Bonner Befindlichkeiten

AWS-Jahrestagung

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Ein kühler Wind weht um graue Häuserecken, die Wolken hängen tief: Bonn präsentierte sich gestern nicht gerade von seiner besten Seite. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS) störte das aber kaum. Sie diskutierten auch am Tag zwei ihrer Jahrestagung mit frühlingshafter Zuversicht – vor nobler Kulisse, im Hotel Maritim in Bonn.
Das Geschäft mit digitalen Medien ist derzeit das am heißesten diskutierte Thema der Branche. Allerdings ist es auch ein heißes Eisen... Doch wie sagt schon der Volksmund: Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Jeder Fachbuchhändler versucht das derzeit auf seine Weise – und die AWS-Tagung wollte hier Unterstützung leisten. Der Titel der diesjährigen Tagung: „Mit E-Content unterwegs zu neuen Handelsprozessen“.


Im Schnelldurchlauf ging es seit Montag durch nahezu alle Bereiche. Neun Vorträge standen auf dem Programm – zum Beispiel über E-Procurement und Katalog-Systeme, über Bibliotheksanforderungen und E-Reader. Dabei zeigte sich einmal mehr: Derzeit dominieren die Fragen; Antworten, wie sie beispielsweise Schweitzer Fachinformationen mit seinem Kunden- und Shopsystem „Connect“ gefunden hat, sind rar. Jörg Pieper, Mitglied der Geschäftsleitung bei Schweitzer, gewährte am Dienstag Einblick in die digitale Strategie des Unternehmens. Piepers Credo lautet, vereinfacht: Kunden wollen alles aus einer Hand – und zwar sofort. »Je elektronischer es wird, umso schneller muss man sein«, sagt er.

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In puncto E-Content ist Schweitzer vielen Wettbewerbern bereits um Längen voraus. Doch so richtig rund läuft das Geschäft auch hier noch nicht. Zum Schluss seines Vortrag formulierte Pieper deshalb einige Wünsche, die sich speziell an Verlage richteten – auch und besonders an den Gesellschafter C.H. Beck. Einer seiner Wünsche bezog sich auf die ISBN-Vergabe (Pieper: »Jeder Titel und jedes Format muss seine eigene ISBN haben.“), ein anderer auf Regelungen zum Digital Rights Management / DRM (Pieper: »Am besten wären Wasserzeichen, zumindest im geschützten Nutzerbereich«). Sein zuletzt genannter Wunsch war hingegen eher als Appell gemeint: »Es sollte keine Einschränkungen für uns im digitalen Geschäft geben«, betonte Pieper – und forderte »alles oder nichts.« Der Fachbuchhandel sei kompetent genug, um im Geschäft mit E-Content zu reüssieren. »Wir sind eine fähige Branche.«

Der Applaus war ihm sicher. Pieper stand auf dem Podium, als er das sagte, und blickte fortwährend auf seine Zuhörer in der ersten Reihe. Dort saßen Philipp Neie, Geschäftsführer Schweitzer Fachinformationen, und C.H. Beck-Verleger Diether Beck nebeneinander und verströmten Zuversicht. Sie dürften sich in den vergangenen Wochen häufiger getroffen haben, um über ein gemeinsames Vorgehen im digitalen Geschäft zu sprechen. Offenbar sind die Probleme beseitigt.

Hätte C.H. Beck seinen Plan wahr gemacht, den gesamten Buchhandel beim Verkauf seiner E-Book-Pakete auszubremsen, wäre auch Schweitzer Fachinformationen beim Aufbau seiner E-Commerce-Schiene empfindlich gestört worden. Öffentlich wollte sich der Verleger nicht zu dem Streit äußern, genauso wenig wie zu den Details der neuen Regelung. Aus Branchenkreisen ist jedoch zu hören: Wer Vertriebspartner für die Plattform Beck-online sei, könne im kleinen Stil mitmachen; Großaufträge wolle der Verlag aber auch künftig selbst abwickeln. Der AWS-Vorstand, der mit einem offenen Brief auf die Misere hinwies, will es jedoch nicht dabei belassen. »Wir setzen darauf, dass uns C.H. Beck noch mehr entgegenkommt«, so Thomas Emig (Wasmuth, Berlin). »Viele Kollegen blieben sonst außen vor.«

Weitere Referenten am zweiten Tagen waren, unter anderen: Klaus Junkes-Kirchen von der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, der über die Nöte der Bibliotheken im E-Kontext sprach (zum Beispiel: »Die Pakete der Verlage enthalten zu viele alte Titel.«) und der Mainzer Professor für Buchwissenschaft Stephan Füssel, der Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter Studierenden zum Thema Mediennutzung mitbrachte (das Fazit: »Sie wollen multifunktionale Geräte und wünschen sich eine Kiosk-Funktion.«) Einen besonderen Applaus bekam Paul Osborn, Vertriebsleiter bei de Gruyter in Berlin – für seine Offenheit und sein klares Bekenntnis zum Vertriebspartner Buchhandel. Osborn: »Für uns war das keine Frage, auch das Sortiment mit einzubinden«. Die Zwischenbilanz: Mit dem Verkauf von E-Content im Paket habe de Gruyter im vierter Quartal 2008 rund 700.000 Euro verdient, so Osborn; rund 30 Prozent über den Vertriebskanal Sortiment.

Mehr als 150 Mitarbeiter aus Sortiment und Verlagen waren bei der AWS-Tagung in diesem Jahr dabei – so lang war die Teilnehmerliste noch nie. Wie es dazu kam? »Wir haben in den vergangenen Jahren einiges bewegt“, meint Dorothea Redeker, zuletzt AWS-Geschäftsführerin. »Das hat sich herumgesprochen.« Redeker hat, wie berichtet, die Geschäftsführung abgegeben, bleibt der AWS aber als Strategieberaterin und Sprecherin erhalten.

Die Jahrestagung endete heute mit einem Bericht von ciando-Chef Werner Christian Guggemos, der über Lesegeräte a lá Kindle referierte, und Vorträgen über das Wohl und Wehe elektronischer Produktinformationen – gehalten von Moritz Hodde vom Dienstleister Newsbooks.de und Mirza Hayit, Geschäftsführer im WRS Verlag (Haufe Gruppe).