Buchtage Berlin: Diskussion über Meinungsfreiheit, Kunst und Demokratie

"Verlage haben eine große Verantwortung"

14. Juni 2017
von Börsenblatt
Einmischen – und nicht schweigen, weil es schwierig oder unangenehm wird: Zu diesem Schluss kam die Podiumsdiskussion „Kunst & Demokratie: Literatur, Kultur, Zensur“, bei der es um den Einfluss von Kunst und Kultur auf die Politik ging.

Catherine Trautmann (Co-Präsidentin Deutsch-Französischer Kulturrat) trat vehement dafür ein, dass Künstler „intervenieren und sich einmischen müssen“. Zugleich müssten sie frei bleiben gegenüber der Politik. „Es besteht immer das Risiko, dass Künstler instrumentalisiert werden. Kultur stehe regelmäßig vor der Herausforderung, dass man sie nicht für Propagandazwecke missbrauche. Zugleich verwies sie darauf, dass „Sprache Werkzeug ist, das auch töten kann, aber wir dürfen nicht schweigen“. Man müsse die Freiheit der Gedanken schützen und damit auch die Menschen. Ein respektvolles Verhalten sei dabei wichtig. Dies werde jedoch heute in Frage gestellt, statt dessen trete die Gewalt in den Vordergrund.

Einmischung und Unabhängigkeit forderte auch Annette Kulenkampff (Geschäftsführerin documenta und Museum Fridercianum). "Wenn wir die Welt durch die Augen von Künstlern begreifbar machen, ist das automatisch politisch - Kunst kann gar nicht unpolitisch sein." Kunst sei ein Seismograph für gesellschaftliche und politische Zustände und es sei kein Wunder, dass diktatorische Regime Angst vor Kunst hätten. Kulenkampff berichtete vom Parthenon der Bücher, der für die documenta entsteht. Ca. 55.000 auf der Welt verbotene Bücher seien inzwischen zusammengekommen, „erstaunlich, welche Bücher in der Welt alle verboten sind“, meinte Kulenkampff. Gemeinsam mit der Universität in Kassel werde eine Liste der verbotenen Bücher erstellt, die es bislang nicht gibt.

Kulenkampff erläuterte, dass Regime Künstler unter Druck setzen und ihnen etwa finanzielle Unterstützung entziehen würden. „Dies ist eine Form, wie Kunst unmöglich gemacht wird.“ In Deutschland bestehe ebenfalls eine Gefahr für die Freiheit der Kunst. "Wir haben das politische Programm der AfD, in dem steht, dass nur deutsche Kunst in Museen zu zeigen ist", so Kulenkampff. "Das muss man sehr wachsam im Auge behalten."

Myriam Anderson (Lektorin Actes Sud) ging näher auf die Angst ein, die in Frankreich seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo herrscht, einem Angriff auf die Meinungsfreiheit. "Das Attentat war furchtbar für die ganze Gesellschaft", so Anderson. "Es wurden nicht die Intellektuellen angegriffen, sondern Menschen, die Witze erzählt haben, die die etablierte Ordnung ein wenig gestört haben." Dabei müsse es normal sein, Kritik durch Karikaturen äußern zu dürfen. Anderson ging auch darauf ein, dass Wörter einfach umgedreht und zu Lügen gemacht würden, wodurch Fake News entstünden.

Ob die Meinungsfreiheit auch in Deutschland eingeschränkt sei, wollte Moderator Alexander Skipis (Börsenverein) wissen – und befragte dazu Verleger Christoph Links, in dessen Verlag beispielsweise "Unter Sachsen – Zwischen Wut und Willkommen" erschienen ist. Der Verleger musste sich im Vorfeld einer Lesung aus diesem Buch von einem CDU-Stadtrat in Meißen anhören: "Dieser Dreck wird mit Sicherheit nicht in unserem Rathaus gelesen."

Christoph Links sagte, dass "wir uns in Deutschland nicht zurücklehnen können". Das habe jedoch mehr mit Übergriffen oder Einschüchterungsversuchen auf Journalisten zu tun und nicht mit einer Behinderung durch den Staat. Links sieht dem neuen Gesetzentwurf gegen Bedrohung im Netz skeptisch entgegen. "Man muss hier sehr vorsichtig handeln, um nicht die staatlichen Verantwortung an Internetkonzerne zu übertragen." Was strafbar sei, entscheide dann der Plattformbetreiber und nicht mehr der Staat. Damit sei die Gefahr gegeben, dass schnell alles Kritische entfernt werde, um juristischen Auseinandersetzungen zu entgehen. Kritische Journalisten und Autoren könnten dann nicht mehr publizieren. "Wir müssen in Europa besprechen, wie nationale Gesetzgebung internationale Konzerne zur Rechenschaft ziehen kann, ohne Berichterstattung zu blockieren."

Es sei Aufgabe der Verlage, wichtige kritische Texte zu publizieren und in den Diskurs zu bringen. Dazu gehöre auch, dass die Verlage juristisch zu ihren Autoren stehen würden. "Diese Prozesse sind nervend, anstrengend, aber wir dürfen nicht schnell aufgeben, um Konflikte zu vermeiden. Die Verleger haben im Kampf um die Meinungsfreiheit eine hohe Verantwortung."