Branchenparlament

"Alle Kraft in die Online-Kompetenz des Sortiments"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Wie kann der Buchhandel im E-Commerce und beim E-Book Kompetenz zeigen? Warum braucht das Sortiment eine Metadatenbank - und was genau versteht die Branche unter dem "Prinzip Buch"? Das Branchenparlament, das heute getagt hat, beschäftigte sich mit den großen digitalen Fragen. Und fasste Beschlüsse, die einiges verändern könnten.

Kann der Buchhandel online? Klar kann er das. Wenn die Umstände stimmen. Das meinte jedenfalls Detlef Büttner, Chef von Lehmanns Media, in seinem Initialvortrag "E-Book-Verkauf im Buchhandel", den er vor dem Branchenparlament gehalten hat. Wichtig sei beispielsweise, dass die Kunden für die digitale Welt offen seien. Doch dafür müssten sie erst einmal informiert sein.

Eine Kundenbefragung in seinem Unternehmen habe jedoch ergeben, "dass den Endkunden viele Leistungen des Buchhandels gar nicht bekannt sind". Schon gar nicht die digitalen Angebote. "Häufig ist der Wechsel von print auf digital auch mit einem Wechsel des Handelskanals verbunden, das gilt es zu verhindern", sagte Büttner. Die Buchhändler müssten den Schalter im Kopf des Kunden umlegen und Vorurteile bekämpfen. 

In Richtung der Verlage monierte Büttner, dass viele Häuser ihre digitalen Angebote ohne Einbeziehung des Buchhandels gestalteten, etwa Skoobe (Holtzbrinck und Random House), eMed.de (Springer) oder auch die neue Libri-Tochter eBook.de. Wenn der Handel nicht im digitalen Umfeld Fuß fassen könne, werde er nicht nur weitere Marktanteile verlieren, sondern auf lange Sicht auch sein Geschäftsmodell.

Lehmanns Media selbst geht mit seinem Medienportfolio offensiv um. Die Kunden werden direkt auf die verschiedenen Optionen angesprochen, man versucht, sie in Kontakt mit E-Books zu bringen, beispielsweise bei E-Book-Parties. Digitale Kompetenz wird bei den Mitarbeitern gefördert, Schulungen liefern hier Unterstützung – zwei Mitarbeiter haben gerade einen 70-seitigen E-Book-Ratgeber verfasst, der an die Kunden verteilt wird, wie Büttner berichtete. Die E-Umsatzzahlen zeigten, dass "ein Wachstum zu generieren ist, wenngleich es harte Arbeit ist".

Einen deutlichen Nachteil gegenüber den Konkurrenten Amazon, Apple und Google sieht Büttner im Kopierschutz DRM. "Hier liegt der Hunde begraben". Zehn Prozent der E-Book-Bestellungen führten bei Lehmanns Media zu Support-Anfragen: 90 Prozent davon würden sich auf hartes DRM beziehen. "Solche Fragen stellen sich bei den großen Playern gar nicht." Ein weicher Kopierschutz würde die Geschäfte wesentlich erleichtern.

Weiterhelfen könnten auch einheitliche, verbraucherfreundliche Standards, die von libreka! festgelegt werden sollten, darunter die Frage, wie lange und wie oft der Download-Token bereitsteht, oder wie lange und wie oft ein Buch gedruckt werden kann.

Auch wenn die Erschließung des neuen Marktes in kleinen Schritten vorangeht, ist Büttner zuversichtlich: "Das Digitalgeschäft wird uns perspektivisch die Ergebnisse bringen, die wir brauchen. Allerdings müssen wir alle noch besser werden im elektronischen Vertrieb."

