Beratungsgespräche bei heiklen Themen

Einfach nur peinlich!

9. Februar 2017
von Sabine Schmidt
Themen wie Sexualität und Tod gehören zu den Minenfeldern, wenn Buchhändler junge Kunden und ihre Eltern beraten sollen. Worauf kommt es in schwierigen Situationen an? Tipps und Erfahrungswerte.

Sie sind verliebt, und dann passiert es wirklich für Manne und Amanda: Dieses "Etwas mehr als Kuscheln" bedeutet ein Gefühlsfeuerwerk für die 13- und 15-jährigen Protagonisten in Mårten Melins Geschichte für Leser ab zwölf, in der es offen um Sexualität geht (Klett, 160 S., 12,95 Euro). Ein großartiger Roman – aber auch ein Problem für den Verlag. "Das Buch wird wenig verkauft", sagt Klett Kinderbuch-Verlegerin Monika Osberghaus ratlos, "dabei weiß ich aus Leseclubs, dass es bei Jugendlichen gut ankommt."

Nicht nur sie weiß, wie brennend sich Jugendliche für Sexualität interessieren. Dennoch verkaufen sich Jugend­bücher zu diesem Thema eher schwer, nicht nur Melins Roman, erschienen im März 2016. Ein Grund dafür ist die Zielgruppe selbst: "Logischerweise will kein Jugendlicher unverblümt auf ­Sexualität angesprochen werden. Schon gar nicht von Erwachsenen", betont Autorin Alexa Hennig von Lange, die gerade ein Buch zum Thema Pubertät schreibt, das im Herbst bei cbt erscheint. Von ihren Lesungen weiß sie, wie Jugendliche ticken, wenn es in Büchern zur Sache geht. "Das ist ziemlich privat und hat direkt mit ihren momentanen Erfahrungen zu tun. Im Anschluss an solche Lesungen braucht es daher nicht zwingend noch ein Gespräch mit dem jungen Publikum", sagt die Autorin. Gute Erfahrungen hat sie mit getrennten Lesungen für Mädchen und Jungen gemacht.

Buchhändlerin Maxi von Zittwitz hat akzeptiert, dass Jugendliche nicht mit Erwachsenen über Sexualität reden wollen. Titel darüber präsentiert sie in ihrer Buchhandlung Mrs. Books in Meerbusch-Lank gelegentlich so, dass junge Leser darin blättern können, ohne aufzufallen oder sich bedrängt zu fühlen. "Das kurbelt den Verkauf nicht übermäßig an. Aber ich glaube, dass sich die Jugendlichen so eher wohlfühlen", meint von Zittwitz. Zudem ist es hilfreich, wenn Jugend­liche schon vorher von einem Titel gehört haben. Am besten über Kanäle, bei denen sie nicht direkt mit Erwachsenen zu tun haben: Folder, Zeitschriften, ­Social Media.

Zielgruppengerechte Cover unterstützen den Verkauf, so die Erfahrung von Jürgen Hees, Leiter der Kinder- und Jugendbuchabteilung bei Herwig in Schwäbisch Gmünd. Ein gutes Beispiel ist für ihn "Eine Woche, ein Ende und der Anfang von allem" (Carlsen, 272 S., 16,99 Euro, ). "Auf den ersten Blick ist klar, dass hier von jungen, coolen Menschen die Rede ist", sagt Hees. "Das Cover von 'Etwas mehr als Kuscheln' wirkt eher kindlich, sodass die Zielgruppe sich nicht angesprochen fühlt." Auch die Umschläge der Serie "Dark Love" (Band 1: 464 S., 9,99 Euro) vermitteln direkt, dass sich hier alles um junge Erwachsene und die Liebe dreht. "Durch das Serienkonzept wissen die ­Jugendlichen bereits Bescheid, worum es geht, und greifen zu", beobachtet Hees. "Anspruchsvollere, differenziertere Titel bleiben dagegen oft liegen."

Katrin Rüger vom Buchpalast in München kommt mit Jugendlichen in ihren Leseclubs ins Gespräch. In der Buchhandlung hat sie es aber häufiger mit Erwachsenen zu tun. Mit Liebesgeschichten oder Sachbüchern zum Thema Sexualität geht sie offensiv um, "auch wenn Mütter selbst 15- oder 16-Jährige am liebsten davon fernhalten wollen".

