Buchhändlerreise von mo media nach Berlin

Die organischen Veränderungen einer Metropole

14. Mai 2014
von Börsenblatt
Zur dritten Buchhändlerreise von mo media hatte der Reiseverlag nach Berlin eingeladen. Florian Hunger (Lehmanns Media, Hannover) war am vergangenen Wochenende unter den Teilnehmern, denen neben der Hauptstadt auch der City-Reiseführer "100% Berlin" vorgestellt wurde. Auf boersenblatt.net berichtet er von seinen Erlebnissen.

Das wesentliche Merkmal des hochentwickelten deutschen Reiseführermarkts ist die deutliche Marktführerschaft eines einzelnen Anbieters, dessen unangefochtene Sonderstellung noch von zahlreichen weiteren ambitionierten Verlagen und Vertriebskooperationen wirksam ergänzt wird. Insidern galt es als nicht geringes unternehmerisches Wagnis, als der junge niederländische Verleger René Bego vor zwei Jahren sein von ihm selbst entwickeltes und in seiner Heimat seit beinahe zehn Jahren beispiellos erfolgreiches Reiseführerkonzept durch eine mutige Verlagsneugründung in Berlin auch auf dem deutschen Buchmarkt einzuführen begann. Schon heute darf man seinen neuartigen, dem aktuellen Reiseverhalten vieler Spontanreisenden perfekt angepassten Ansatz eines alterslos "jungen" Reiseführers für metropolitane Kurzreisen, der dessen Benutzer nicht mehr als typischen Touristen erkennen lässt und ihn − auch mit Hilfe einer kostenlosen App für Smartphones − auf eher einheimische Pfade abseits des Massentorismus führt, als bravourös geglückt bezeichnen.

Da aber die verlegerische Vision gegenüber quantifizierter Marktforschung in diesem Marktsegment keinen leichten Stand hat, suchte Bego dabei von Anfang an erfolgreich den Kontakt zu den zahlreichen Skeptikern und ermöglichte es in der ersten Saison zehn Buchhändlern per Bewerbung, den 100% City Guide London zwei Tage vor Ort in der britischen Hauptstadt unter sachkundiger Anleitung der Autorin zu testen. Im letzten Jahr lud sein Verlag zehn weitere Sortimenter nach Dublin ein, und am vorvergangenen Wochenende war der lebhafte Verlagsstandort Berlin Mitte das begehrte Ziel für eine weitere gemischte Gruppe von zwölf Teilnehmern aus dem Buchhandel sowie einigen Pressevertretern.

Nach individueller Anreise am Freitagabend und der willkommenen Gelegenheit, die Hauptstadt zunächst einen Vormittag lang auf eigene Faust zu erkunden, waren die Verlagsräume in der Steinstraße am Mittag der erste gemeinsame Anlaufpunkt, wo die neugierig-gespannten Buchhändler von Verlagsleiter René Bego und seiner Frau, der Foodbloggerin und Autorin des 100% Berlin-Führers Petra de Hamer, herzlich begrüßt und mit zahlreichen selbstgebackenen Tartes verköstigt wurden.

Schon bei seinem Start auf dem niederländischen Markt, der übrigens mit Marken wie Marco Polo, Lonely Planet oder Vis-à-Vis ähnlich hoch entwickelt sei wie der deutsche, habe man ihn vor dem Risiko gewarnt, so Bego während der Vorstellungsrunde. Mittlerweile sei man dort jedoch im wichtigen Segment der Städteführer unangefochtener Marktführer. In Deutschland habe sich besonders die im vergangenen Jahr begonnene vertriebliche Zusammenarbeit mit Travel House Media sehr positiv ausgewirkt. Allerdings sei das mittelfristige Unternehmensziel in Deutschland auch wesentlich bescheidener formuliert als in den Niederlanden.

Ein gemeinsamer Spaziergang durch den Bezirk Mitte führte die Gruppe abseits von Hackeschem Markt oder der belebten Oranienburger Straße durch unscheinbar wirkende Seitenstraßen zu den für das Konzept der Reihe typischen individuellen Anlaufpunkten, die ein so bisher nicht dagewesenes Gleichgewicht zwischen klassischen Sehenswürdigkeiten, originellen Einkaufsmöglichkeiten und außergewöhnlichen Cafés, Bars oder Restaurants präsentieren. Im Restaurant Hartweizen fand der Tag bei angeregtem, kollegialem Meinungsaustausch und italienischen Spezialitäten folgerichtig einen stimmungsvollen Ausklang.

Am Sonntagvormittag begleitete der kiezkundige Stadtführer Markus von Berlin Bike Tour die Buchhändler auf einem zweiten Spaziergang durch den Bezirk Kreuzberg, wo an ebenso faszinierenden wie überraschenden Wegmarken wie dem Künstlerhaus Bethanien, dem ehemals von Rio Reiser besetzten Rauch-Haus, dem Kalin-Garten am Mauerstreifen oder dem Frauenzentrum Schokoladenfabrik noch deutlicher wurde, wie man mit Hilfe des 100% Guides abseits der üblichen touristischen Anlaufpunkte eine fremde Stadt so für sich entdecken kann als wäre sie die eigene. Ein weiteres Erfolgsgeheimnis erläuterte Bego nebenbei: "In der nächsten Auflage wird mindestens die Hälfte unserer derzeitigen Tipps nicht mehr enthalten sein, sondern durch neue ersetzt werden. Es wird ein vollkommen neuer, individueller Reiseführer, der den organischen Veränderungen einer Metropole Rechnung trägt!"

Einen authentischen Einblick in die für Berlin so charakteristische Lesebühnen-Szene erhielten die Buchhändler während eines Regenschauers in den spärlich beleuchteten Kellerräumen des Café Jenseits, wo die Berliner Autorin Sarah Schmidt mit einer exklusiven Lesung aus ihrem neuen Roman "Eine Tonne für Frau Scholz" für viel Heiterkeit und spontanen Beifall sorgte. Das Fazit der Buchhändler am Ende der Reise fiel nahezu einhellig positiv aus. Zwar sei das Konzept nicht auf die Bedürfnisse jedes Kunden gleichermaßen gut anzuwenden, so die übereinstimmende Meinung. Für Kurzreisen jedoch gebe es derzeit kaum eine gleichwertige Alternative auf dem Reiseführermarkt.

 

Der Autor und Buchhändler Florian Hunger bloggt unter http://psychosemit.blogspot.de/.