Antiquariat

"Man muss antizyklisch denken." Gespräch mit drei Jung-Ladenantiquaren

23. April 2008
von Börsenblatt
Sibylle Wieduwilt (Frankfurt am Main), Walter S. Klügel (Wien) und Stefan Schülke (Köln) haben sich 2007 mit einem Ladenantiquariat selbständig gemacht. Wir haben die drei Unternehmer nach ihren Erfahrungen befragt.
Sie haben alle drei im letzten Jahr den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Beschreiben Sie doch kurz die Besonderheiten Ihres Antiquariats. Wieduwilt: Der Tresor am Römer, den ich im Frühjahr 2007 übernommen habe, ist eines der ältesten Ladenantiquariate in Frankfurt am Main. Auf einer Fläche von circa 150 Quadratmetern präsentieren wir eine Auswahl von schönen und seltenen Büchern des 15. bis 20. Jahrhunderts sowie ein breites Spektrum dekorativer Grafik. Bedingt durch die zentrale Lage – in der Nähe befinden sich einige historische und touristische Attraktionen Frankfurts, Museen und zahlreiche moderne Galerien – haben wir unser Angebot bewusst nicht spezialisiert, sondern versuchen, interessante Titel aus allen Gebieten anzubieten beziehungsweise gezielt für unsere Stammkunden anzukaufen. Schülke: Ich habe mein Ladengeschäft im November 2007 in der Kölner Innenstadt eröffnet. Meine Schwerpunkte liegen auf Kunst- und Künstlerbüchern, Editionen und Vorzugsausgaben, Fotografie, Philosophie und Literatur in Erst- und Gesamtausgaben. Ich habe mein Geschäft in Bezug auf Einrichtung und Präsentation der Bücher hell und offen gestaltet. Es gibt freie Flächen für Kunst oder Fotografie, nicht alle Wände sind zugestellt mit Regalen. Ich möchte besondere Bücher anbieten, wobei das Besondere sowohl im Inhalt als auch in der Gestaltung oder der Seltenheit eines Titels bestehen kann. Zudem versuche ich, Standard- und Übersichtswerke zu Künstlern oder Themen stets vorrätig zu haben. Auch plane ich regelmäßig Veranstaltungen, wie Buchpräsentationen, Verkaufsausstellungen oder Vorträge und Lesungen. Klügel: Seit Mai 2007 besteht mein Antiquariat DRUCKWERK im 7. Bezirk in Wien. In meinem Ladengeschäft biete ich ein breites Angebot von Büchern und Grafiken des 16. bis 20. Jahrhunderts an. Mittlerweile ist eine Auswahl der Bestände im Online-Katalog auf meiner Homepage gelistet. Dieser Katalog wird täglich aktualisiert, momentan sind etwa 2.000 Bücher und Grafiken verzeichnet. Besonderen Wert lege ich aber auf die persönliche Kundenbetreuung und nehme gern Suchlisten entgegen. Wer hat Sie bei der Durchführung Ihrer Pläne unterstützt? Klügel: Bei meinem Schritt in die Selbständigkeit hat mich hauptsächlich meine Partnerin Martina mit Rat und Tat unterstützt. Einrichtung und Dekoration meines Geschäfts habe ich mit ihr geplant und durchgeführt. Auch meine ehemaligen Arbeitgeber und Freunde Andreas Moser und Norbert Donhofer und meine Familie waren mir bei der Gründung meines Geschäfts behilflich. Wieduwilt: Unterstützung erhielt ich in erster Linie von meinem Mann, ohne dessen Hilfe mir die Finanzierung nicht möglich gewesen wäre, und natürlich von meinem früheren Arbeitgeber und Vorbesitzer des Geschäfts, Hans Beyerle. Er hat Kunden und Kollegen frühzeitig auf den Wechsel vorbereitet und steht mir auch heute bei Bedarf mit Rat und Tat zur Seite. Die Zusammenarbeit mit den Banken hatte ich mir leichter vorgestellt, aber