botschaft?
Sie ist überall – wir versuchen nur, sie nicht lehrend, sondern erzählend sichtbar zu machen. In einer Reportage aus Ruanda haben wir von einem Hutu und einem Tutsi berichtet, die sich heute eine Kuh teilen – obwohl der eine das Haus des anderen niedergebrannt und seine Nachbarn getötet hat. Liebe deine Feinde: Das muss ich in diesem Fall nicht explizit dazuschreiben. Noch ein Beispiel: Wir haben mal einen Mediziner aus dem Libanon porträtiert, der sich heute als Landarzt in Brandenburg um die Alten und Kranken kümmert – für mich ein moderner barmherziger Samariter.

Geht es auch darum, Menschen, die der Kirche eher fernstehen, zu "Chrismon"-Lesern zu machen?
Das Christentum  ist eine frohe Botschaft und keine saure Holschuld. "Go tell it on the mountain", wie es in einer Gospelzeile heißt. Und genau das tun wir, indem wir "Chrismon" großen Tageszeitungen beilegen und Geschichten erzählen, die alle angehen. Wenn Jesus in seiner Zimmerei in Nazareth geblieben wäre statt rauszugehen zu den Fischern, den Huren, den Zöllnern, dann gäbe es die Kirche nicht. So einfach ist das.

Wissen Sie, wer "Chrismon" liest?
Laut Allensbacher Werbeanalyse sind es zu 59 Prozent Protestanten, zu 25 Prozent Katholiken und andere Christen, zu 16 Prozent Agnostiker und Atheisten. Gute Zahlen, wie ich finde.

Wie versuchen Sie, die 15 Prozent Atheisten bei der Stange zu halten?
Indem wir den Zweifel ernst nehmen. Ich sage gern: Der Zweifel ist der Künstlername des Glaubens. Wer behauptet, er zweifle nicht, ist entweder ein Heiliger oder er lügt. Die Kirche ist auch nicht das dicke Haus mit dem Turm, sondern eine Gemeinschaft, in der man sich das über das unterhält, was außerhalb der rationalen Deutungsmöglichkeiten des Menschen liegt. "Unbegreiflich!", sagen Agnostiker und Atheisten über Unglück und Glück. Der große Theologe Paul Tillich formulierte: Das Unbegreifliche ist Gott. Agnostiker und Atheisten reden somit über dasselbe wie gläubige Christen, nennen es nur anders.

"Chrismon" kommt sprachlich eher frech als salbungsvoll daher. Muss man dem Volk aufs Maul schauen, um gehört zu werden?
Mit einem entschiedenen "Sowohl-als- auch" kommt man nicht mit den Leuten ins Gespräch. Wenn wir möchten, dass die Leute zu Hause am Frühstückstisch über "Chrismon"-Beiträge, über Gott und die Welt diskutieren, dann müssen wir für das Überraschende sorgen, nicht für das Erwartbare. Die Sprache ist unser Vehikel, und da muss man eben auch mal an der Grenze entlangfahren.

Grenzgänge sorgen auch für ­Widerspruch. Gibt es den?
Natürlich sind wir manchen Lesern nicht fromm genug. Und wenn wir versuchen, "Otto Normalverbraucher" in unserer Rubrik "Religion für Einsteiger" den Unterschied zwischen Eucharistie und Abendmahl in 2000 Zeichen zu erklären, dann bekommen wir Leserbriefe von Theologen, die darüber ein 800-Seiten-Werk geschrieben haben und zentrale Aspekte vermissen. Aber das müssen wir aushalten. Denn es ist unser Job, komplexe Themen kurz und klar zu erläutern – und dem Lesenden damit Impulse zum Weiterdenken zu geben.

Was sagen Sie den Kritikern?
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Und sehet, und gedenket, und wisset": Luthers Sprache mag heute museal klingen, aber im 16. Jahrhundert war sie hochmodern. Luther hat hart um Formulierungen gerungen, die volkstümlich und theologisch zugleich sein sollten. Er hat versucht, die Bibel für alle zugänglich zu machen – und musste sich damals anhören, er habe sie in eine "Kuhstallsprache" übersetzt. So gesehen bewegen wir uns da in einer guten Tradition.

