Buchhändlerreise „Hell-go-Land“

Reif für die Insel

6. August 2016
von Börsenblatt
Im September bringt Harper Collins Germany den Thriller „Hell-go-Land“ in den Handel. Der Verlag stimmte das Sortiment schon einmal mit einer Buchhändlerreise auf die Insel ein – samt Tatort-Hopping und Lesung von Autor Tim Erzberg. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich niemand Geringeres als der Münchner Literaturagent Thomas Montasser.

"In den USA ist HarperCollins eine starke Marke, die jeder kennt. In Deutschland sind wir auch mit unserem dritten Programm noch nicht so weit“, erläutert Programmleiterin Anne Tente, die vor gut einem Jahr von Heyne zu HarperCollins Germany gewechselt ist. U.a. mit Karin Slaughter hatten die Hamburger schon ein starke Akzente im Spannungssegment mit amerikanischen Autoren gesetzt. Das Team ist nun komplett und will beweisen, dass es auch deutschen Autoren erfolgreich am Markt aufbauen kann.

Vorschusslorbeeren gab es für Thomas Montasser keine. Der Literaturagent hatte ein Manuskript des völlig unbekannten Tim Erzberg in mehreren Verlagen mit den wärmsten Empfehlungen eingereicht, freilich ohne zu verraten, dass es sich um sein eigenes Pseudonym handelte. Das Manuskript überzeugte. „Am Freitag habe ich das Angebot eingereicht, am Montagmorgen kamen die ersten Angebote“, erinnert sich Montasser, während die „Halunder Jet“ die Elbe verlässt und mit 36 Knoten Richtung Insel schaukelt, was nicht alle Teilnehmer der Reise vertragen. Kaugummis gegen Seekrankheit werden ausgeteilt. Die Reling füllt sich mit Passagieren, die im Wind stehen und den schwankenden Horizont fixieren. Unter anderem Piper und der Berlin Verlag sollen auf das Manuskript mitgeboten haben – Montasser gab HarperCollins den Vorzug. „In den anderen Häusern hätte Tim Erzberg hinter anderen bekannten Namen zurückgestanden. HarperCollins möchte mich aufbauen.“ Ein ernstes Lektorat, eine Buchhändlerreise mit vorwiegend norddeutschen Buchhändlerinnen und Buchhändlern auf die Insel und ein großes Gewinnspiel – HarperCollins kleckert nicht, um den Titel nach vorne zu bringen. 50.000 Exemplare des Thrillers will der Verlag in diesem Jahr abverkaufen. Mindestens.

Die Überfahrt dauert mehr als drei Stunden. Die Fahrt durch den Elbe war noch ruhig und abwechslungsreich. Als die "Halunder Jet" die Süßwasserrinne verlässt, wird die See rauer. Immerhin: Trotz angekündigten Regenschauer lacht die Sonne über der Nordsee. Montasser berichtet auf Nachfragen gerne über seinen Werdegang. Spart auch traumatische Kindheitserinnerungen nicht aus. Den trinkenden Stiefvater, der die Wohnung zertrümmerte und niederbrannte. Die Schläge in der Pflegefamilie. Die Gewalt von Mitschülern. Kaum zu fassen, dass der Literaturagent sich so ein sonniges Gemüt bewahrt hat. Vor 27 Jahren gründete er mit seiner Frau eine Agentur. Los ging es im Studium, als er eine juristische Ratgeberreihe für einen Verlag konzipierte. Irgendwann stoppte der Verlag das Projekt. „Ich musste die Autoren plötzlich woanders unterbringen“, erinnert sich Montasser. Heute platzieren Montassers 30 bis 50 Bücher im Jahr. Viele bekannte Autoren sind darunter, bekannte Namen, die sich auf Bestsellerlisten finden. „Aber keine Lizenzen aus dem Ausland. Ein intensiver, persönlicher Kontakt zu den Autoren, das ist unsere Leidenschaft. Das ist interessiert uns.“ Wie er die Zeit findet, nebenher Bücher zu schreiben, ist für Montasser selbst ein Rätsel. „Man trägt den Stoff lange mit sich. Anna Krüger war auf einmal da. Dann musste ich sie näher kennenlernen“, erklärt Montasser. Nach und nach baute sich die Handlung auf. Eine traumatisierte Frau, die als Polizistin auf eine Insel zurückkehrt, um sich den Dämonen ihrer Vergangenheit zu stellen. Ein Wettlauf gegen die Zeit, um einen Psychopathen an einem Mord abzuhalten. Das klaustrophobische Setting der vom Sturm völlig von der Außenwelt abgeschnittenen Helgolands. „Diese Insel ist ein extremer Fleck und zieht extreme Persönlichkeiten an."

Über die Insel führte Detlev Rickmers. Der Neffe des Schriftstellers James Krüss betreibt ein Literaturhotel auf der Insel, ist einer von wenigen Menschen, die noch Helgoländisch sprechen. Er führt die Gruppe zum Oberland, an die Klippen und zurück zum Hafen. Für Montasser war es ein Wiedersehen seit Langem: Zuletzt hatte er als Kind Helgoland einen Besuch abgestattet. „Ich habe bewusst auf eine Recherchereise verzichtet. Ich wollte keinen Regionalkrimi schreiben, sondern einen Thriller und mir dafür die größtmögliche dichterische Freiheit erhalten“, verrät Montasser. 

Ich bin überzeugt, dass man stark sein muss, wenn man hier leben will.“ Den gebürtigen Münchner fasziniert an Helgoland, dass die Insel „ein Nirgendwo mit 1.000 Einwohnern“ ist, aber beladen „mit einem Übermaß an Geschichte, eine Geschichte voll unendlicher Brutalität“, wie Montasser meint. Immerhin wollten die Briten die Insel noch nach zwei Jahre nach dem Krieg mit 7.000 Tennen Sprengstoff in die Luft jagen, nachdem sie zum Kriegsende mit 1.000 Bombern bereits in eine unbewohnbare Mondlandschaft verwandelt hatten. Der "Big Bang" war die größte, menschengemachte, nichtatomare Explosion der Geschichte, heißt es. Das ausgedehnte Tunnelnetz unter der Insel wurde zu weiten Teilen zerstört, doch der Fels widerstand, wenn auch mit tiefen Kratern.

Als die Fähre am Abend wieder die Landungsbrücken ansteuert, hat Montasser nicht nur eine erste Lesung abgehalten, sondern auch sehr viele Fragen beantwortet, ebenso wie das HarperCollins Team. Nach Cuxhaven hat sich die Fähre geleert. Die Gruppe sitzt beisammen, es werden Ideen über „Hell-go-land“-Schaufenster zu den Regionalbuchtagen besprochen. Montasser lässt sich fotografieren, beantwortet geduldig alle Fragen, auch die, die er an diesem Tag schon mehrfach gehört hat. Er spricht mit Leidenschaft über das Schreiben, über das Büchermachen, über den Literaturbetrieb, ohne sich dabei zu wiederholen.

Er verrät, was es mit seinem Spitznamen auf sich hat: „Ich wollte immer Tim heißen. Aber ein Thrillerautor namens Tim? Da musste etwas Schweres her. Am besten ein Berg. Ein Berg aus Erz, ein Erzberg!“, lacht Montasser. „Wird es ein Wiedersehen mit Anna Krüger geben?“, will eine Buchhändlerin wissen. Eine Fortsetzung, meint Montasser, dürfe nicht „abwegig sein“, schließlich sei seine Heldin nur eine Inselpolizistin, keine Kriminalkommissarin. Aber er habe da ein, zwei Ideen, deutet Montasser an. 

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