AkS-Jahrestagung

Ein Buch sollte so viel kosten wie ein Schuh

1. Mai 2016
von Börsenblatt
Debatten um Preise, Ausbildung und das Miteinander von Verlagen und Sortimenten, Nele Neuhaus und Marc-Uwe Kling - und viele Anregungen für den buchhändlerischen Alltag: Die Jahrestagung des Arbeitskreises unabhängiger Buchhändler AkS hielt viel Praxisnutzen bereit.

Überraschung beim AkS-Sprecherkreis: Ullrich Engelbrecht, dessen Position turnusmäßig zur Wiederwahl angestanden hätte, kandidierte nicht erneut: "Zum einen, weil wir künftig auch im Sprecherkreis Kosten sparen wollen, zum anderen aus persönlichen Gründen: Meine Frau, die Lehrerin ist, geht für die nächsten drei Jahre in die deutsche Schule in Bilbao - und ich gehe samt Familie mit." Was aus seiner Buchhandlung in Lechbruck wird ist noch offen - für diese Zeit verpachten oder auch ganz verkaufen, das werde ich jetzt angehen." Die zweite Neuigkeit: Aus dem Arbeitskreis unabhängiger Sortimente AkS wird künftig die IGuS, die Interessensgruppe unabhängiger Sortimente - "wir arbeiten nicht mehr, wir interessieren uns", flachste die Schweinfurter Buchhändlerin Franziska Bickel, die als Mitglied des Sortimenter-Ausschusses über die aktuelle Strukturreform berichtete.

Mächtig ins Zeug gelegt hatte sich der Ullstein Verlag als Gastgeber, um die 50 Buchhändler in Berlin mit Gartenempfang, Highlightautoren und Spreeschifffahrt willkommen zu heißen, der AkS-Sprecherkreis bot ein von der thematischen Bandbreite her starkes Programm und das Wetter zeigte sich überraschend von seiner schönsten Seite – „was ja bei uns Tradition ist“, meinte AkS-Sprecherin Iris Hunscheid und wischte die Sorgen von Ullstein-Vertriebschefin Stephanie Martin und Lothar Sand vom Sortimenter-Ausschuss beiseite, die noch am Donnerstag befürchtet hatten, die Schifffahrt durch Berlin könnte wortwörtlich ins Wasser fallen.

Nach einem lockeren Empfang am Freitagabend im Ullstein-Haus zum Kennenlernen, Plauschen und Überlegen, wie man das ein oder andere Problem praktisch lösen könnte (mit Ideen und Tipps handfest dabei: Klaus Kluge von Bastei Lübbe, Mike Röttgen von Arvato, Barsortimenter Stefan Könemann und Anette Philippen vom DuMont-Kalenderverlag) startete am Samstag das Jahrestreffen mit einer Keynote von Deutschlands Krimiqueen Nele Neuhaus.

"Partisanin des stationären Buchhandels"

Ullstein-Verlegerin Siv Bublitz, die als Hausherrin wiederholt auf den Wert von Traditionen hinwies, hatte Neuhaus wegen ihres unerschütterlichen Bekenntnisses zum Sortiment als „Partisanin des stationären Buchhandels“ vorgestellt. Unterhaltsam berichtete die Bestsellerautorin von ihren Anfängen als Selfpublisherin, deren erste Titel sie noch selbst ausfuhr oder über die Fleischtransporter ihres Mannes ausliefern ließ. Nele Neuhaus machte deutlich, wie sehr die Buchhändlerinnen zunächst in ihrer Region und dann Deutschlandweit sie groß gemacht haben und erzählte, wie sie als Kind immer gestaunt habe, „woher die Buchhändlerin weiß, welche Bücher meiner Mutter gefallen – bis ich begriffen habe, wie viele Titel Sortimenter pro Jahr lesen“. Neuhaus erläuterte den Zusammenhang, wie Lesen auch das Schreiben fördert und dass sie eine Stiftung gegründet hat, als sie feststellte, „dass heute viele Kinder zwar technisch lesen können, aber oft die Inhalte des gelesenen Texts nicht verstehen.“