diese können unsere Arbeit und die Werte, mit denen wir handeln, nicht einschätzen, so dass es besser ist, ohne Bankenhilfe auszukommen. Schülke: Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Freunde und Kollegen mir bei der Geschäftsgründung mit Rat und Tat zur Seite standen. Besonders meiner Freundin Eva, meiner Kollegin Gundel Gelbert und meinem ehemaligen Arbeitgeber Walther König verdanke ich dabei sehr viel. Welche persönlichen Voraussetzungen bringen Sie mit? Klügel: Ich habe nach einer Buchhandelsausbildung in der Manz’schen Verlags- und Universitätsbuchhandlung in Wien dort zwei Jahre lang das juristische Antiquariat betreut. 1993 bis 1998 habe ich für das Auktionshaus Reiss & Sohn in Königstein im Taunus gearbeitet, anschließend 1999 bis 2004 im Antiquariat Franz Deuticke in Wien und 2005/2006 im Antiquariat Donhofer & Moser, ebenfalls in Wien. Wieduwilt: Meine Ausbildung habe ich 1986 bis 1989 im Zentralantiquariat Leipzig gemacht. 1991 zogen mein Mann und ich von Jena ins Rhein-Main-Gebiet, wo ich beim wissenschaftlichen Antiquariat Detlev Auvermann in Glashütten anfing. 1997 suchte ich mir eine Stelle in einem Ladenantiquariat in Frankfurt am Main. 1998 wechselte ich als Angestellte zum Tresor am Römer. Schülke: Ich habe nach einer Ausbildung bei der Kölner Buchhandlung Walther König über zehn Jahre die dortige Antiquariatsabteilung geleitet. Zwischenzeitlich war ich in Paris für den Künstlerbuchverleger Rik Gadella (Editions Picaron) tätig und dort an der Realisierung der Künstlerbuchmesse ABI/New York sowie der ersten Messe „Paris Photo“ beteiligt. Wie sind die ersten Monate des eigenverantwortlichen Geschäftsbetriebs verlaufen? Was waren die besondere Ereignisse und Herausforderungen? Wieduwilt: Das erste Jahr meiner Selbstständigkeit ist für mich sehr zufriedenstellend verlaufen. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass ich ganz ohne eine Aushilfe nicht zu recht komme, da ich häufiger zu Bibliotheksbesichtigungen fahren muss und diese Termine nicht immer in die Abendstunden oder auf das Wochenende legen kann. Klügel: Die ersten Monate sind sehr rasch vergangen. Ich habe viel Zeit in Ankauf und Bearbeitung neuer Ware investiert. Auch die Betreuung meiner Stammkunden ist zeitintensiv, macht aber enorme Freude. Der Aufbau eines treuen Kundenkreises ist mit Sicherheit eine große, aber schöne Herausforderung. Schülke: Ich bin mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden. Ich hatte bereits drei Veranstaltungen in meinem Geschäft, kürzlich ist mein erster Katalog erschienen, und ich konnte ebenfalls schon einen kleinen Stammkundenkreis aufbauen. Meine Kunden freuen sich, dass es in Köln ein neues Antiquariat gibt. Das Einzige, was mir fehlt – und da stimme ich mit den Kollegen überein – ist wohl etwas mehr Zeit für Ankäufe, Betreuung und Recherche. Der Zeitaufwand für Bürokratisches ist doch enorm. Können Sie zum Stichwort Ankauf etwas verraten? Wie gehen Sie da vor? Und wie sieht es mit Vertriebswegen außerhalb des Ladengeschäfts aus? Wieduwilt: Dadurch, dass der Tresor am Römer schon mehr als 30 Jahre besteht und relativ bekannt ist, wird mir viel angeboten, auch wenn das Meiste nicht für einen Ankauf in Frage kommt. Einzelne Titel oder Grafiken kaufe ich auch ab und an auf Auktionen. Was das Internet