Buchgestaltung. Ein Interview

»Es muss ganz verrückt sein«

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Grafiker Fritz Gottschalk hat den Schweizer Pass gestaltet – und die Cover für den Frankfurter Verlag weissbooks. Ein Gespräch über geglücktes Design und visuelle Umweltverschmutzung.
Herr Gottschalk, Hand aufs Herz: Mögen Sie Eis in Waffeltüten?
Fritz Gottschalk: Schon, ja. Warum?

Mit dem dritten Programm für weissbooks haben Sie sich von der extrem reduzierten, reinen typografischen Lösung verabschiedet. Musste das so kommen?
Gottschalk: Als Anya und Rainer (Anya Schutzbach und Rainer Weiss, Verleger von weissbooks) zu uns kamen, war die Frage, aus meiner Sicht: Braucht Deutschland einen weiteren Verlag? Und: Was muss man machen, damit der überhaupt wahrgenommen wird? Wahrgenommen werden Sie nur, wenn Sie anders sind als alle anderen. Mein erster Gedanke waren komplett weiße Cover, nur oben in der Ecke ein Verlagsschriftzug, vier, fünf Milimeter. Das ging nicht. Und deshalb haben wir das dann weiter entwickelt, den ersten Pflock eingeschlagen. weissbooks ist am Markt sichtbar. Jetzt geht’s darum, Bücher zu verkaufen! (lacht) Wir haben natürlich auch bis anhin schon gehofft, insgeheim, dass wir alle Rekorde schlagen. Was natürlich nicht der Fall ist. Wir haben, um es neudeutsch zu sagen, einen brand, dem werden wir treu bleiben. Aber hie und da, dem Inhalt entsprechend, einen Kontrapunkt setzen. Umschläge wie der für den „Gelatiere“ können dann wie eine Lampe sein, die blinkt – für Leute, die nur auf Blinken reagieren. Das nächste Mal, oder gleichzeitig, kaufen sie hoffentlich auch ein Buch mit schwarzweißem Cover.  

Gestaltung ist immer ein Spagat zwischen der „reinen Lehre“ und den Marktgesetzen. Ihn immer neu zu vermessen - ist das die Kunst?
Gottschalk: Deswegen bin ich mit Leib und Seele visueller Gestalter. Der Spagat, den ich als Gestalter aushalten muss, macht die Sache doch interessant: Auf der einen Seite das Hochhalten einer gewissen Qualität – und auf der anderen Seite etwas machen, das dem Kunden zum Erfolg verhilft.

Hätte Sie denn eine Karriere als Künstler gereizt?
Gottschalk: Es gibt ja einige Kolleginnen und Kollegen, die später Künstler geworden sind. Max Bill etwa, der war ja ursprünglich Schmuckdesigner. Als Schulbub hasste ich die Schule. Ich wusste nicht, was ich machen wollte, nur eins war klar: Nicht mehr in die Schule! Ich wäre gern an die Kunstgewerbeschule gegangen. Mein Vater, der Buchbinder war und schwere Zeiten erlebt hatte, sagte: Mach das, wenn Du willst. Aber zuerst ein anständiger Beruf! Also habe ich Schriftsetzer gelernt, von der Pike auf. Deshalb meine Liebe zur Typografie – dem Mauerblümchen unserer Zeit.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?
Gottschalk: Typografie ist eine verdichtete Art, etwas auszudrücken. Ich bin auf Inhalt und Text angewiesen. Das hat mich immer fasziniert. Und das Schönste: Wir sind privilegiert! Es kommen Leute zu uns, die im Zweifelsfall noch gar nicht wissen, dass sie ein Plakat, eine Broschüre oder ein Erscheinungsbild wollen – die haben einfach ein Problem. Wir hören zu, reden miteinander, versuchen, etwas zu entwickeln: Das finde ich das Größte, darin liegt so viel Befriedigung, dass man nicht frustriert in die Kunst abdriften muss.

Es gibt aber sicher auch schwierige Kunden ...
Gottschalk: Es gibt furchtbare Kunden, klar. Wir haben hier in Zürich glücklicherweise auch eine Handvoll großartiger Kunden, mit denen wir zum Teil schon über zehn Jahre zusammen arbeiten.