„Ich bin entsetzt, wenn junge Menschen keinen Genuss beim Lesen empfinden, sondern es nur als Zwang wie bei einer Schullektüre sehen“, bekannte die Schriftstellerin und fragte: „Wie bekommt man Menschen, die per se keine Leser sind, in die Buchhandlung? Das wird eine der vordringlichsten Fragen der Zukunft sein.“ Die Atmosphäre im Laden werde zunehmend wichtiger, eine Chance könne sein, wenn die Buchhandlung sich als Treffpunkt etablieren könne. „Für mich sind Buchhandlungen magische Oasen und die schönsten Veranstaltungen solche, wo alle spüren, dass der Buchhändler richtig Lust hat und hinterher trinkt man noch was und redet – das ist toll!“

Indirekt kritisierte sie die Buchtitel, die in ihrer Länge mit unzähligen Worten das Cover füllten: „Quasi als Gegenbewegung nenne ich meine nächsten Roman, an dem ich gerade in der letzten Phase arbeite, ganz schlicht ‚Im Wald‘.“ Er erscheint im Herbst bei Ullstein und wird über 20 Euro kosten: „Es ist völlig angemessen, wenn ein Buch 25 Euro kostet – da arbeiten schließlich neben dem Autor viele Leute daran. Und wenn man für 25 Euro essen geht, was am nächsten Tag vergessen ist – dann hat man an einem Buch doch wesentlich länger! Das müssen wir Autoren und auch die Buchhändler den Kunden klar machen.“

Ein Buch soll soviel kosten wie ein Schuh

Die Preisdiskussion wurde am Nachmittag in einer Podiumsrunde fortgeführt. Georg M. Oswald, selbst Schriftsteller und seit kurzem Leiter des Berlin Verlags, führte zu einem probat vorstellbaren Vergleich: Hanser-Verleger Jo Lendle habe jüngst erwähnt, ein Buch solle soviel kosten wie ein Schuh – „und das bedeutet eine wirkliche Anhebung des Buchpreises“. Einen solchen Preis von 50 Euro würde sie nur bei einigen Kunden durchsetzen können, entgegnete Iris Hunscheid (Buchhandlung Hoffmann in Achim), bekräftigte aber: „Unsere Branche hat sich wegen der so genannten Schwellenangst bislang nicht getraut, Preise zu verändern.“ Sie stellte das Dilemma dar, in der sich die Buchhändlerin der höchst unterschiedlichen Preispolitik der Verlage Tag für Tag befindet: „Wir haben Taschenbücher mit Stanzung, Klappenbroschur und Hotspotlackierung für 9,99 Euro – und dann haben wir erst einmal Erklärungsdruck, warum ein anderes normales Taschenbuch 14,95 Euro kostet.“

Wünschenswert sei eine Anhebung des Durchschnittspreises um zehn Prozent und der Wegfall sämtlicher 99er Cent-Summen, sekundierte Jörg Braunsdorf (Tucholsky-Buchhandlung in Berlin-Mitte): „Wir müssen die Wertigkeit eines Buchs erklären und nicht als dem Digitalen nachrennen.“ Bei nicht wenigen Kollegen, konstatierte Hunscheid, kämen inzwischen keine 8,99er-Taschenbücher mehr in den Laden, weil sie nach ihrer Kalkulation daran nichts mehr verdienten.

Darf nur ein dickes Buch viel kosten?