Wolf Dieter Eggert (Hueber Verlag) stellt bei der anschließenden Diskussion die Frage: "Was motiviert uns, massiv ins digitale Geschäft zu investieren, obwohl wir sehen, dass der Umsatz derzeit noch so gering ist?" Die Antwort hatte der Parlamentsvorsitzende Matthias Ulmer parat: "Den Umsatz zu betrachten, bringt nichts. Wichtig sind die Deckungsbeiträge, die um ein Vielfaches höher sein können als bei den Printprodukten."

Das Branchenparlament hat sich den oben angeführten Forderungen von Büttner angeschlossen und folgenden Beschluss gefasst: Das Branchenparlament appelliert an die Mitglieder des Börsenvereins, insbesondere die Verlage

  • Daten für E-Books auf allen Plattformen gleichzeitig hochzuladen und dabei Libreka nicht hintenanzustellen
  • die Standardisierung der Formate und Prozesse voranzutreiben,
  • auf hartes DRM zu verzichten und auf weiches umzustellen.


Eine Metadatenbank für den Buchhandel

"Die Kernkompetenz des Buchhandels, der Nachweis und die Bestellung aller lieferbaren Titel geht im Netz verloren": Diese These formulierte der Tübinger Buchhändler Hermann-Arndt Riethmüller. Ziel müsse es sein, auch im Internet auf die gesamte Titelvielfalt zugreifen zu können. Der Sortimenter berichtete aus der Arbeitsgruppe, die die Hauptversammlung im Juni in Sachen VLB-Daten für den Buchhandel beauftragt hatte. Die AG hat bereits einige Forderungen formuliert:

• Die VLB-Nutzungskosten für kleine Buchhandlungen sollen drastisch gesenkt werden

• Die VLB-Gebühren sollen abhängig vom Sortimentsumsatz festgesetzt werden

• Die großen Datenabnehmer sollen mehr Gebühren zahlen müssen

• Mitglieder des Börsenvereins sollen besser gestellt werden als Nichtmitglieder

• Aktuelle Lieferbarkeit und umfangreicher Titelnachweis sollen in einer Datenbank vereint werden.


Riethmüller wies darauf hin, dass alle Titel in allen verfügbaren Darreichungsformen  über eine Oberfläche erschlossen werden müssten, deren Usability dem modernen Standard entspreche. Außerdem müsse sich konkret darstellen lassen, welche Titel vorrätig sind, über Nacht besorgt werden können etc. Um diese Maßnahmen zeitnah und kostengünstig umzusetzen, hat Riethmüller Forderungen vorgetragen:

  • Die Verlage erkennen an, dass das Sortiment durch ein kostengünstiges Angebot in der Lage sein muss, seinen Kunden die Daten anzubieten
  • Die MVB solle auf kostenpflichtige Versuche verzichten, mit Webshops in Konkurrenz zu bestehenden Angeboten zu treten
  • Die MVB solle das elektronische Verzeichnis günstig zur Verfügung stellen
  • Die Barsortimente sollen die VLB-Daten integrieren
  • Das Sortiment verpflichtet sich, auf Kundenwunsch jeden Titel zu bestellen.


»Wir sollten mutig als gesamte Branche versuchen, unser einzigartiges Vertriebsnetz, zu erhalten. Dazu müssen alle bereits ein, die Online-Kompetenz des Sortiments zu stärken«, so Riethmüllers Appell.

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, sprang Riethmüller bei: "Mir brennt das Thema sehr unter den Nägeln. Alle schauen auf den Namen Amazon – und es ist schon fast ein Kamikaze-Unterfangen, wenn man meint, dass ein einzelner Branchenteilnehmer allein Amazon paroli bieten könne." In der Forderung einer Metadatenbank stecke "Gemeinsamkeit" und "wer das Sortiment nicht unterstützt, der sägt den Ast ab, auf dem er sitzt". Es sei nicht länger hinnehmbar, dass Sortimenter mit unzureichenden Werkzeugen arbeiteten.

