Ausbildung auf der AkS-Jahrestagung

"Für unsere Generation ist Arbeiten nicht alles"

1. Mai 2016
von Börsenblatt
Beim AkS-Jahrestreffen am Wochenende in Berlin diskutierten die Buchhändler über Erfahrungen in der Ausbildung und dass der Nachwuchs erkennbar andere Prioritäten setzt. Ein Fazit: Wer sich nicht auf die Bedürfnisse der Jüngeren einlässt, steht in zehn Jahren ohne Mitarbeiter da.

Monika Kolb, Bildungsdirektorin des Börsenvereins, machte gleich zu Beginn des Gesprächs im Musiksaal des Ullstein Verlags deutlich, dass schon die demografischen Zahlen Arbeitgeber in Zukunft aus der Komfortzone bringen werden: „Auch mit den Kindern der Flüchtlinge werden viele unserer Grundschulen nicht mehr wie bislang betriebsbereit sein, die Mehrzahl der Schulabgänger wird nach dem Abitur studieren, viele werden auch abbrechen.“ Aufgrund der immer größer werdenden Spezifikationsmöglichkeiten werde die Suche nach dem „richtigen“ Beruf künftig noch mehr Zeit in Anspruch nehmen – „aber die jungen Erwachsenen nehmen sich auch diese Zeit und lassen sich nicht drängen.“

Arbeit und Freizeit müssen kompatibel sein

Catharina Schölzel, Mitarbeiterin bei der Buchhandlung Carolin Wolf in Bruchsal und Sprecherin des Nachwuchsparlaments im Börsenverein, verdeutlichte: „Heute müssen Arbeit und Freizeit miteinander vereinbar sein – das ist uns wichtiger, als sich in ein Korsett permanenten Durcharbeitens pressen zu lassen.“ Für ihre Generation sei Arbeiten nicht alles, was sich Ältere oft gar nicht vorstellen könnten. Anfangs habe sie auch noch gezweifelt, ob nicht das „Schaffen, schaffen“ einfach unabänderlich zum Arbeitsleben dazugehöre, aber ihre Generation stelle das „Weiter so wie immer“ in Frage. „Jetzt arbeite ich 20 Stunden pro Woche und es geht mir super, das ist im Moment genau richtig für mich.“

Melanie Enders, deren Ausbildung im Buchhaus Jansen erst wenige Jahre zurückliegt und die mit einer weiteren Auszubildenden sich vor kurzem mit der Buchhandlung Kapitel 43 (eine Anspielung auf ein Kapitel aus Marc-Uwe Klings „Känguru-Chroniken“) in Rüsselsheim selbstständig gemacht hat, berichtete, dass ihre Eltern lange gebraucht hätten, um ihre Entscheidung für den Buchhandel zu verstehen: „Sie wurden direkt von der Schule in einen Betrieb gesteckt und arbeiten seitdem in ihren Berufen. Dass ich Buchhändlerin werden wollte und folglich nie Spitzengehälter verdienen würde, empfanden sie so, als würde ich mir jede Chance für später nehmen.“ Erst nach und nach hätten sie gemerkt, dass Buchhändlerin für ihre Tochter gut gepasst habe und seien nach der Gründung der eigenen Buchhandlung inzwischen auch richtig stolz.

Das eigene Leben stark selbst gestalten

Eine andere Buchhändlerin aus dem Plenum wies daraufhin, dass man auch mit abgeschlossenem Studium in der Kulturbranche nicht gerade viel verdiene, sie habe das erlebt und sei froh, seit einigen Jahren eine gutgehende Buchhandlung zu haben: „Ich bin einfach zufrieden.“ Schölzel betonte, dass die jungen Erwachsenen heute viel genauer als früher prüften: „Passt das gerade in mein Leben? Ich entscheide, was ich möchte und welchen Schritt ich gehe“. Viele Ältere, meinte Monika Kolb, könnten nicht nachvollziehen, dass Jüngere aus diesen Überlegungen heraus tolle Angebote, Gehaltssprünge und Karrierechancen ablehnten: „Für sie haben dann in diesem Moment andere Dinge Prioritäten.“ Arbeitgeber müssten auf die Vorstellungen der Jüngeren stärker eingehen und eine höhere Flexibilität an den Tag legen, „da können sich weder Buchhändler noch Verleger davor drücken – sonst stehen sie in zehn Jahren ohne Mitarbeiter da.“

