Buchhändleraktion

Cleverer Rollentausch

3. März 2015
von Börsenblatt
Buchhändlerin Anne v. Bestenbostel kämpft wie alle Kollegen ihres Fachs gegen den Zeitmangel, da selbst eine kurzzeitige Schließung des Ladens mit großen Einnahmeverlusten verbunden ist. Um trotzdem neue Konzepte ausarbeiten zu können, ließ sie das gesamte Team der Buchhandlung kurzerhand von Stammkunden vertreten.

Frische Ideen entwickeln, im Laden etwas umstellen, alte Zöpfe abschneiden und neue Kunden gewinnen: Viele Sortimenter würden sich gern mit ihrem Team Gedanken über Veränderungen machen – wenn da nicht der ausgefüllte Alltag wäre, der wenig Raum für kreatives Denken bietet. Das Geschäft zu schließen bedeutet Umsatzeinbußen, also gibt’s keine Kreativpause, wird weitergemacht wie bisher. ­Anne v. Bestenbostel hat sich mit diesem Szenario nicht abgefunden, sondern gesagt: Jetzt erst recht! Und mutig noch eins draufgesetzt: »Ich habe den Laden nicht geschlossen, sondern in die Hände meiner Stammkunden übergeben.«

Die Idee hat sie adaptiert: Ihre Sortimentskollegen Margrit Starick in Berlin und Dieter Dausien in Hanau hatten bereits Kunden die Buchhandlungen überlassen, an einem Montag. v. Bestenbostel ging noch einen Schritt weiter – und nahm den zweiten Adventssamstag 2013. »Samstags ruft kein Verlag an, man kann bei Umbreit bestellen, und es ist so viel los, dass man sich nicht langweilt.« Ihre Stamm­kunden hat v. Bestenbostel angesprochen: Ob sie Lust hätten, für einen Tag Buchhändler zu sein? Neun Frauen fanden den Gedanken reizvoll, »bei den Männern hat sich nur einer getraut, aber der konnte nicht an dem Tag«.

Geschickt kommunizierte die Buchhändlerin, der Rollentausch sprach sich in Nordenham herum, sie gab Radiointerviews, die Zeitungen berichteten positiv vorher wie nachher. Ein Teil der samstäglichen Kunden kam extra deswegen, die Kasse stimmte (»Nur an die Warenwirtschaft hab ich sie nicht gelassen.«), die Stimmung war gut, die Frauen hatten Spaß und bekamen als kleines Dankeschön einen Büchergutschein.

Währenddessen tagten Anne v. Bestenbostel und ihr fünfköpfiges Team im 70 Kilometer entfernten Worpswede. Freitag nach Ladenschluss waren sie losgefahren, entspannten im Hotel und sammelten am Samstag unzählige neue Ideen. Es wurde gesponnen, diskutiert, verworfen, auf Machbarkeit geprüft – »am Ende hatten wir einen Haufen Papier und tolle Aktionen«.

Einige Beispiele:

  • ein veganer Kochkurs mit dem Koch eines neuen Restaurants in Nordenham;
  • Glückwunschkarte: Zu ihrem ersten Geburtstag bekommen ­ junge Nordenhamer eine Glückwunschkarte mit einem Büchergutschein. »Ich sammle die Adressen aus der Zeitung«, berichtet Seniorchefin Ursula v. Bestenbostel. »So senken wir die Hemmschwelle, mit dem Gutschein einfach mal in den Laden zu kommen«;
  • eine Marmeladentauschaktion: An einem Sommertag können Kunden neben den Einkoch­büchern ihre Marmeladen und Rezepte tauschen und ins Gespräch kommen;
  • einen Leseklub für 13- bis 16-Jährige ins Leben rufen. »Den haben wir inzwischen gemeinsam mit der Stadtbücherei gegründet«, erklärt »Eventmanagerin« Inga Lüdke, »einmal im Monat trifft sich der ›Book Royal‹«;
  • das Angestellten-WC in eine Kundentoilette samt Wickeltisch umwandeln, und zwar mit Buchseiten tapeziert, sodass man denkt, man sitzt in einem Buch;
  • andere Einzelhändler ansprechen, um beim Weihnachtsmarkt gemeinsam in einer Holzbude jeden Tag einen Adventskalender zu »bespielen«;
  • ein Anti-Fußball-Abend im Juni: »Da kommt eine Frau vom Nagelstudio, eine Stilberaterin und ein Fotograf, der alles festhält, und es gibt Cocktails«, skizziert Ursula v. Bestenbostel die Idee;
  • ein Lieselotte-Bauernhof-Fest auf der örtlichen Kinder- und ­Jugendfarm, inzwischen realisiert. »Ideengeberin war die Bilderbuchfigur von Albert Steffensmeier«, erzählt Lüdke, »Treckerfahren, Schafescheren, verstecken, sich als Kuh anmalen lassen – da kamen Eltern mit ihren ganz Kleinen, Grundschüler, Teens, ein Riesenspaß«;
  • den hässlichen Laternenpfahl und die Regenrinne vorm Laden durch Guerillastricken als Eye­catcher zu verschönern.

Experiment gelungen, Wieder­holung geplant.