Auch zum Thema Metadatenbank hat das Branchenparlament einen Beschluss gefasst und Riethmüller unterstützt: Es bittet den Vorstand, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die das Konzept einer Metadatenbank ausarbeitet unter Beteiligung aller Sparten,

  • der Sortimenter zur Definition der Anforderungen,
  • des Zwischenbuchhandels für eine breite Beteiligung und
  • der Verlage für eine nachhaltige Qualitätssicherung.

Das Prinzip Buch

Was ist eigentlich ein Buch? Auch diese Grundsatzfrage in digitalen Zeiten beschäftigte das Branchenparlament. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis hatte vor einiger Zeit den Begriff vom "Prinzip Buch" in die Branche getragen, der von einer Facebookgruppe bereits intensiv diskutiert wurde. Jetzt gehe es um eine weitergehende Präzisierung des Begriffs, der letztlich den Kern der Branche und den Kern der Börsenvereinsarbeit ausmache, so Parlamentspräsident Matthias Ulmer. "Es geht um die Beschreibung der Verbandsmission". Vier Eckpfeiler für das Prinzip Buch skizzierte Ulmer vorab:

  • Fokussierung (die des Autors auf ein Thema, auf das Schreiben, die des Lesers auf das Lesen) 
  • Textlichkeit (in Abgrenzung zu Theater, bildender Kunst, Film)
  • Abgeschlossenheit
  • Storytelling (lineares Erzählen, Lesen in Abgrenzung etwa zur Datenbank)

"Natürlich gibt es an jedem Punkt Grauzonen, über die man lange diskutieren kann", so Ulmer. Und es gebe Ränder, an denen die Branche auch ihr eigenes Handeln in Frage stellen müsse - etwa, wenn die Verlage Satzarbeiten an den Autor übertragen (Stichwort Fokussierung) oder Buchhändler Nonbooks zu großes Gewicht im Sortiment geben (Stichwort Textlichkeit).

Bei der Definition des "Prinzips Buch" gehe es nicht zuletzt darum, den potenziellen Mitgliederkreis des Börsenvereins zu definieren - etwa, wenn angedacht werde, sich für neue Gruppen wie Autoren oder Druckereien zu öffnen. Auch das hänge vom Kern, vom Leitbild ab, dem sich der Börsenverein verpflichtet fühle.

Ulmer warb dafür, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit dem "Prinzip Buch" beschäftigt - und Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis unterstützte seinen Vorschlag vehement: "Unser USP, unser Alleinstellungsmerkmal besteht schon längt nicht mehr darin, Papier zu bedrucken. Wir müssen das, was die Branche heute ausmacht, haarscharf definieren". Das Branchenparlament schloss sich diesem Plädoyer an. Es forderte den Vorstand dazu auf, eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des „Prinzip Buch“ einzusetzen und bis zum Branchenparlament im April dazu einen ersten Bericht vorzutragen. Der Arbeitsgruppe sollen alle Sparten, aber auch Leseforscher und Marketingfachleute angehören.

Buchmarketing - ein Update 

Skipis gab dem Branchenparlament zudem ein Update zu einem weiteren Großprojekt des Verbands: Dem geplanten Buchmarketing, das zur Leipziger Buchmesse starten soll. Er dankte dem Branchenparlament noch einmal dafür, dass es im April eine klare Empfehlung für die Kampagne abgegeben habe, der sich im Juni dann auch die Hauptversammlung angeschlossen hat.

Mittlerweile habe die beauftragte Agentur Zum Goldenen Hirschen gemeinsam mit dem Verband eine Kampagnenidee entwickelt, die dem Länderrat und dem ehrenamtlichen Beirat fürs Buchmarketing präsentiert worden sei.  „Die Kampagne ist sehr frech und provokant“, so Skipis – sie warne augenzwinkernd vor Büchern, vor dem Buchhandel, „denn Bücher können ein ganzes Leben und sogar die Welt verändern“.