„Wie schwer ist es denn im Moment, die seit 2001 mehr oder weniger zementierten Preise zu verändern?“ fragte Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir, der die Runde moderierte. Veränderungen seien häufig bestimmten Denkweisen untergeordnet, so die Beobachtung von Ullstein-Verlegerin Siv Bublitz; als ihr Buchhändler die Problematik mit den Rundungen vor zwei Jahren erklärt hätten, habe sie das rasch verstanden und angefangen zu ändern. „Aber natürlich gibt es Preisschwellen und man kann auch nicht sagen: Der Kunde merkt es nicht. Eine solchen Satz will der Kunde nie hören. Deswegen kommt es darauf an, Veränderungen zu kommunizieren und zu vermitteln, dass wertige Bücher auch ihren Preis haben.“ Er habe allerdings schon Schwierigkeiten, einem Kunden die Wertigkeit zu vermitteln, wenn im Modernen Antiquariat nebenan vier Monate alte Titel verramscht würden, merkte Braunsdorf an. „Noch viel problematischer ist aber das Denken vieler Käufer, dass nur ein dickes Buch auch viel kosten darf – als ob der Preis vom Gewicht abhängen würde und nicht von der Ausstattung, dem Papier, den Fotos, Illustrationen etc.“ In diesen Denkmustern verfangen, hätten auch viele Kunden gesagt, beim E-Book fielen doch die Druck- und Papierkosten weg und deswegen dürfe es auch nicht viel kosten. „Wobei“, merkte Georg M. Oswald an, „hier eine Fragestellung noch völlig ausgeklammert ist: Was dürfen denn die Inhalte kosten?“

Theater, Kino, Filme, all das werde subventioniert, die Buchbranche nicht, sagte Siv Bublitz. „Das wissen viele lesende, gut gebildete Mitbürger gar nicht – und genau hier müssen wir mehr aufklären, wie viel Kulturarbeit Verlage und Buchhandlungen täglich leisten.“ Sie merke es an jedem Welttag des Buches, wenn sie Schulklassen die Buchbranche erkläre, wie viel Staunen es gebe – „über Dinge, die für uns ganz selbstverständlich sind.“ Wenn Verlage Preise erhöhten, brauchten sie auch bei Gegenwind die vielen Stimmen aus der Branche, die dann verteidigend einspringen.

Nur der permanente Austausch hilft

Eine der Erkenntnisse der Podiumsrunde: „Oft wissen wir viel zu wenig voneinander.“ Wie man das ändern könne, wollte Moderator Torsten Casimir wissen – er habe in der Schule gelernt, dass man bei den Erklärungen des Mathematiklehrers gedacht habe: Alles klar, nun habe man es verstanden; aber zwei Wochen später habe die Sache doch schon wieder anders ausgesehen. „Wie in der Mathematik“, meinte Iris Hunscheid schlagfertig, „es hilft nur die ständige Wiederholung. Gewohnheiten ändern sich einfach nicht so schnell, höchstens, wenn es richtig weh tut.“ Zu diesen Gewohnheiten gehöre, zu schnell Taschenbuchausgaben auf den Markt zu werfen, sagte Jörg Braunsdorf. „Warum lässt man denn nicht wie die Frankfurter Verlagsanstalt bei Nino Haratischwili das Hardcover einfach weiterlaufen und nimmt den Hardcoverpreis mit, statt wie Matthes & Seitz bei Frank Witzel viel zu früh eine Taschenbuchausgabe herauszubringen?“ Noch lange hätten die Podiumsgäste weiterdiskutieren können, allein die zur Kaffeepause mahnende Stimme einer Ullstein-Mitarbeiterin, „Das Eis schmilzt sonst“ führte zu einem Ende. „Jede Form des Austauschs zwischen Buchhändlern und Verlagsmitarbeitern hilft schon einmal, etwas besser zu verstehen“, zog Georg M. Oswald Bilanz.

Das Känguru ist dabei

Nach Einblicken in die Welt von mymuesli.de durch Mitbegründer Hubertus Bessau („Wir machen einen Laden in Stuttgart auf, weil eine Frequenz von 8000 Kunden pro Stunde samstags super ist – das muss man mit einem teuren Werbebanner online erstmal hinkriegen“) und Best-practise-Beispielen aus Buchhandlungen entführte Ullstein am Abend dann die Buchhändler und ihre Gäste aus Verlagen und Barsortimenten auf die Spree: Auf einer Schifffahrt durch Berlin gab Marc-Uwe Kling akustische Kostproben aus seinen „Känguru“-Bänden – Zugabe, lang anhaltender Applaus wie bei Nele Neuhaus am Vormittag, eine gute Einstimmung in die abendlichen Gespräche.