#verlagebesuchen: Eine Berliner Aktion zum Welttag des Buches

"Ein Verleger muss vor allem panikresistent sein"

25. April 2016
von Börsenblatt
Wie kommen Bücher zur Welt? In Berlin öffneten am Freitag und Samstag 20 Verlage ihre Büro-Türen fürs Publikum. Mit der Veranstaltung #verlagebesuchen wollten sie zeigen, was Verlage leisten. In erster Linie aber lieferten sie: gute Unterhaltung.

Vor fast zehn Jahren initiierte der Börsenverein vor dem Hintergrund einer hitzigen Diskussion über das Urheberrecht eine Kampagne, die über die Arbeit von Buchverlagen Auskunft geben sollte. Unter der Überschrift "Was Verlage leisten" wollte der Verband einer vermuteten Unkenntnis in der breiten Öffentlichkeit abhelfen. Kleiner ist der Druck auf die Verlage in den vergangenen Jahren allerdings nicht geworden: Die Diskussion über das Urheberrecht hält weiter an, vom aktuellen Gerichtsurteil zur Neuverteilung der VG-Wort-Einnahmen sehen sich manche kleineren Häuser sogar in der Existenz bedroht.

Zu besichtigen: der Büchermacher-Alltag

Einen neuen, eher unterhaltsamen und insofern vielleicht wirksameren Anlauf, die Leistung der Verlage zu vermitteln, hat der Landesverband Berlin-Brandenburg am vergangenen Wochenende unternommen, Anlass: der Welttag des Buches am 23. April. Wie Buchverlage arbeiten, das sollte unter der Überschrift #verlagebesuchen von über 20 Hauptstadtverlagen an zwei Tagen ganz individuell vorgeführt werden. Zur Besichtigung des Büchermacher-Alltags hatten Unternehmen von Argon bis zum Verbrecher Verlag eingeladen. "Wir wollten zeigen, was Verlage machen, welchen Anteil sie am Entstehen von Büchern haben", erklärt Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Landesverbands.

Manche Verleger luden in den Garten, andere auf die Dachterrasse, die meisten in die Verlagsräume. Beim Wagenbach Verlag war der geräumige Konferenzraum gerade groß genug, um ausreichend Platz zu bieten für die zumeist jungen Besucher. Offenbar ist das Interesse am Handwerk des Büchermachens groß, womöglich der Verlagsjob immer noch ein Traumberuf.

"Wie viele Stunden lesen Sie täglich?", "Wie lange dauert es vom Manuskript zum fertigen Buch?", "Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Autoren Sie stärker promoten als andere?" Das waren gar nicht so leicht zu beantwortete Fragen an die Wagenbach-Verlegerin Susanne Schüssler. Ihre Antworten: "Für längeres lustvolles Lesen ist eigentlich nur im Urlaub Zeit.", "Zwei Monate während theoretisch möglich, aber in der Regel dauert es rund ein Jahr bis aus einem Manuskript ein Buch wird", "Wir überlegen immer wieder neu, welche Bücher wir auf welche Art am besten an die Leser bringen."

Zu erfahren war bei Wagenbach dann noch, dass zwei Drittel der Bücher von vornherein negativ kalkuliert sind und dass jährlich 1000 bis 1500 Manuskripte unverlangt auf den Schreibtischen der Lektoren landen. Nur zwei dieser Manuskripte wurden in 25 Jahren bei Wagenbach zu Büchern, zuletzt Ursula Ackrills "Zeiden, im Januar". Da ging manch einer dann vielleicht doch ein wenig ernüchtert wieder nach Hause.

Pingpong-Spiel zwischen Autor und Verleger

Ein großartiges Unterhaltungsstück boten der Verleger Norbert Jaron und sein prominentester Autor Horst Bosetzky. Im launigen Gesprächspingpong erzählten da zwei von einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit. Und es störte nicht, dass die Erinnerungen manchmal recht gegensätzlich ausfielen. Während Bosetzky noch wusste, dass der Verleger seine Idee einer Krimireihe anfangs gleich mehrfach mürrisch abgelehnt hatte, versicherte eben dieser: "Horst Bosetzky war ein Vielschreiber. Ich musste ihn beschäftigen, also schlug ich ihm eine Reihe vor." Von wem der Anstoß zur Krimifolge "Es geschah in Berlin" dann letztlich kam, blieb also ungeklärt. Dass der erste Band der Reihe vor neun Jahren erschien, ist hingegen belegt: "Kappe und die verkohlte Leiche".

Bosetzkys Konzept sah vor, dass sich verschiedene Autoren die Fälle des Ermittlers Hermann Kappe ausdenken, zudem sollte sich in den einzelnen Bänden die Geschichte Berlins widerspiegeln – beginnend mit dem Jahr 1910 und sodann im Zweijahresrhythmus immer weiter Richtung Gegenwart. Eine avancierte Idee, der nicht immer alle gewachsen waren, auch der Erfinder nicht: "Bei mir tritt einmal jemand auf, der im Band, den meine Vorgängerin verfasst hat, schon gestorben ist", bekannte Bosetzky herrlich freimütig. Da wollte der Verleger Norbert Jaron nicht nachstehen und räumte ein: "Kein Lektor hat mehr den Überblick."

Zwischen Kreativität und Pfennigfuchserei

Verwunderlich ist das kaum, immerhin ist die Reihe mittlerweile auf 27 Bände angewachsen und das Autorenkollektiv im Jahr 1964 angelangt, 1968 soll Schluss sein. Kappe ist dann 80 Jahre alt, sterben durfte er nicht, das haben seine Fans Bosetzky aufgetragen. Der selbst mittlerweile 78-Jährige hat sich vom Verleger ausbedungen, dass der letzte Band von ihm verfasst wird. Vermutlich hat er schon eine Idee, wie er die ereignisreiche Zeit der Studentenrevolte ins Buch bringt. Doch es gäbe immer wieder auch Durststrecken, langweilige Jahre, klagte er vor dem Publikum: "1964 war nichts los in Berlin. Im Tokyo fand die Olympiade statt. Aber hier? Da hat man es schwer." Eine der Zuhörerinnen erinnerte daran, dass 1964 das Jahr mit den meisten Geburten gewesen sei. Vielleicht ließe sich daraus etwas machen, ermunterte sie den Schriftsteller. Man wird es nachlesen können.

Der Besuchs-Parcours #verlagebesuchen wiederum soll im kommenden Jahr in die zweite Runde gehen. 500 Interessierte kamen zur Premiere – kein schlechter Auftakt. "Die Veranstalter waren allesamt zufrieden", resümiert Bluhm. Das Publikum war es auch. Von Norbert Jaron erfuhren die Besucher noch, was den Verlegerberuf im Kern ausmacht – "eine Mischung aus Kreativität und Pfennigfuchserei" nämlich. Ein guter Verleger müsse zudem vor allem eines sein: "panikresistent". Das wusste schon der große Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Es dürfte heute noch weit mehr gelten als zu seiner Zeit.