Was in Ihrer Branche nicht gerade üblich ist...
Gottschalk: Das ist die absolute Ausnahme! Es muss auf beiden Seiten stimmen; wir fordern unsere Kunden natürlich! Man  will gefordert werden - nur dann macht man etwas, was hoffentlich ein bisschen über dem Durchschnitt ist. Es öffnet dem Kunden neue Horizonte, Ansätze, die einen Schritt weiter gehen, als er es sich am Anfang gedacht hat.

War das auch der Grund dafür, sich zum ersten Mal auf die Gestaltung eines Verlagsauftritts einzulassen?
Gottschalk: Der Funke zwischen uns ist sofort übergesprungen. Und deswegen die Radikalität. Wir können ja nur machen, was der Kunde zulässt! In diesem Fall war die Tür absolut offen. Und da kommt natürlich noch das Wort „weiss“, und dann kommt „schwarz“... verstehen Sie? Und dann kommt das „w“, um das Internet anzudeuten, unsere Ausrichtung nach vorn. Eines Tages, wenn die Leute auf dem Kindle lesen wollen, sollen sie’s auch tun können. Ich bin bewusst nicht in Buchläden gegangen, wollte nicht analysieren, was und wie’s gemacht wird. Sondern wollte aus dem „Ranzen“ heraus, wie wir Schweizer sagen, versuchen, etwas Neues zu finden.

Je kleiner die Firma, desto mehr Freiheiten? Oder gibt’s solche Glücksfälle auch mit Großen?
Gottschalk: Wenn Sie eine Person haben, die die Macht hat, zu gewissen Sachen „Ja“ zu sagen, können Sie für Bayer oder Volkswagen oder weiß der Kuckuck wen die tollsten Sachen machen.

Alles eine Frage der Chemie?
Gottschalk: Absolut. Sonst geht’s nicht. Man muss die Boje draußen am selben Ort sehen und auf die hinsteuern. Dann braucht es Leute, die von Gestaltung fasziniert sind – nicht unbedingt im Sinne tieferen Fachwissens. Verrückter Weise kommen die meisten Ideen vom Kunden! Nur merken die das meist gar nicht. Man muss begeistern, überzeugen; man muss sich erklären können, damit die Leute intellektuell verstehen, was sie da kaufen und sich identifizieren können. Das kann auch harte Arbeit sein.

Wenn Sie – ohne jegliche Rücksichten – einen eigenen Verlag aufmachen würden: Wie würden Ihre Bücher aussehen?
Gottschalk: Optimal lesbar, ganz bescheiden und absolut minimalistisch. Die Möglichkeiten werden leider so selten ausgereizt! In Europa hat man ja Geld, und ist gewillt, es für etwas Außergwöhnliches, ein bisschen über dem normalen Level, auszugeben. Europäische Kultur. Und dann kommt der Frust: Wir sehen natürlich jeden Tag hundert Sachen, wo wir denken: Dieser Schrott! Wieso muss es so aussehen? In der kommerziellen Welt draußen hat die Optik an Standing, an Wichtigkeit verloren.

Lässt sich das Modewort „Brand Communication“ aus der Wirtschaft auf die Buchbranche, auf das hehre Kulturgut Buch übertragen?

Gottschalk: Absolut. Sie müssen erkennbar werden inmitten tausender von Icons. Es geht nicht drum, dass Kurt Weidemann da mal Regeln für die Leute bei Mercedes dekretiert hat. Sondern darum, dass mit Markenpflege ein gewisser Geist sichtbar gemacht wird. Im Kleinen wie im Großen. Kandinsky hat gesagt: Je mehr Mist, umso besser – damit sich wieder was Neues entwickeln kann! Finde ich toll.

Werbung für Bücher gilt als eher unsexy. Warum? Liegt’s nur am Geld?
Gottschalk: Machen wir uns nichts vor, sie ist meist grausam verstaubt. Kein Gefühl, kein Feuer dahinter. Das Geld-Argument wird benützt, finde ich, obwohl es natürlich oft wirklich wenig ist. Aber eben weil wir wenig Geld haben, muss es doch (fällt ins Schweizerdeutsch) ganz verreckt sind. Das ist die Herausforderung!