Nur 20 Prozent beim Vertreterbesuch dabei

Dass Impulse von außen auf Auszubildende doch auch der Buchhandlung zugute kämen, darauf wies Catharina Schölzel hin. „Beim Nachwuchsparlament werden Reisekosten und Übernachtungen ja bezahlt, es kostet die Betriebe also nur die Freistellung für drei Tage.“ Aber dann hieße es immer wieder: „Nimm dir drei Tage Urlaub, das ist deine Freizeit.“ Das sei grundlegend falsch gedacht: „Von den Ideen und Anregungen, dem Austausch dort profitiere ich in meinem Buchhändlerberuf sehr.“ Sortimenter Veit Hoffmann (Buchhandlung Hoffmann in Achim), der auch für IHKs prüft, monierte ebenfalls, dass in kleinen Ausbildungsbetrieben Azubis gar nicht alles gezeigt bekämen, was leicht möglich wäre. „Wir haben Stichproben gemacht: Nur 20 Prozent der Azubis waren bei einem Vertreterbesuch dabei – so lernen sie die Vielfalt unseres Berufs nicht kennen.“

Die Kennzahlen offenlegen

Viele Buchhändler im Plenum berichteten von ihren positiven Erfahrungen: „Ich sehe Auszubildende als Bereicherung mit ihren auch ungewöhnlichen Ideen“, hielt Margarete Riethmüller (RavensBuch in Ravensburg und Friedrichshafen) fest. „Wir binden sie als Familienbetrieb ein, gehen nach Veranstaltungen miteinander essen und der Freund der Auszubildenden kommt natürlich mit – und so merken wir auch schnell, wenn es ihnen schlecht und wenn es ihnen gut geht.“ Riethmüller legt ihre Zahlen offen, was keineswegs der gängige Fall zu sein scheint. „Unser alter Chef hat mich immer machen lassen, das war super – aber er hat nie über Kennzahlen gesprochen, man wusste einfach nicht, wie der Betrieb dastand, höchstens mal ein ‚Das war ein schlechter Monat‘“, erzählte Katrin Lutz. Sie ist inzwischen Mitinhaberin von BuchMeyer in Reinheim und macht es bewusst anders: „Ich lege unsere Umsatzzahlen für die Mitarbeiter offen. Wenn ich sage: Wir haben im März eine Umsatzsteigerung gehabt, dann ist das ja auch ein Lob für sie, weil sie daran entscheidenden Anteil haben.“

Nicht immer nur nach dem perfekten Azubi suchen

Christine Kiesecker von buch & spiel xy in Geesthacht bildet oft Quereinsteiger aus, was anfangs nicht immer leicht sei; sie müsse dann motivieren und sie bei der Stange halten. „Aber ihre gedanklich anderen Zugänge und Ideen sind fast immer ein Gewinn“. Wichtig sei, dass den Azubis auch eine Chance gegeben werde, dass ihre Ideen gehört und realisiert würden. „Insgesamt müssen wir schauen“, appellierte Kiesecker, „dass wir nicht immer nach dem ‚perfekten‘ Azubi suchen.“

Dem pflichtete Lutz bei und betonte die Wertschätzung, die der Azubi auch spüren müsse, ebenso wie die eigene Begeisterung für den Sortimenterberuf. „Ausbildung steht und fällt“, bilanzierte Monika Kolb, „mit dem Engagement des Ausbilders in der Buchhandlung."