Buchtage Berlin: Was wird aus den Citys im digitalen Zeitalter?

Entscheidend ist das Flair der Städte

14. Juni 2017
von Börsenblatt
Demografische Entwicklungen, Digitalisierung und ein verändertes Käuferverhalten setzen dem Einzelhandel in den Innenstädten zu. Nicolaus Sondermann vom Institut für Handelsforschung (IFH) referierte auf den Buchtagen in Berlin über die Frage: Verödung oder Zukunftschancen?

Sondermann votierte deutlich für Zukunft. Und das, obwohl die Ausgangslage für innerstädtischen Einzelhandel alles andere als vielversprechend scheint: Seit 15 Jahren liege der Gesamtumsatz des Einzelhandels relativ konstant bei etwa 450 Milliarden Euro, zugleich wachse aber der Online-Anteil stark um elf bis zwölf Prozent pro Jahr, berichtete der Forscher. Was das für die Beurteilung der Einkaufsqualität von Innenstädten durch die Besucher bedeutet, hat das IFH mit einer großen Studie untersucht.

Knapp 60.000 Besucher von 121 Städten aller Ortsgrößen und über das gesamte Bundesgebiet verteilt, wurden im September 2016 dazu befragt. Aspekte waren die Anforderungen und Wünsche der Konsumenten, die Erreichbarkeit des Standortes und die Möglichkeiten des Online-Shoppings.

Sondermann hatte für die Zuhörer auf den Buchtagen relativ gute Nachrichten. Die erste: "Es gibt keine pauschale Wahrnehmung einer Verödung der Innenstädte." Je nach Standort ergaben sich sehr unterschiedliche Bilder. Städte wie zum Beispiel Leipzig, Erfurt, Heidelberg, Hilden, Wismar oder Quedlinburg erhielten von ihren Besuchern zum Teil sogar sehr gute Bewertungen.

Sondermanns zweite Botschaft: "Innenstädte punkten insbesondere mit Ambiente und Flair." Auch das Freizeit- und Kulturangebot, die Erreichbarkeit mit ÖPNV, das gastronomische Angebot und kundenfreundliche Öffnungszeiten seien mit ausschlaggebend für die Beurteilung.

These Nr. 3: "Gebäude und Plätze prägen den Charakter einer Innenstadt." Städte etwa mit historischen Altstädten, mit interessanten Fassaden, mit attraktiven Grünflächen und bekannten Sehenswürdigkeiten haben dem Handelsforscher zufolge deutliche Vorteile im Wettbewerb der Standorte.

Dieser Wettbewerb, so Sondermann in seiner vierten These, "entscheidet letztlich zwischen den Standorten". Auf die Frage, wo Kunden ihre Bücher einkaufen, antworteten über alle Größenklassen fast zwei Drittel: "In den Geschäften dieser Stadt". Diesen Wert hielt der Referent, verglichen mit Werten aus anderen Handelsbranchen, für immer noch sehr gut. Aber immerhin knapp 17 Prozent kaufen in Geschäften anderer Städte, weitere 15 Prozent im Internet; in Großstädten liegt der Online-Wert sogar bei knapp über 20 Prozent.

Der Kölner Einzelhandelsexperte schloss mit einer fünften These, die für Stadtverantwortliche im Grunde eine Handlungsanweisung enthält: "Mit digitalen Services kommen die Städte auch wieder zu mehr Frequenz." Was auf den ersten Blick paradox klingen mag, leuchtet bei näherem Hinsehen sogleich ein: Freies W-LAN, lokale Online-Marktplätze, die Möglichkeit, online bestellte Ware in den Geschäften abzuholen − all dies trägt letztlich zur Aufenthaltsqualität vor Ort bei.