In einer Masseninfo-Sendung ohne persönliche Anrede hatte die Stiftung alle demokratisch gewählten Abgeordneten der Länderparlamente und des Bundestags mit Ausnahme der NPD eingeladen, am Bundesweiten Vorlesetag am 17. November teilzunehmen. Die Kindertagesstätten, Schulen und sozialen Einrichtungen entscheiden aber selbst, wen sie als Vorleser einladen oder nicht.
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj hatten wie die Öffentlichkeit durch einen Artikel in der "taz" von den Aufforderungen zur Beteiligung am Vorlesetag erfahren und daraufhin den avj-Vorstand gebeten, sich umgehend zu distanzieren. Die avj ist auch im Vorstand der Stiftung Lesen vertreten, die Vorstandsmitglieder hatten aber keine Kenntnis über die Aufforderungen an die Politiker, wie die avj-Vorsitzende Renate Reichstein auf Nachfrage mitteilte.
avj äußert ihr Befremden über die Einladungen
avj-Mitglieder und Vorstand haben heute ihr "Befremden über die unkritische bzw. undifferenzierte Einladung aller gewählten Politiker (m/w), die nur die der NPD ausschließt", geäußert. Einzelne Abgeordnete der AfD seien wiederholt mit Äußerungen in die Öffentlichkeit getreten, "die nicht mit den Grundwerten unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung in Einklang stehen. Antisemitische, rassistische Äußerungen disqualifizieren diese Mandatsträger, zum Bundesweiten Vorlesetag eingeladen zu werden."
Edmund Jacoby (Verlagshaus Jacoby & Stuart) bringt die Besorgnis der avj-Mitgliedsverlage auf den Punkt: "Ich glaube, dass es in diesem Fall darum geht, Sensibilität dafür zu wecken, dass die Maßstäbe der öffentlichen Moral auch in der Kulturszene sich schleichend zu verschieben beginnen und dass das unsere Aufmerksamkeit erfordert."
Vorstand und Mitglieder der avj haben deshalb die drei Initiatoren des Bundesweiten Vorlesetags aufgefordert, die Einladung an die AfD-Abgeordneten zurückzuziehen und für künftige Aussendungen kritischere Maßstäbe anzusetzen.
Reaktion der Initiatoren
Die drei Initiatoren Stiftung Lesen, "Zeit" und Deutsche Bahn reagierten umgehend auf die Stellungnahme der avj: "Wir nehmen die Kritik an dem breiten Verteiler für Politiker ernst." Die Initiatoren wollen die politische Entwicklung, besonders der AfD, beobachten und ihr Vorgehen 2018 überprüfen. Grundsätzlich solle der Vorlesetag "keine politische Plattform" sein, sondern die Begeisterung am Lesen und Vorlesen wecken.
Die Initiatoren verwiesen darauf, dass Teilnahme "jedem Bürger und jeder Bürgerin offen" stehe, ebenso die Registrierung einer Aktion auf der Website vorlesetag.de. Die Initiatoren des Vorlesetages steuerten die Leseaktionen nicht: "Leiter/innen von Kitas und Schulen üben ihr Hausrecht aus und entscheiden selbst, welche Vorleser/innen in ihre Einrichtungen kommen und lesen."
Kritik auch vom PEN
PEN-Präsidentin Regula Venske hatte bereits auf "Spiegel online" gewarnt, dass die Grundsätze der AfD in Bezug auf kulturelle Vielfalt und Toleranz nicht mit den an Schulen und Kitas vertretenen Leitbildern vereinbar seien. Die Aufforderung zur Beteiligung am Vorlesetag widerspreche selbst den eigenen Grundsätzen der Stiftung. In der Tat wird in den Leitlinien der Stiftung Lesen die "Zusammenarbeit mit Parteien, Institutionen und anderen Gruppen oder Einzelpersonen, die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten oder verbreiten" ausgeschlossen.
Heute beim betreuten Lesen kann so etwas glücklicherweise nicht mehr passieren.
ENDLICH äußern Sie sich auch zu einem Umstand, der seit Längerem bekannt ist und zum Glück bereits vom PEN öffentlich aufgegriffen wurde.
Und verehrte Stiftung Lesen!
Es kann doch wohl kaum sein, dass Sie sich hinter der Leseförderung durch XY zurückziehen wollen? Es geht ja nicht nur per se ums Vorlesen durch irgendwen, sondern auch darum, durch das Lesen und die eigene Haltung Werte rüberzubringen und zu vertreten. Für nicht weniger stehen die vielen Kinder- und JugendbuchautorInnen in Text und Bild, deren Werke durch die AfD populär gemacht werden sollen? Im Ernst? Vortragende sind Menschen, die eingeladen sind, auf der Bühne zu stehen. Sie haben allein deshalb eine besondere Verantwortung, denn ihr Publikum Alt und Jung reagiert auf sie!
