Antiquariat

Antiquariatskataloge als Dokumente der Buchhandelsgeschichte

2. Juli 2014
von Börsenblatt
Lohnt die Beschäftigung mit und systematische Aufbewahrung von zeitgenössischen Antiquariatskatalogen? Ja, denn es handelt sich um unersetzliche firmengeschichtliche Dokumente! Ein Diskussionsbeitrag.

Jedes Heft der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" verzeichnet auf rund einer Seite in zwei Spalten und in kleiner Schrifttype neue Antiquariatskataloge und -listen sofern sie der Redaktion Antiquariat in Frankfurt am Main in einem Exemplar zugeschickt wurden. Auf diese Weise wird im Zeitalter von Ebay, Booklooker, ZVAB & Co. eine alte Tradition bewusst aufrechterhalten, obwohl die wirtschaftliche Bedeutung gedruckter Antiquariatskataloge schon lange abnimmt. Nur noch ein paar Dutzend Firmen widmen sich hierzulande diesem Vertriebsmittel mit unbeirrtem Elan und hohem inhaltlichen Anspruch – zu nennen sind beispielsweise Winfried Geisenheyner in Münster, Susanne Koppel in Hamburg, Gerhard Gruber in Heilbronn, Ulrich Drüner und J. Voerster in Stuttgart, Hans Schneider in Tutzing, Sabine Keune in Aachen und Wolfgang Braecklein in Berlin. Andere sind längst zu schlichten Listen übergegangen, verschicken PDF-Kataloge und teils sehr ansprechend und zeitgemäß gestaltete E-Mail-Newsletter, unterhalten mehr oder minder avancierte Homepages oder beschränken sich auf Updates ihres Angebots auf den Verkaufsplattformen. (Fairerweise muss an dieser Stelle hinzugefügt werden: der klassische Ladenantiquar hat auch in der Zeit vor dem Internet meist keine Kataloge erstellt, die Vielfalt von Vertriebsansätzen ist kein Merkmal der Gegenwart; und von Auktionskatalogen, die heute aufwendiger denn je produziert werden und sich verstärkt an ein privates Publikum wenden, soll hier keine Rede sein.)

Sterben Antiquariatskataloge also in absehbarer Zeit aus? Darauf sollte man sich wohl nicht festlegen. Die Werbewirkung von Katalogen ist immer noch beachtlich, zudem dokumentieren sie hervorragend die individuelle Leistungsfähigkeit eines Antiquariats. Letzteres gilt sogar für das in jüngster Zeit prosperierende Format des Gemeinschaftskatalogs.

Kataloge als historische Materialbasis

Ein weiterer Aspekt, der zwar kaum Bedeutung für das Tagesgeschäft hat, aber auch nicht irrelevant ist, kommt hinzu: Verkaufskataloge werden in naher Zukunft eine wichtige Materialbasis für eine quellengestützte Geschichte des Antiquariatsbuchhandels sein, wenn man endlich angemessene Kriterien für ihre Erschließung entwickelte und die vorhandenen Informationsbestände fruchtbar miteinander verknüpfte.

Ansätze von privater Seite hierzu sind zumindest den Eingeweihten bekannt. Die Deutsche Nationalbibliothek dagegen ordnet das komplette Gebiet der Antiquariats- und Auktionskataloge in ihren aktuellen "Sammelrichtlinien" unter die von ihr ausdrücklich nicht zu sammelnden "Akzidenzen, die lediglich gewerblichen, geschäftlichen oder innerbetrieblichen Zwecken oder der Information dienen". Müsste man Antiquariatskataloge nicht gerade deshalb möglichst umfassend aufbewahren? Eben weil sie Zeugnisse der geschäftlichen Betätigung eines Branchenzweigs sind, der ansonsten kaum bleibende Spuren hinterlässt, aber für das kulturelle Gesamtgefüge der Gesellschaft eine noch kaum angemessen wahrgenommene Rolle spielt als "unverzichtbare Instanz des Dauerns der Bücher und ihrer unvorhersehbaren Wege" (so Helmut Mayer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute)?

Eine eventuelle Kritik der eben zitierten Richtlinien erübrigt sich, denn bekanntlich verwahrt die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main eine der größten Sammlungen deutschsprachiger Antiquariats- und Auktionskataloge überhaupt, die vor einigen Jahren um eine großzügige Zustiftung eines Kölner Auktionators erweitert werden konnte. Nicht zuletzt wandern dorthin alle in der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" angezeigten aktuellen Kataloge.

Ein Vorschlag

Sehr wünschenswert wäre es, vom bloßen Sammeln ein großen Schritt weiter zu gehen, den Stellenwert insbesondere der Katalogproduktion aus den letzten Jahrzehnten mit nüchternem Blick genauer zu bestimmen und der Erforschung des Antiquariatsbuchhandels nach 1945 endlich den notwendigen Schub zu geben (die großen Katalogen der Hochzeit des Antiquariats im 19. und 20. Jahrhundert, deren Relevanz leichter zu verdeutlichen ist, sind hier also nicht vorrangig gemeint). Vielleicht könnten sehr viele Bemühungen um eine Grundlage für die historische Erforschung des Antiquariatsbuchhandels mit dem Instrument der kooperativ geführten "Gemeinsamen Normdatei" (GND) gebündelt werden. Man schaue sich einmal im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek einmal die Einträge zu Fritz Eggert (1926 bis 1981) oder Fritz Neidhardt (1925 bis 2007) an, deren herausragende Bedeutung für den westdeutschen Antiquariatsbuchhandel unbestritten ist. Einerseits führen die Einträge den Nutzer ein gutes Stück weiter, andererseits bleibt das Bild bruchstückhaft. Wie wäre es denn, wenn in einem auf ein Jahr angelegten Forschungsprojekt die 150 wichtigsten deutschen Antiquarinnen und Antiquare nach 1945 in die GND aufgenommen werden würden (sofern dort nicht vorhanden), jeweils mit Hinweisen auf Verkaufskataloge (Neidhardt ist dann nicht gerade das beste Beispiel…)? Nach Abschluss eines solchen Projekts, auf einer Arbeitstagung vorzubereiten, hätte man, so lässt sich mit einiger Zuversicht vorhersehen, eine erheblich klarere Sicht auf wichtige und fruchtbare Zusammenhänge, die bislang oft wie hinter einer Nebelwand verborgen liegen.

Björn Biester

Eine erweiterte Fassung dieses Beitrags erscheint im September-Heft der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat". Der Verfasser freut sich über Anmerkungen und Ergänzungen: b.biester@mvb-online.de