Diese Idee, die beim Betrachter das Kino im Kopf in Gang setze, lasse sich gut für die verschiedenen Warengruppen abwandeln. Über Mitmach-Aktionen soll das Publikum selbst ein Teil der Kampagne werden. Fotokabinen werden auf Messen und Märkten Station machen, ein Wettbewerb prämiert die besten Beiträge, mit denen die Leser sich im Rahmen der Kampagne selbst in Szene setzen. 

Wichtig: „Wir wollen keine xbeliebige Kampagne, sondern eine Bewegung in Gang bringen“, sagte Skipis: „Und wir selbst, wir alle sind die Kampagne, die Bewegung“.

Verlage und Buchhandlungen bekommen ein kostenloses Starterpaket an die Hand. Zu den Kooperationspartnern gehört die Buchmesse Leipzig – für Skipis ist Leipzig ohnehin der ideale Ort, um eine solche Kampagne in Gang zu setzen. Die Stadt, von der 1989 mit den Montagsdemonstrationen die Wendebewegung ausging, sei schließlich ein wunderbares Beispiel dafür, welche Kraft Bücher und Ideen entwickeln könnten.

„Spiegel“-Bestseller-Liste für Paperbacks

Ebenfalls ein Thema im Branchenparlament: Die dritte Bestsellerliste, die der „Spiegel“ seit Oktober für Paperbacks herausgibt. Frank Sambeth von Random House warb vor den Kollegen dafür, die Liste nach Kräften zu unterstützen. „Denn Bestsellerlisten sind eines der besten Marketinginstrumente, wie wir alle wissen. Sie bringen Bücher ins Bewusstsein der Kunden“.

Die neu geschaffene Paperback-Liste gehöre zu den umsatzstärksten der drei belletristischen Charts. „Das rechtfertigt eine Präsentation in Toplagen im Handel, macht sie sogar unabdingbar“. Die Verlage wiederum müssten attraktive Bücher für das Segment produzieren.

Zum Thema Bestsellerlisten gab es allerdings auch kritische Anmerkungen: Der SoA-Vorsitzende Thomas Wrensch ist zwar „dankbar für die Listen“, bedauerte jedoch, dass er die Charts derzeit nicht mehr kostenlos in den Webauftritt seiner Buchhandlung einbinden könne.

Der Hanauer Buchhändler Dieter Dausien kritisierte, dass die dritte Liste nur für eine „Verkomplizierung“ sorge. „Denn sortiert wird nach Kriterien, die den Leser gar nicht interessieren“.  Markus Klose von Hoffmann & Campe sieht dagegen die Gefahr, dass das Sortiment die Bestseller auf der hinteren Plätzen nicht mehr präsentiert – „die Listen leiden darunter, wenn der Buchhandel die Titel nicht in der Tiefe nutzt - was für die Hardcoververlage ein Problem ist“. 

Nichtsdestotrotz verabschiedete das Branchenparlament folgenden Appell an die Mitglieder:

„Die Titel der dritten Liste gehören zu den umsatzstärksten aller drei Listen, was eine Präsentation/Positionierung in den Toplagen mehr als rechtfertigt, gar unabdingbar macht. Die Broschur ist für bestimmte Genres eine sehr populäre und zeitgemäße Ausstattung zu attraktiven Ladenpreisen, sowohl für den Händler als auch den Leser. Und sie hat erheblich an Bedeutung gewonnen. Das Branchenparlament bittet unseren Medienpartner „Der Spiegel“, den Aufbau der Popularität der 3. Liste durch Werbung zu unterstützen. Sortimenter und Verlage fordert das Parlament auf, mit dem Medienpartner „Der Spiegel“ offensiv umzugehen, die 3. Liste als Frequenzbringer zu nutzen und somit als wichtiges Instrument im Ringen um die mediale Aufmerksamkeit für das Buch effektiv einzusetzen!

Dabei sollen die bestehenden Hardcover – und Taschenbuchlisten gleichermaßen berücksichtigt werden.“