Den Urhebern von den Text und Bild, den AutorInnen, sei an dieser Stelle noch einmal ganz besonders für Ihr Engagement, ihren Kreativität, ihre Ausdruckskraft gedankt!
Mit freudlichem Gruß, Heike Brillmann-Ede
1. Die Ermunterung an die AfD-Politiker zum Mitmachen widerspricht den Leitlinien der Stiftung Lesen, wonach die Zusammenarbeit mit Menschen, die rassistisches Gedankengut verbreiten, ausgeschlossen ist.
2. Im Statement wird betont, dass ja immer noch jede Einrichtung selbst entscheiden kann, wen sie letztlich bei sich vorlesen lassen will. Das bedeutet, erst werden AfD-Leute ermuntert, aber die Absagen sollen die Kita- und SchulleiterInnen auf sich nehmen? Wir meinen: Mit einer solchen Praxis werden die AfD-Politiker auch im sehr sensiblen pädagogischen Bereich gesellschaftsfähig gemacht und es wirkt so, als seien sie allgemein akzeptiert, da schon die renommierte Stiftung Lesen etc. sie miteinbezieht in ihre Leseförderaktionen.
(Andersherum wird eher ein Schuh draus: Wären die AfD-Leute nicht angeschrieben worden, wäre es ja trotzdem nicht verboten, sie zu Lesungen einzuladen, wenn eine Kita-Leiterin das unbedingt gewollt hätte.) Kurz: Man kann nicht solche Politiker per Flyer zum Mitmachen ermuntern und sich gleichzeitig per Satzung von ihrem rassistischen Gedankengut distanzieren.
3. Deshalb zieht auch das Argument, wenn man schon demokratisch gewählte PolitikerInnen einlade, müsse man auch alle einladen, für uns nicht. Da die AfD-Werte unmissverständlich gegen die der Stiftung Lesen stehen, hätte klar sein müssen, dass deren Anhänger beim Vorlesetag nichts zu suchen haben. Es steht ja nirgends geschrieben, dass man alle einladen muss. Das war eine Entscheidung, mehr nicht. Man hätte sie anders treffen sollen. Man kann sie revidieren, wenn man das merkt. Dem Image des Vorlesetages würde das nicht schaden, im Gegenteil. Nur wenn es dabei bleibt, dass man hier keine klare Position bezieht, und sei es eben im Nachhinein, wird es beschädigt.
4. Klett Kinderbuch ist ein Verlag im Osten. Wir erleben hier stark und bedrückend, wie das AfD-Gedankengut auch in den Alltag hineinsickert. Wir empfinden die Einladung als ein gefährliches Signal und auch die Wischi-Waschi-Argumentation der Vorlesetags-Initiatoren in ihrem Statement als unangemessen. Wir fordern weiter, dass die Initiatoren ihre Einladung an die AfD-Mitglieder zurückziehen.
Bitte, liebe BuchhändlerInnen und VerlagskollegInnen, schließt euch dem an. Wir finden in dieser Sache eine breite Öffentlichkeit wichtig.
Leider wurden bei dieser Aktion die Urheber mit einem solchen Hungerlohn abgespeist, dass ich mich geweigert habe, mich mit Texten und Illustrationen an dieser Aktion zu beteiligen.
Sie müssen das verstehen, Moral gibts nur dann, wenn sie Brillmann-Ede nichts kostet...
Und DANKE, dass Sie sich geweigert haben, für einen Hungerlohn zu arbeiten. Würden das mehr Autoren und Autorinnen machen, stünde diese Branche besser da...
Vorsicht, Frau Brillmann-Ede hat nichts mit diesen miesen Honoraren zu tun!
Die wurden mir vom Verlag "angeboten".
Ansonsten gebe ich Ihnen recht: wir müssten uns viel öfter weigern, diese o-so-tolle-Aktionen mitzumachen. Aber ich gebe den Mut nicht auf und trommele weiter ...
wenn schon gerne "Heike" Brillmann-Ede, so viel Höflichkeit sollte sein, nicht wahr? Und wie darf ich Sie verstehen? Ich spreche gerade DAFÜR, dass es neben dem moralischen Aspekt eben auch und vor allem um Urheberrechte geht, die es zu bewahren gilt. Nicht jede/r AutorIn ob Text oder Bild dürfte erfreut sein, wenn jemand von der AfD auf seinem/ihrem Werk vorliest.
Was die Honorare im Allgemeinen für die Profis bei Lesung und
Workshop angeht -- nämlich die Kreativen! -- kann nur immer wieder betont werden: Sie leben davon, und das sehr häufig schlecht! Damit sind wir beim weiten Feld von Kultur und Freiberuflichkeit, ein Fass, das an anderer Stelle geöffnet werden muss und immer wieder zu diskutieren ist!
Also bitte keine Missinterpretation dessen, was ich geschrieben habe. Danke!
Mit freundlichem Gruß, Heike Brillmann-Ede