Reden zum Deutschen Buchhandlungspreis 2016

Lob, palettenweise!

7. Oktober 2016
von Börsenblatt
Jurymitglied Hans Frieden hat als Verlagsvertreter schon viel gesehen. Deshalb kann er fundiert begründen, warum zehn große Buchhandlungen mit dem undotierten Gütesiegel gewürdigt werden. Seine Laudatio. 

Rauhreif - so hiess einer der kleinen Verlage, für die ich als Vertreter vor rund 30 Jahren aus der kleinen Schweiz hinaus nach Deutschland zog – in den grossen Kanton, wie wir gelegentlich zu sagen pflegen. Dieser Verlag hatte, typisch für kleine Verlage, viel Lyrik im Programm und alle Autorinnen und Autoren hatten mit dem grossen Suhrkamp zu tun: Der eine Dichter hatte dort vor Jahrzehnten ein Buch veröffentlicht, einem zweiten sollte dies etwas später noch gelingen und alle anderen träumten davon. Der Rauhreif Verlag stellte mir Manuskripte und ein ordentliches Bestellformular zur Verfügung.

Die Älteren unter uns erinnern sich an diese am linken oder oberen Rand geleimten und gelochten Thermopapiergarnituren mit drei Durchschlägen. Einige Modelle waren zu Fahnengrösse ausklappbar, so dass, weil das Feld für den Firmenstempel oben links war und damit der Stempel auch zielgenau platziert werden konnte, die Seiten immer mit grosser Geste geblättert werden mussten. Und überhaupt diese Stempel! Die waren in der Grösse umgekehrt proportional zur Fläche der Buchhandlung: Hesperus in Hannover mit seinen gefühlten 20 Quadratmetern sprengte mit dem runden Stempelmonster alle Rahmen und das Buchhaus Wittwer in Stuttgart hatte den kleinsten Stempel, vermutlich von „Mister Minit“ im Hauptbahnhof. Rund um das Stempelfeld eines Formulars gab es die auszufüllenden Rubriken wie „Datum“ oder „Verkehrsnummer“ - und dort stellte mein kleiner Rauhreif-Verlag, von der Auslieferung optimistisch beraten, die grosse Frage: „Lieferung in Paletten möglich?“.

 Ein weiteres Bild von früher fällt mir ein: In der Bestellabteilung von Hugendubel am Münchner Marienplatz, der Grossmutter aller grossflächigen Buchkaufhäuser, füllten die Kopien der zwischengelagerten Bestellformulare buchstäblich ganze Wäschekörbe – weil, wie es sich gehörte, jeder Vertreter empfangen und quer durch alle Verlagsprogramme bestellt wurde und es offenbar die so praktisch zweckentfremdbaren Wannen der Deutschen Post noch nicht gab.

 „Gross“ und „Klein“ gehörten zusammen in unserer so wunderbar heterogenen Branche.

Diese Bilder verblassten etwas im Laufe meiner Vertreter-Karriere zu nostalgischen Reminiszenzen. Die grosse Formular-Flut erzeugte die grosse Bücher-Flut und irgendwann in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts tauchten kleinkarierte Betriebswirtschaftler auf und schütteten das Buch mit dem Bade aus. Aus der Sicht vieler grosser Buchhandlungen waren Bücher aus kleinen Verlagen plötzlich überflüssig – und aus der Sicht der kleinen und oft auch der mittelgrossen Verlage wurden die Grossbuchhändler zu Totengräbern der Kultur. „Klein“ war „gut“ und „Gross“ war „böse“ und die Nische kletterte zur Spitze. Es herrschte Winter, Raureif – mittlerweile rechtschreibreformiert und ohne das kleine, sanfte „h“ geschrieben – legte sich über einen Teil der Branche.

Und heute? Heute darf ich als Verlagsvertreter, der weiterhin für unabhängige und sogenannt kleinere Verlage zuständig ist, das Loblied auf die sogenannt grossen Buchhandlungen anstimmen. Das finde ich grossartig! „Gross“ und „Klein“ sind wieder einfach nur relative Grössen in unserer so wunderbar heterogenen Branche geworden.

Heute haben wir alle - sagen wir mal: fast alle – wieder erkannt, dass die Grösse eines Verlagsprogramms oder einer Buchhandlung nichts über die Qualität eines Buches oder einer buchhändlerischen Leistung aussagt.

Ich weiss, dass nicht alle Vertreterinnen und Vertreter überall empfangen werden können – und bei keinem Verlag, ob gross oder klein, wird quer durch das Programm alles bestellt. Dafür sehen wir, dass es nicht mehr nötig ist, betriebswirtschaftliche Anforderungen gegen die Qualität und die Inhalte der Bücher auszuspielen.

Und für die so wiedererlangte Souveränität steht auch die Vergabe dieses Preises.

Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, die heute das undotierte Gütesiegel „Ausgezeichneter Ort der Kultur“ erhalten – bei all meiner Zuneigung zu vielen kleinen Buchläden - ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu Ihrem Preis.

Weil ich in fast allen Ihrer Buchhandlungen schon wunderbare Gespräche mit den sortimentsprägenden Einkäuferinnen und Einkäufern führen konnte, darf ich mich auch für Ihr Engagement bedanken. Meine Bewunderung gilt zudem allen unter Ihnen, die über die Branche hinaus – zum Beispiel mit „BUY LOCAL“ - Grosses leisten.

Ich gratuliere auch dem Preis zu seinen Preisträgern. Denn:

Heute Abend sind alle zehn ausgezeichneten Buchhandlungen hier vertreten und anwesend. Sie sind angereist, obwohl – und das sollen sich ein paar neidische und kleinmütige Internet-Kommentatoren hinter ihre analogen Ohren schreiben – obwohl in dieser Kategorie keine Prämie ausbezahlt wird. Grossartig! Darum formuliere ich kurzerhand & grosszügig mal um und gratuliere Ihnen zum Grossen Preis des Deutschen Buchhandels! Das Lob für Sie kann nicht gross genug sein. Es muss mindestens palettenweise angeliefert werden.