Offensiv, zugleich behutsam und mit Fingerspitzengefühl: Das ist Rügers ­Rezept. "Im Gespräch versuche ich herauszufinden, wie viel ich einer Mutter über ein Buch zumuten kann, lasse zum Beispiel Sexszenen weg und hebe stärker hervor, dass es ums Erwachsen­werden in all seinen Facetten geht." Das funktioniert, weil sie ihre Kunden sehr gut kennt – und die empfohlenen Titel bei den jugendlichen Lesern ankommen. Allerdings müsse man genau hinschauen, betont Rüger. "Etwas mehr als Kuscheln" zum Beispiel finden die Teilnehmer ihrer Leseclubs gut und sie auch. "Aber das Buch eignet sich nicht für jeden Zwölfjährigen – mancher ist noch nicht so weit."

Titel zum Thema Sexualität sind nicht die einzigen, die besonders viel Fingerspitzengefühl brauchen. Auch mit dem Themenkomplex Sterben und Tod geht Rüger offensiv um. Sie hat mit einem Preisausschreiben für "Überall & Nirgends" (Rieder, 112 S., 25 Euro) geworben: ein Buch mit Gedichten über den Tod, für Leser ab acht. "50 Exemplare haben wir verkauft – und unglaublich intensive Gespräche geführt."

Die Buchhandlung Rote Zora in Merzig und Losheim hat sich ebenfalls auf das Thema Trauer eingestellt – und ein Regal mit entsprechender Literatur angelegt. "Angefangen haben wir damit, dass wir Berufsgruppen eingeladen haben, die mit Kindern arbeiten, Erzieher in Kitas oder Krankenhauspersonal", erklärt Sortimenterin Ingrid Röder. Auf der Internetseite finden Interessenten seitdem eine kontinuierlich gepflegte Titelliste mit Empfehlungen.

Für kleine Kinder empfiehlt Röder gern das Bilderbuch "Über den großen Fluss" (Sauerländer, 32 S., 13,95 Euro): Ein Hase verabschiedet sich von seinen Freunden – für immer. "Entscheidend ist nicht, dass ein Buch genau die Situation eines Kindes spiegelt, auch wenn Eltern oder Erzieher sich das oft wünschen", so Röder: "Viel wichtiger ist, dass ein Buch den Weg zu einem Gespräch öffnet."

Nicht nur Themen, auch Kundenkonstellationen können heikel sein. Andreas Mahr von der Hamburger Buchhandlung Christiansen erlebt das manchmal mit Mädchen, vor allem aber mit Jungen, die ihre Mutter zum Einkaufen begleiten (müssen). Die Mutter will dem Kind ein gutes Buch an die Hand geben, bittet den Buchhändler – über ihren Sohn hinweg – um eine Empfehlung, und der Junge schaltet auf stur. "Kinder und Jugendliche wissen selbst, was sie lesen möchten, und das wollen sie durchsetzen", sagt Mahr.

Wenn Streit in der Luft liegt, hält er sich zurück, gibt aber die Empfehlungen, um die er gebeten wird. "Ich erzähle dann von unseren Leseclubs und erwähne, dass der von mir empfohlene Titel dort sehr gut ankommt." Der Hinweis auf die Peergroup hilft oft. Aber Mahr will seine Empfehlungen dem Gegenüber nicht aufdrängen: "Ich hoffe, dass die Kinder mit einem 'guten' Buch nach Hause gehen. Noch wichtiger ist aber, dass sie es dann auch lesen."

Tipps für heikle Momente – was Buchhändler raten
  • junge Leser mit ihren Bedürfnissen und Befindlichkeiten ernst nehmen
  • Jugendliche im Laden nicht auf das Thema Sexualität ansprechen
  • getrennte Lesungen für Jungen und Mädchen – bei heiklen Themen
  • Jugendliche auf die Erfahrungen der Peergroup, etwa in Leseclubs, verweisen
  • offensiv und mit Fingerspitzengefühl auf Eltern zugehen
  • Mütter behutsam überzeugen, wenn Bücher "nur" unterhalten wollen
  • sich aus Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern heraushalten
  • Kinder einbeziehen, wenn Mütter über deren Köpfe hinweg Bücher aussuchen wollen