angeht, halte ich mich zurück. Interessante Neueingänge werden zuerst meinen Kunden angeboten und kommen erst später ins Netz. Allerdings steht eine eigene Homepage auf der Liste der zu erledigenden Aufgaben. Klügel: Über „Nachschubprobleme“ kann ich nicht klagen. Es werden fast täglich einzelne Bücher, aber auch ganze Bibliotheken angeboten. Außerhalb meines Ladengeschäfts biete ich meine Bücher und Grafiken auf meiner Homepage und im ZVAB an. Für die Zukunft plane ich den Versand von Katalogen. Schülke: Ich konnte in den ersten Monaten bereits drei gute Bibliotheken sowie viele wertvolle Einzelstücke ankaufen. Der Vorteil des Ladengeschäfts ist doch, dass man die Bücher gezielt, aber eben auch „en passant“ angeboten bekommt. Beteiligen Sie sich an Antiquariatsmessen? Klügel: 2008 werde ich bei keiner Messe ausstellen, 2009 möglicherweise bei der Frankfurter Antiquariatsmesse. Die neue Messe in Wien im Herbst werde ich besuchen, vielleicht stelle ich nächstes Jahr dort auch aus. Wieduwilt: Ich nehme an drei Messen im Jahr teil, im Januar an der Stuttgarter Antiquariatsmesse, im Juni fahre ich nach London und im Oktober stelle ich auf der Frankfurter Antiquariatsmesse in der Frankfurter Buchmesse aus. Schülke: Ich werde dieses Jahr an einer oder zwei Antiquariatsmessen in Köln teilnehmen, außerdem an der Frankfurt Antiquariatsmesse. Für das Frühjahr 2009 überlege ich mir zudem die Teilnahme an der Leipziger Antiquariatsmesse. Eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage des Antiquariatsbuchhandels? Wo ist der Optimismus geblieben? Wieduwilt: Sicherlich ist es für uns alle nicht mehr so leicht, obwohl ich zurzeit eher den Eindruck einer leichten Markterholung habe. Ich sehe gute Chancen, durch ein entsprechendes Angebot und persönliche Präsentation vorhandenes Kundeninteresse zu binden und neues zu fördern, was natürlich über ein Ladengeschäft oder einen gewachsenen Katalogkundenkreis besser möglich ist als über das Internet. Klügel: Die Anzahl der Sammler und Bibliophilen ist kleiner geworden, dennoch bin ich zuversichtlich, dass man mit persönlichem Einsatz, Kompetenz und Freundlichkeit einen treuen Kundenkreis aufbauen kann. Ich bin sehr froh, dass ich den Schritt in die Selbständigkeit gewagt habe. Schülke: Die entscheidende Voraussetzung für diesen Beruf ist nach meiner Ansicht die Leidenschaft, die man einbringt und aus der sich vieles andere ergibt, auch der Optimismus. Ich halte es zudem für wichtig, dass man Schwerpunkte setzt, sich spezialisiert, auf die Qualität der Bücher achtet und verbindlich im An- und Verkauf ist. Natürlich hat sich der Antiquariatsbuchhandel grundsätzlich verändert, aber diese Veränderung bringt neue Chancen und Möglichkeiten mit sich. Man muss antizyklisch denken; in Zeiten, in denen so viele Ladenantiquariate schließen, kann es schon wieder kein Fehler sein, eines zu eröffnen! Die Fragen stellte Björn Biester. Tresor am Römer Sibylle Wieduwilt Braubachstraße 32 60311 Frankfurt Tel. 069/281248 Fax 069/282160 Tresor.am.Roemer@t-online.de Stefan Schuelke Fine Books Palmstraße 14 50672 Köln Tel. 0221/27099955 Fax 0221/27099956 Mobil 0173/6486660 mail@schuelke-finebooks.com Antiquariat DRUCKWERK Walter S. Klügel Burggasse 72/4 A-1070 Wien Tel. & Fax +43(0)1/5240647 Mobil +43(0)676/5570126 info@kluegel.at