Mehr Guerilla-Geist?
Gottschalk: Absolut! Wir arbeiten gerade an einen Jahresbericht für einen Kleider-Discounter. Ich habe nichts gegen billige Kleider. Aber selbst die kann man anständig kommunizieren. H & M machen’s hervorragend! Die haben allerdings auch ein anständiges Budget, nehme ich an.

Sitzen in der Buchbranche die falschen Leute am Drücker? Wird zu wenig über den Tellerrand geschaut?
Gottschalk: Es fehlen einfach Enthusiasmus und Begeisterung und Liebe zur Sache, nicht nur in der Buchbranche. Letztes Jahr bekam ich den härtesten Schlag meiner Laufbahn. Da sagte jemand zu mir: Gottschalk, machen Sie’s nicht zu gut!

Ein Kunde?
Gottschalk: Ein Kunde! Und das ist der Untergang.  

Ist er noch Kunde?
Gottschalk: Ja. Da kommt natürlich mein persönlicher Ehrgeiz ins Spiel. Den Bettel hinwerfen? Nein! Wir versuchen mit allen Mitteln, die Leute aus jener Ecke herauszuholen. Das ist auch ein Teil unserer Aufgabe.

Sie sind seit mehr als 40 Jahren im Geschäft. Wie schafft man es, wach und am Ball zu bleiben?
Gottschalk: Ich kann das nicht rational beantworten. Ich mach’s einfach. Sie müssen mindestens so viel in die Vergangenheit sehen wie in die Zukunft. Wieso ist ein Caravaggio heute noch berühmt? Die Prinzipien wurden nie verlassen! Ich habe immer versucht, den Prinzipien meines Handwerks treu zu bleiben – im Wissen, dass die sich nicht verändern werden. Und habe dann oben drauf versucht, einen gewissen Zeitgeist zu setzen. Wobei es nicht darum geht, „hip“ oder „cool“ zu sein. Das größte auf der Welt ist für mich das Museum of Modern Art, ich gehe immer wieder hin. Yoshio Taniguchi, der Architekt des Erweiterungs-Baus, hat kein Signature-Gebäude hingesetzt, wie es heute en vogue ist. Es ging ihm um die Sammlung...

Der Gestalter darf sich mit seiner Kreativität nicht vor den Gegenstand stellen, um den es geht?  
Gottschalk: Wir sind Wasserträger. Wir transportieren Anliegen und Ideen unserer Kunden von A nach B! Und das muss man anerkennen...

Sie arbeiten mit jungen Designern zusammen. Sind sie ein strenger Chef?

Gottschalk: Einfach ist es mit mir sicher nicht. Wenn es um die Sache geht, wenn ich etwas nicht gut finde, kann ich knallhart sein. Wobei ich das Wort an sich gar nicht mag. Aber: Es muss einfach sitzen. Was ich möchte? Das, was in meinem Bauch sich angesammelt hat, der nächsten Generation weiter geben. Nichts mehr und nichts weniger.

Ein Projekt, was Sie unbedingt noch machen möchten? Ein großer Traum?
Gottschalk: Für Gestalter sind das Sachen, die omnipräsent sind. Die Fluggesellschaft. Die Eisenbahn. Die Post. Ob ich’s schaffen würde? In jedem Fall etwas, das man sieht. Das wäre schon toll. Und zwar nicht wegen dem Ego. Etwas schaffen, mit dem sich die Leute befassen müssen. Jeden Tag.

Sie haben gegen das visuelle Gesumse gewettert, das uns allüberall zudröhnt, sind aber als Kreativer an der Entwicklung von Zeichen, Logos und Bildern beteiligt. John Cage sagte mal: „Nur im Nichts kann alles geschehen.“ Würden Sie gern noch mal die Reset-Taste drücken – alles auf Anfang?
Gottschalk: Man kann es nicht zurückdrehen, leider. Es wird so weiter gehen, bis die ganze Sache explodiert.  

Visuelle Umweltverschmutzung?
Gottschalk: Ich leider sehr darunter. Alle reden von der Klimakatastrophe, aber von dieser visuellen Emission spricht keiner.