Bachmannpreis / Interview mit Peter Wawerzinek

"Tinte ist mein Herzblut"

30. Juni 2015
von Börsenblatt
"Mit Lust und Laune ein bisschen Fazit ziehen" - das hat Peter Wawerzinek sich für seine Rede zur Eröffnung der 39. Tage der deutschsprachigen Literatur vorgenommen, die heute in Klagenfurt mit der Auslosung der Lesereihenfolge beginnen. Ein Gespräch mit dem Bachmannpreisträger  2010.

Mit dem Gewinn des Bachmann-Preises feierten Sie 2010 eine grandiose Rückkehr auf die literarische Bühne. Ist die Erinnerung daran immer noch etwas Besonderes?Das Bachmann-Wettlesen war ja ein Doppelschlag für mich. Ich bin da zum ersten Mal nach dem Mauerfall hingefahren. Damals kannte ich die literarische Szene gar nicht. Ich wusste überhaupt nicht, was ich da machen soll in diesem Literaturbetrieb, ob ich Liftboy sein würde oder Pförtner, einfacher Arbeiter oder Meister. Das hat sich dann 19 Jahre später eindeutiger gezeigt, dass der Literaturbetrieb nicht das entscheidende ist, sondern die Aufmerksamkeit, die man bekommt, für sich als Person, aber auch für das Werk. Das war mir wichtig. Ich war ja auch schon 55 Jahre alt.

Vielen Beobachtern kam seinerzeit das Bild vom Phönix aus der Asche in den Sinn.Das war auch das Konzept. Ich wollte nach den langen Jahren der Therapie in die Literatur zurückkommen, auf mich aufmerksam machen und alles, was ich vorher gemacht hatte, in ein besseres Licht rücken. Ich wollte nochmal einen Angriff starten und allen zeigen, dass ich doch ein Literat bin. Das war die zweite große Chance, in der Literatur anzukommen, dort zu sein, wohin ich mich immer gesehnt habe. Ich gehöre nicht so viel an Kneipentische und Szene-Underground-Etablissements. Ich möchte gern am Schreibtisch sitzen und arbeiten. Das war, als wollte ein 50jähriger nochmal Rapp-Tänzer werden, schon versponnen. Aber es hat geklappt. Der Bachmannpreis hat viel bewirkt. Ich musste nicht mehr diskutieren. Früher sagte ich immer, ich werde ein ganz Großer, aber da war kein Beweis.

Haben Sie Ihren Auftritt vorher geprobt?Ich war wild entschlossen, auf jeden Fall Eindruck zu hinterlassen und fest davon überzeugt, dass der Stoff dafür geeignet ist. Geprobt habe ich vor allem, damit ich die Zeit einhalte und nicht überziehe. Und ich habe das in verschiedenen Tonlagen ausprobiert, um möglichst intensiv verstanden zu werden. Wichtig war auch das Äußere. Ich hatte mir damals sogar Maßhemden schneidern lassen, die so ein bisschen was Russisches hatten und ein wenig auch wie amerikanische Wanderpredigerkleidung aussahen. Das klingt jetzt wie bei einer Modenschau. Ich habe das damals gemacht, weil ich dachte, das sind wichtige Komponenten der Ausstrahlung. Ich habe auch über die Haare nachgedacht, wie ich mich da bewege, worauf ich mich einlasse, mit wem ich rede, wem ich lieber aus dem Weg gehe.

Was würden Sie heute einem Autor sagen, der Sie um Rat fragt? Was ist tatsächlich wichtig?Ich habe beim vorherigen Mal schon darüber nachgedacht, dass es wichtig ist, da eine Thematik hineinzubringen, die die Juroren interessiert. Man hat ja zuletzt auch gesehen, dass ein bisschen spaßigere, witzigere Autoren Chancen haben, das gab es früher eher nicht so. Auf jeden Fall: Gleich mit Power anfangen, mit etwas, das aufmerken lässt, das ist wichtig. Ich glaube, mit den ichbezogenen Texten kommt man nicht weit.

Nun kehren Sie als Eröffnungsredner der Bachmann-Tage nach Klagenfurt zurück.Ja, das ist für mich etwas ganz Schönes, dass die vom ORF sich überlegt haben, soll der das doch mal machen. Ich habe nicht vor, eine Rede zur Situation der Literatur zu halten, sondern mit meinen 60 Jahren, mit Lust und Laune ein bisschen Fazit zu ziehen. Man kann ja gar nichts anderes mehr machen als schreiben. Für einen neuen Beruf ist man viel zu alt. Meine grundsätzliche Haltung zur Literatur jetzt mal preisgeben zu können, das ist schon großartig. Ich bin erfreut, dass ich drangeblieben bin, dass ich in die Tiefen, bis zum Nullpunkt in einen Schlamassel geraten bin durch den Anspruch, Künstler werden zu wollen. Als ich vor 30 Jahren gesagt habe, ich werde mal ein großer Schriftsteller oder Schreiberling, haben alle nur mit dem Kopf gewackelt. Dass ich es geschafft habe, feiere ich, so wie andere 75. Geburtstag oder 50. Hochzeitstag.

Ihr Rede hat den schönen Titel „Tinte kleckst nun einmal". Ist das eine Feier des wilden Schreibens und Lebens?Da steckt alles drin. Ich habe mich ja angepiekst, die Tinte das ist mein Herzblut. Aber es ist auch was Peinliches dabei. Wenn da eine festliche Tafel ist und jemand kleckert mit Wein oder Kakao herum, dann ist das unangenehm. Die meisten Leute sagen dann: Das kann schon einmal passieren, ist nicht so schlimm. Das ist auch die Grundhaltung, die ich habe: Es ist mir halt so passiert. Das Schreiben, was mir am Unwirklichsten vorkam, wurde für mein Leben bestimmend. Ich hätte lieber Rockstar werden wollen, Comiczeichner, Filmemacher oder gar Schauspieler. Schreiben war das, wovor ich den größten Bammel hatte. Und das andere ist, dass ich an die Grundlagen des Schreibens erinnern will, die Tinte, den Federkiel, dass man nach wie vor sehr diszipliniert, eisern, einsam am Schreibtisch arbeitet.

Interview: Holger Heimann

Die 39. Tage der deutschsprachigen Literatur finden vom 1. bis 5. Juli in Klagenfurt statt. Auf Einladung der Jury lesen 14 Autorinnen und Autoren aus Österreich, der Schweiz und Deutschland: Anna Baar (Klagenfurt), Michaela Falkner (Wien), Valerie Fritsch (Graz), Teresa Präauer (Linz) und der aus Kärnten stammende, in Berlin lebende Peter Truschner treten aus Österreich an. Für die Schweiz liest Dana Grigorcea, die in Bukarest geboren ist und in Zürich lebt, und der Berner Jürg Halter. Tim Krohn ist gebürtiger Deutscher, wuchs aber in der Schweiz auf und lebt im Val Müstair. Nora Gomringer ist Schweizerin und Deutsche, sie lebt in Bamberg. Für Deutschland nominiert ist auch Katerina Poladjan, die in Moskau geborene Schriftstellerin lebt in Berlin. Ebenfalls nominiert wurde Saskia Hennig von Lange (Frankfurt), Sven Recker und Ronja von Rönne (beide Berlin) und Monique Schwitter, die gebürtige Zürcherin lebt in Hamburg.

Livelinks, Porträts der Kandidaten, Autorentexte, Klagenfurter Reden - alle Materialien und Informationen gibt es unter bachmannpreis.orf.at.