AWS-Tagung in Weimar

Fachbuchhändler führen AWS-Kodex ein

6. Mai 2015
von Börsenblatt
Von "amerikanischen Verhältnissen" bis zur digitalen Selbstzertifizierung: Bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS) in Weimar standen praxisorientierte Themen im Mittelpunkt. Grundsätzlich dominierte bei der dreitätigen Veranstaltung unter dem Motto "Den Erfolg wagen" vorsichtige Zuversicht. Eingeführt werden soll ein AWS-Kodex.

"Die Herausforderung für die kommenden Jahre ist es, die aktuellen Veränderungen aktiv anzugehen". Die Einleitung in Thomas Halbachs Erfahrungsbericht zur Zertifizierung der Bergischen Fachbuchhandlung in Remscheid könnte auch als Tenor der Veranstaltung dienen: Die meisten Vorträge während der diesjährigen AWS-Tagung in Weimar (4.-6. Mai) kreisten im Kern um Optimierungsprozesse und Antworten auf die Herausforderungen eines zunehmend digitalisierten und von neuen ökonomischen Zwängen geleiteten Buchmarkts.

Gleich zwei Referenten präsentierten am Dienstag deshalb Wege der Optimierung von Unternehmen − ein Vorgang, an dessen Ende neben Kosteneinsparungen und einer höheren Rentabilität auch eine bessere Kundenbindung und Wettbewerbsvorteile bei Ausschreibungen stehen können. Neben Halbachs Erfahrungsberichten zur DIN EN ISO 9001-Zertifizierung stellte Sven Wuscher vom Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik das System "Wissensbilanz" zur Selbstzertifizierung vor: Im Unterschied zur DIN-Zertifizierung ein vergleichsweise kurzes und günstiges Verfahren, das vor allem auch für kleinere und mittlere Unternehmen interessant sein dürfte.

"Wir stehen aktuell genau vor diesem Problem", sagte Volker Stuhldreher aus dem Plenum, Geschäftsführer der Kamloth und Schweitzer OHG (Bremen). Durch die anstehende Nachfolgeregelung im Unternehmen stelle sich die Frage, wie sich Wissen an die Mitarbeiter weitergeben lasse, ohne dabei an Kompetenz zu verlieren. "Die Wissensbilanz ist da ein hochinteressanter Ansatz. Die DIN-Zertifizierung ist ja auch eine Kostenfrage und gerade für Einzelunternehmer oft zu teuer."

Probleme der aktuellen Entwicklung kamen unter anderem im Vortrag von Alexander Graff (Schweitzer Fachinformationen, München) zur Sprache. Etwa die Allmacht der Preisgestaltung, die alte Traditionen bricht: Preissuchmaschinen für Einkäufer seien die Zukunft, oft zähle dann nur noch der Preis eines Mediums, sagte Graff. So sei in Zukunft häufiger damit zu rechnen, dass selbst jahrzehntelange Lieferanten in kürzester Zeit ausgetauscht würden, wie das in anderen Branchen bereits üblich sei. Vermutlich gebe es immer öfter "Amerikanische Verhältnisse": Weil die Kunden unter Umständen nach wenigen Jahren wieder wechselten, gebe es Zusatzleistungen nur gegen Bezahlung, die bisher von Lieferanten teils kostenlos angeboten wurden.

"Tradition und Loyalität sind Auslaufmodelle", brachte es Klaus Depenbrock von der eurosoft Informationstechnologie GmbH auf den Punkt. Traditionen würden immer unwichtiger. Eine weitere Stellschraube für Unternehmen sei daher die erfolgreiche Digitalisierung des Handels: Steigende Erwartungen bei den Kunden in Sachen Verfügbarkeit und Liefergeschwindigkeit seien wichtige Herausforderungen, die nur mit ausgefeilten Softwarelösungen umsetzbar seien. Ein Feld, mit dem sich die Buchhändler in Zukunft stärker auseinandersetzen müssten.

