Buchmesse 2016

Ungeteilte Aufmerksamkeit

29. September 2016
von Börsenblatt
Flandern und die Niederlande präsentieren sich mit zeitgenössischen Positionen aus Literatur und Kunst. Entstanden ist ein vielfältiges Programm, das alle Mediengattungen einbezieht.

Wie plant man an einen Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse, wenn er keine Premiere ist? 1993 waren Flandern und die Niederlande schon einmal Ehrengast in Frankfurt. Fast 25 Jahre sind seither vergangen. Das Projekt­team (Bart Moeyaert, Judith Uyterlinde und Bas Pauw) stand daher vor der Aufgabe, einen neuen Zugang zu wählen, der in anderer Weise die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit weckt. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Frage nach der Identität: »Wer bin ich, wenn ich spreche?« Gleich, ob Flame oder Niederländer: In beiden Ländern wird Niederländisch gesprochen. Also gehören Flamen und Niederländer demselben Sprachraum an. »Dit is, wat we delen«, lautet deshalb das Motto der Gastländer. Was sie noch teilen, ist das Meer, die Nordseeküste, die der künstlerische Leiter des ­Ehrengast-Auftritts, der belgische Kinder- und Jugendbuch­autor Bart Moeyaert, als Motiv für die Gestaltung des Pavillons und des Plakats wählte.

Die niederländischsprachige Literatur will Moeyaert in ihrer ganzen Breite präsentieren. Vor allem die heutige Autoren­generation, die in Deutschland bisher noch nicht den Bekanntheitsgrad hat wie etwa Hugo Claus oder Margriet de Moor, soll in Frankfurt und mehr als 15 anderen deutschen Städten präsentiert werden. Alle Genres werden jeweils durch eine bestimmte Anzahl Autoren aus beiden Ländern vertreten sein: Belletristik, Sachbuch, Lyrik, Kinder- und Jugendliteratur, ­Comic und Graphic Novel. Gemeinsam mit Judith Uyterlinde, der Koordinatorin des literarischen Programms, stellte Moeyaert die Gastdelegation aus 72 Autoren – je 36 aus Flandern und den Niederlanden – zusammen: »Ein schwieriger Prozess, der mehrere Wochen in Anspruch nahm.« Und so werden in Frankfurt, aber auch in Köln, Münster, Leipzig und vielen anderen Städten neue Namen zu entdecken sein, darunter die 1991 ­geborene Lyrikerin Charlotte Van den Broeck, die bisher einen Gedichtband publiziert hat (ein weiterer Band folgt im Januar 2017) und bislang nicht auf Deutsch zu lesen war.

Rekordproduktion der Verlage  
Immens ist die Zahl an Novitäten aus und über Flandern und die Niederlande, die deutschsprachige Verlage zur Buchmesse herausbringen: 454 Titel, davon mehr als 230 Neuübersetzungen. Zum Vergleich: In normalen Jahren sind es im Durchschnitt 85 Neu­übersetzungen. Wichtig war den Organisatoren, Literatur auch zu inszenieren: auf der Bühne, als Teil einer Performance, als literarisches Gespräch.

Aber auch die anderen Künste aus den Niederlanden und Flandern haben innerhalb und außerhalb Frankfurts ihren großen Auftritt: So lädt das Künstlerhaus Mousonturm ein Dutzend Tanz- und Theatergesellschaften zu einem aufregenden, sechs Wochen dauernden Bühnenkunstfestival ein, und die Frankfurter Museen zeigen Ausstellungen namhafter Künstler, etwa der in Amsterdam lebenden Fotografin Fiona Tan (im Museum für Moderne Kunst).

Überraschungen im Pavillon  
Ein Höhepunkt wird der Ehrengast-Pavillon im Messe-Forum sein. Er ist in mehrere ­Zonen aufgeteilt – darunter ein Theater, das täglich zehn verschiedene Programmformate bringt, dazu ein Raum, der nur virtuell gespiegelt wird (Pavillon der Kunstausstellung 1929 von Mies van der Rohe), außerdem ein Kino und der »Strand«, auf dem sich Fundstücke von Schriftstellern finden lassen. Wer sich einen Überblick über die Novitäten aus ­Flandern und den Niederlanden verschaffen möchte, findet im ­Pavillon zudem die Buchhandlung Land in Sicht. Auch an vielen weiteren Standorten auf dem Messegelände sind die Gastländer vertreten, unter anderem mit einigen Virtual-­Reality-Präsentationen. Insgesamt finden in Deutschland rund um die Buchmesse ungefähr 400 Veranstaltungen statt. 

