Andreas Möhlenkamp zur Lesensart-Insolvenz

Eule und Nachtigall

30. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Fall Weltbild / Droege / Lesensart frustriert die Mitarbeiter. Doch es gibt auch Gewinner. Andreas Möhlenkamp, Anwalt und Unternehmensberater, beschreibt die Ambivalenz der Insolvenz - und erinnert an den Verkauf der Siemens-Handysparte an BenQ. Weitere Analysen und Hintergründe zum Fall lesen Sie im aktuellen Börsenblatt 31 / 2015, das am 30. Juli erschienen ist.

Die Eule, auf Büchern hockend, symbolisiert Weisheit und Wissenschaft. Sie schmückt Buchhandlungen und Verlage. Als Vogel der Nacht kündet die Eule zugleich vom ­nahenden Tod. Die Nachtigall dagegen, der »Nachtsänger«, symbolisiert mit lieblichem Gesang Liebe und Glück. »Dem eenen sin Uhl, dem annern sin Nachtigall«, des einen Freud, des anderen Leid: Das ist oft nur eine Frage der Perspektive.

Eine Frage der Perspektive ist auch die Insolvenz der Lesensart Rüdiger Wenk GmbH. Erst im Frühjahr hatte die ­Gesellschaft aus Ahaus 67 Filialen und 400 Mitarbeiter der insolventen, vormals katholischen Augsburger Weltbild-Gruppe übernommen, die seit 2014 mehrheitlich dem Düsseldorfer ­Investor Walter Droege gehört. Nun, so schnell, die erneute ­Insolvenz.

Die Mitarbeiter sind frustriert. Der Buchhandel dagegen kann sich über das wohl endgültige Aus der meisten Lesensart-Filialen nur freuen. Denn auch wenn es keiner offen sagt: Der Buchmarkt braucht keine Läden, die ihre Personalkosten ein zweites Mal über das Insolvenzgeld aus Steuermitteln finanzieren. Der Kampf um die Käufer ist ohnedies schon hart genug. Amazon mag mit unfairen Mitteln kämpfen. Aber den Internetbuchhandel drängt niemand mehr zurück. Der stationäre Buchhandel probt derweil neue Geschäftsmodelle zwischen eigenen Internetangeboten, Qualitätsberatung und Event-Shopping. Das ist Wettbewerb in Zeiten des Strukturwandels.

Und die Mitarbeiter? Mancher mag sich an Siemens und BenQ erinnert fühlen. Siemens hatte 2005 seine Mobilfunksparte an BenQ Mobile, die deutsche Tochter des taiwanesischen Handyherstellers, abgegeben und war »überrascht«, als BenQ Mobile kurz danach Insolvenz anmelden musste. »Überrascht« gibt sich nun auch die Weltbild-Geschäftsführung von der Lesensart-Insolvenz.

Immerhin: Bei Siemens gab es für die Mitarbeiter einen Weg zurück. Die gebotene Unterrichtung über den Betriebsübergang war unwirksam. Zu spärlich, so das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2009, waren die Auskünfte zum Übernehmer BenQ Mobile und zu den Begleitumständen. Anstatt einen Kaufpreis zu erhalten, hatte Siemens an BenQ einen »negativen Kaufpreis« von über 350 Millionen Euro für die Übernahme gezahlt.

Vergleichen lassen sich die Fälle jedoch kaum. Wenngleich nun von einem finanzstarken Gesellschafter unterstützt, war den insolvenzgeplagten Weltbild-Mitarbeitern klar, dass sie vom Regen in die Traufe wechseln könnten. Weltbild-Filialen wurden geschlossen, das Übernahmekonzept der Lesensart GmbH war von Anfang an umstritten, und der neue Anteilseigner ­Rüdiger Wenk war in der Szene unbekannt. Zu hoch werden die Gerichte die Anforderungen an eine wirksame Unterrichtung darum wohl nicht schrauben. Der Weg zurück wäre ohnehin nur kurz.

Kurt Tucholsky schreibt in den Pyrenäenbüchern: »Wat dem eenen sin Uhl is dem annern sin Nachtigall – und welch schöne Sache ist der Krieg.« Die bittere Ironie passt. Im Buchhandel tobt ein Existenzkampf. Die Lesensart-Insolvenz zeigt, dass Sanierungen mindestens ein gutes Konzept und einen kühlen Kopf benötigen. Aber Erfolge stellen sich im Buchhandel nur mit der Nachtigall ein: mit der Liebe zum Buch.

Andreas Möhlenkamp ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Dr. Möhlenkamp & Cie. Unternehmensberatung GmbH. Er war Richter und lange Jahre Hauptgeschäftsführer eines Wirtschaftsverbands. Sein Spezialgebiet sind Unternehmenssanierungen und Eigenverwaltungsverfahren.