Wie tiefgreifend die Veränderungen sind, machten die Ausführungen von Frank Simon-Ritz deutlich, dem Direktor der Universitätsbibliothek Weimar. Die Ausgaben für digitale Zeitschriften hatten sich in seiner Bibliothek zwischen 2005 und 2014 verdreifacht − bei etwa gleichbleibendem Etat. Der Verdrängungswettbewerb sei hier in vollem Gange, Print der Verlierer. Auch die Ausgaben der deutschen Universitätsbibliotheken für Datenbanken hätten sich in diesem Zeitraum verdoppelt.

Über die Rolle von Metadaten referierte Michael Vogelbacher, der Leiter Informationsdienste bei der MVB, am Vormittag. Noch lasse die Qualität der von den Verlagen veröffentlichten Daten oft zu wünschen übrig, sagte Vogelbacher: Besonders bei Angaben über die Lieferbarkeit eines Produkts seien die Informationen oft noch nicht ausreichend aktuell. Ein Umstand, der bei Käufern und Buchhändlern für den meisten Ärger sorgte − wenn Titel nicht geliefert werden könnten, die eigentlich als verfügbar gekennzeichnet seien.

Mit derzeit rund 19 Prozent ist die Zahl der Verlage, die den sogenannten Goldstatus bei ihren VLB-Einträgen erreicht haben, noch recht überschaubar. In einem dreistufigen Modell wird dieser Status nur an Unternehmen vergeben, die ausreichend relevante Daten liefern. Durch die seit Jahrenbeginn geltende Regelung wird sich das nach Einschätzung Vogelbachers schnell ändern: Bis 2016 sollen über die Hälfte der Anbieter auf Gold-Niveau steigen, bis 2017 sollen sogar drei Viertel der Verlage den Gold-Standard erfüllen.

Für bessere Chancen am Markt soll eine Entscheidung der AWS-Mitgliederversammlung sorgen: "Wir wollen künftig einen sogenannten AWS-Kodex einführen", sagte AWS-Vorstandsmitglied Thomas Wich. Dabei verpflichteten sich die Mitglieder, sowohl rechtliche als soziale Standards und Vorschriften umzusetzen. Das seien neben Bereichen wie der Buchpreisbindung auch Mindeststandards bei der Frauenquote oder dem Mindestlohn. Bereits in den kommenden Wochen sollen die Pläne umgesetzt werden. "Dieser Schritt ist ein wichtiges Signal an unsere Kunden und an unsere Partner", sagte Wich. Unter anderem für Bibliotheken sei eine AWS-Mitgliedschaft bereits ein Qualitätskriterium bei Ausschreibungen. Durch das Gütesiegel werde das noch ausgebaut.

Lobende Worte fand Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, für die Pläne der Bundesregierung, die Buchpreisbindung auf E-Books gesetzlich zu verankern. "Diese Klarstellung wird gut tun". Gleichzeitig warnte er vor einem Wegfall der Buchpreisbindung durch die Hintertür der TTIP-Verhandlungen. Das Freihandelsabkommen müsse deutlich transparenter werden. Viele offene und teils kaum lösbare Fragen gebe es jedoch weiterhin beim Thema Mehrwertsteuer auf E-Books.

Ein weiteres Thema waren etwa die von Monika Krieg (Otto Harrassowitz, Wiesbaden) vorgestellten, teils schwierigen Bedingungen bei Ausschreibungen. Der Trend zu kürzeren Geschäftsbeziehungen mache sich auch bei Ausschreibungen bemerkbar, so Krieg: Drei Jahre sei hier in der Regel die Laufzeit der Verträge. Anhand von Beispielen aus dem Alltagsgeschäft zeigte sie den beschwerlichen Weg zum erfolgreichen Zuschlag, der lang und voller Stolpersteine sein kann − etwa durch umfangreiche Dokumentationsvorgaben, nationale Besonderheiten oder schwer erfüllbare Anforderungen. Dennoch plädierte Krieg am Ende für den Mut, sich auf das Wagnis Ausschreibung einzulassen. Beherrschendes Thema war die Swets-Insolvenz, die auch auf einer Podiumsdiskussion am ersten Tag behandelt wurde.

Im Plenum fiel die Resonanz am Ende des zweiten Veranstaltungstages mit rund 120 Teilnehmern durchweg positiv aus: "Die Themen- und Referentenwahl zeigt und spiegelt das ganze Spektrum der wichtigen Themen in der Branche", sagte Jens Otte von der LSL GmbH.