Wie finden Themen den Weg ins Heft?
Wir sind eine kreative Redaktion mit großartigen Autorinnen und Autoren, diestarke Geschichten recherchieren und schreiben. Dazu gibt es eine Menge freier Kolleginnen und Kollegen, die wissen, wonach wir suchen. Wir untermauern unsere Entscheidungennicht immer theologisch, aber wenn man uns danach fragen würde, dann könnten wir immer sagen, warum gerade das eine "Chrismon"-Geschichte ist. Wichtig ist uns aber auch die Bildersprache, die optische Aufbereitung der Texte. Der Protestantismus gilt zwar eher als Lese- denn als Bilderkirche, doch "Chrismon" nutzt ganz bewusst beide Wege.

Was hat auf keinen Fall Platz bei Ihnen?
Thematisch fällt mir da nichts ein, letztlich geht es immer um die Erzählweise, um die journalistische Perspektive. Nur Sensationslust hat sicher keinen Platz bei uns.

Sie holen auch gern Prominente wie Martina Gedeck oder Philipp Lahm mit ins Boot. Wieviel Promi-Faktor darf sein?
Die einzige Bedingung ist, dass die Leute nicht nur bekannt sind, sondern etwas zu sagen haben. So wie Roger Willemsen, den wir mal zur Liebe, zum Leben befragt haben – eine der meistangeklickten Geschichten auf unserer Website. Damals hat er gesagt, er fürchte nicht den Tod, aber das Sterben.

Sie haben rund um "Chrismon" eine ganze Produktfamilie entwickelt, darunter "Chrismon Spezial". Warum braucht das Magazin diesen Ableger?
"Chrismon Spezial" erscheint einmal im Jahr – noch bis zum Oktober 2017. Es hat die Aufgabe, die Leute auf das Lutherjubiläum einzustimmen. Das Spezialheft liegt auch Regionalzeitungen wie den "Lübecker Nachrichten" oder der "Offenbach Post" bei und ist ein bisschen populärer konzipiert. Wir wollen damit ein breiteres Publikum erreichen als das Bildungsbürgertum, das die "Zeit" , die "Welt", die "Süddeutsche" oder die "FAZ" liest.

Mit der Edition Chrismon haben Sie dem Magazin vor einigen Jahren ein Buchprogramm zur Seite gestellt. Wie werden Zeitschrifteninhalte zu Buchinhalten?
Stoffe aus dem Heft im Buch zu bündeln – so hat es einmal angefangen. Daneben haben wir mit dem Verlag Faber & Faber in Leipzig bibliophile Bücher herausgebracht, etwa mit Luthers Tischreden. Als wir dann mit dem Hansischen Druck- und Verlagshaus (HDV), in dem "Chrismon" produziert wird, 2005 von Hamburg nach Frankfurt gezogen sind – als 100%iges Tochterunternehmen unter das Dach des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) – entstand die Idee, ein Verlagsprogramm daraus zu machen. Mit Büchern, die zum Profil der Zeitschrift passen. Einer unserer erfolgreichsten Titel ist die Twitterbibel "Und Gott chillte" – ein beliebtes Konfirmationsgeschenk.

Seit Januar gehört die Edition ­Chrismon zur Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig. Warum?
Das HDV ist seit Januar 2010 Mehrheitsgesellschafter der Evangelischen Verlagsanstalt. Es gehört zur Entwicklung dieser Beteiligung, unser Programm und das der EVA nun unter einem Dach zu bündeln und die verlegerische Kompetenz der Leipziger Kollegen zu nutzen. Deshalb haben wir die Edition Chrismon dort angedockt – zusammen mit unseren Kalendern und Materialien zu "Sieben Wochen ohne …", der jährlichen Fastenaktion der Evangelischen Kirche.