Seit dem 17. September ist im Frankfurter Mousonturm das offizielle Gastlandcafé der Ehrengäste geöffnet. Bis zum 23. Oktober haben Besucher dort die Möglichkeit, abseits des Messe­trubels weit über 100 literarische Titel zu durch­stöbern – bei ­flämischem Bier, niederländischen Matjes und vielen weiteren Spezia­litäten. Wer am Messefreitag noch eine Treppe höher zum Hessischen Literaturforum geht, kann sich bei »Wortküsten und Sprachpolder« neuer Poesie aus den Gastländern widmen. 

Termine

Belletristik
Niederländische und flämische Autoren sind bei zahlreichen Lesungen auf der Messe und in Frankfurt zu erleben. Am 20. Oktober um 12 Uhr sind die Autoren Arnon Grünberg (Foto) und Mark Schaevers im Theater des Gastland-Pavillons zu erleben. Drei flämische Autoren lesen am Messesamstag, 22. Oktober, von 19.30 Uhr bis 21 Uhr in der Zentralbibliothek Frankfurt: Stefan Brijs, Saskia de Coster und Yves Petry. Unter dem Motto »Kunst ist, was wir teilen«, lesen unter anderen Charlotte Van den Broeck, Gustaaf Peek und Bregje Hofstede am 23. Oktober von 15 bis 17 Uhr im Städel.

Sachbuch
»Issue: Europa« heißt eine Podiumsrunde im Theater des Gastland-Pavillons, an der die Sachbuchautoren Geert Mak (Foto), Luuk van Middelaar und Laura Starink teilnehmen – am 20. Oktober von 13.30 Uhr bis 14.15 Uhr.

Poesie
»Polderpoesie & VERSschmuggel« lautet das Motto einer Lyrikveranstaltung im Lesezelt auf der Agora, die Charlotte Van den Broeck (Foto), Anneke Brassinga und Oswald Egger bestreiten – am 19. Oktober von 10 Uhr bis 10.30 Uhr.

Comic & Graphic Novel
Bereits am 17. Oktober (17 – 22 Uhr) wird im Frankfurter Haus am Dom die Ausstellung »SPRACHaufZEICHNUNG – Visuelle Poesie, Comic und Graphic Novel aus Flandern und den Niederlanden« eröffnet. 
Am 19. Oktober von 10 bis 17 Uhr sind im Atelier des Gastland-Pavillons die Illustratoren Ingrid Godon, Gerda Dendooven, Brecht Vandenbroucke und Thé Tjong-Khing bei der Arbeit zu sehen. 
Auf der International Stage (Halle 5.1, A 128) begegnen sich am 21. Oktober um 16 Uhr die Graphic-Novel-Künstler Simon Spruyt (Belgien) und Nicolas Wild (Frankreich). Motto der Veranstaltung: »From one Guest of Honour to another«.

Kinder- und Jugendliteratur
Im Lesezelt auf der Agora treffen sich am 21. Oktober um 10 Uhr die Kinderbuchautoren und Illustratoren Edward van de Vendel, Joke van Leeuwen, Carll Cneut und Peter Verhelst.
Am 21. Oktober um 17.30 Uhr wird im Saal Harmonie des Congress Centrums auf der Messe der Deutsche Jugend­literaturpreis verliehen, begleitet von einer Performance von Joke van Leeuwen.
Im Theater des Gastlandpavillons lesen am 22. Oktober um 14.30 Uhr in der Reihe »New Wave« die Autoren Kathleen Vereecken und Jan de Leeuw.

Buchmarkt
Am 19. Oktober um 15.30 Uhr findet auf der Lowlands Stage in Halle 5.0 die Veranstaltung »Trends und Entwicklungen rund um das gedruckte Buch« statt. Eine Stunde später wird am selben Ort »Sweek«, eine offene Plattform für mobiles Lesen und Schreiben, vorgestellt.
Am 20. Oktober um 16.30 Uhr hält Wiet de Bruijn den Vortrag »Erneuerung des Buches«.