Auktionen

Deutsch-österreichische Verlagsgeschichte, in Lose aufgeteilt

18. Mai 2016
von Börsenblatt
Am 24. Mai werden bei Sotheby's London Briefe, Briefkopierbücher, Musikalien und Verlagskataloge aufgerufen, die von der Tätigkeit der Musikverlage Wilhelm Zimmermann und Robert Lienau und ihrer Vorgänger zeugen. Ein Beitrag von Archivarin Thekla Kluttig.

In einzelnen Losen zum Verkauf stehen bei Sotheby's (siehe hier und hier) unter anderem musikwissenschaftlich bedeutende Briefkopierbücher des Berliner Musikalienverlags Schlesinger aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Verlagskataloge der Verlage Haslinger, Schlesinger und Lienau sowie Briefe, Musikautographen, Stichvorlagen und Korrekturabzüge bedeutender Komponisten und Musiker wie Jean Sibelius oder Johann Nepomuk Hummel.

Der Musikverlag Schlesinger wurde 1864 von Robert Emil Lienau gekauft, der auf dieser Grundlage den Robert Lienau Musikverlag gründete. 1875 übernahm Robert Lienau auch den Wiener Verlag Haslinger. Erst 1990 wurde der Verlag Robert Lienau an den Musikverlag Zimmermann verkauft. Dieser war 1876 in St. Petersburg gegründet worden, nach jahrzehntelangen Stationen in Leipzig und Frankfurt am Main hat er seit 2013 seinen Sitz in Erzhausen.

Bei den in London zur Auktion aufgerufenen Dokumenten handelt es sich um klassische Geschäftsunterlagen von Musikverlagen, mithin um Reste eines Verlagsarchivs. Von besonderem historischen und musikwissenschaftlichem Wert ist Los 144: Korrespondenz von Adolph Martin Schlesinger (1769–1838) und seinem Nachfolger Heinrich Schlesinger (1810–1879): rund 5.000 Abschriften vom Verlag versandter Briefe, erhalten in vier Briefkopierbüchern, und rund 750 beim Verlag eingegangene Briefe. Sie dokumentieren Beziehungen mit Komponisten wie Beethoven, Mendelssohn und Spohr sowie mit Musikverlegern wie André in Offenbach, Schott in Mainz oder Breitkopf & Härtel und C. F. Peters in Leipzig.

Sotheby's nennt für das Los 144 einen Schätzpreis von 150.000 bis 200.000 britischen Pfund und konstatiert im Katalog: "It is difficult to imagine a more important archive, dealing as it does with the publication of seminal works of Western Music." Nun sind Briefkopierbücher von bedeutenden Verlagen zweifellos von nicht hoch genug einzuschätzendem wissenschaftlichen Wert – jedes ist unikal und unersetzbar für die Rekonstruktion zeitgenössischer Zusammenhänge. Trotzdem erstaunt die Londoner Einschätzung: Den dortigen Fachleuten sollte bekannt sein, dass unter anderem von den Musikverlagen Breitkopf & Härtel und C. F. Peters die Geschäftsarchive weitaus umfangreicher erhalten sind – mit hunderten Briefkopierbüchern und rund 40.000 eingegangenen Briefen aus dem 19. Jahrhundert. Seit Jahrzehnten stehen diese Bestände im Staatsarchiv Leipzig für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung (siehe das Findbuch zum Bestand C. F. Peters hier).

Im Dezember 2014 wurde hier mit Blick auf den Verkauf des historischen Archivs des Mainzer Musikverlags Schott positiv bemerkt, dass das Archivgut von öffentlichen Institutionen übernommen wurde – auch wenn die Aufteilung auf acht Institutionen die Wahrnehmung der verlegerischen Leistungen und Einflüsse beeinträchtige. Die nun zur Auktion anstehende Verlagsüberlieferung ist erheblich disparater - ein Zeugnis bewegter Verlagsgeschichte(n) zwischen Berlin und Wien.

Thekla Kluttig