Wird das Programm der Edition Chrismon künftig schmaler werden?
Wir müssen die Arbeit am Buchprogramm, wie alle konkurrierenden Häuser, thematisch und ökonomisch optimieren. Außerdem haben wir jetzt die Möglichkeit, beide Programme aufeinander abzustimmen. Bei der Evangelischen Verlagsanstalt werden weiterhin eher wissenschaftlich-theologische Titel erscheinen, in der Edition jene für das bereits beschriebene breitere "Chrismon"-Publikum. Enge Verbindungen gibt es zwischen Leipzig und Frankfurt schon lange: Wir bieten die Produkte der EVA – zum Beispiel die hervorragende Reihe "Orte der Reformation" – über unseren "Chrismon"-Shop an.

Im "Chrismon"-Shop verkaufen Sie auch Bücher anderer Anbieter wie Patmos oder Gerth Medien. Läuft das Direktgeschäft gut?
Unser Shop ist kein Amazon für Christen. So vermessen sind wir nicht. Aber der Shop hat sich bereits als beliebte Adresse für Trau-, Tauf- und Konfirmationsgeschenke etabliert. Interessanterweise gehen diejenigen Produkte besonders gut, die sich im religiös geprägten Sortiment mit seiner traditionellen Kundschaft eher schleppend verkaufen.

Wie groß ist der Zwang zur Wirtschaftlichkeit in der "Chrismon"-Familie?
Wir haben die Aufgabe, einen substanziell eigenen Finanzierungsbeitrag zu leisten. Das GEP erhält als gemeinnützige GmbH jedes Jahr eine Gesellschaftereinlage von der Evangelischen Kirche in Deutschland, um die satzungsgemäßen Aufgaben erfüllen zu können. Aus diesem Gesamtbetrag fließtjedes Jahr eine siebenstellige Summe zur Unterstützung von "Chrismon". Bei einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren pro Monat reicht der Betrag aber nicht aus, um alle Kosten zu decken. Ein Grund, warum wir Anzeigen für "Chrismon" verkaufen und immer auf der Suche nach neuen Produktideen sind.

Auch rund um die Fastenaktion "Sieben Wochen ohne" haben Sie eine kleine Produktfamilie mit Kalendern und Materialien gruppiert. Leistet sie einen Finanzierungsbeitrag?
Ja, das haben wir geschafft, auch weil die Aktion mittlerweile auf vielen verschiedenen Kanälen präsent ist. Es ist uns gelungen, in den verschiedenen Abteilungen der Unternehmensgruppe GEP nicht nebeneinanderher zu arbeiten, sondern aus unserem Haus ein crossmediales Zentrum zu machen. Wir hatten uns das vorgenommen, wir haben das in den vergangenen Jahren erreicht – und dazu zählt auch die Aktion "Sieben Wochen ohne".  

Sie sind nicht nur der Kopf hinter "Chrismon", sondern auch der Kopf ­hinter der Fastenaktion, die diesmal unter dem Thema "Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge" steht – in ­Anspielung auf die Flüchtlingsdebatte?
Wir versuchen immer, mit der Fasten­aktion aktuelle Themen und Wahrnehmungen aufzugreifen. Das große Herz muss zum einen den Flüchtlingen gelten, zum anderen jenen, die Angst vor den gesellschaftlichen Veränderungen haben. Auch mit den Ängstlichen müssen wir Christen reden – wenn wir nicht wollen, dass sie in die Fänge von Pegida geraten. Wichtig: Streiten, Diskutieren ist dabei erlaubt, ja erwünscht. Denn Werte kann man nicht verordnen, sondern nur anbieten, indem man gute Argumente dafür liefert. Dazu passt das schöne Lutherwort: "Die Geister lasset aufeinanderprallen, die Fäuste haltet still."

Über "Chrismon"

  • Das Monatsmagazin "Chrismon" (Auflage: 1,6 Millionen Exemplare) liegt großen deutschen Tageszeitungen bei, etwa "FAZ", "SZ", "Zeit" und "Welt". Es erscheint im Hansischen Druck- und Verlagshaus, einer Tochter des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (Frankfurt am Main).
  • Die Edition Chrismon mit flankierenden Büchern und CDs, lange von der Redaktion mitproduziert, ist zum Jahresanfang unter das Dach der Evangelischen Verlagsanstalt gerückt, wo Chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer ebenfalls zur Geschäftsführung gehört.