Buchvorstellung

Zum Teufel mit den Utopien

25. April 2016
von Holger Heimann
In Berlin hat Thilo Sarrazin am Montag sein neues Buch "Wunschdenken" vorgestellt. Der Bundesregierung wirft er eine verfehlte Politik vor. Und unterbreitet gleich mal ein paar Vorschläge, wie Deutschland wieder auf den rechten Pfad gebracht werden kann.

Beinah die Hälfte der Plätze blieb leer im Tagungswerk Jerusalemkirche in Kreuzberg, wohin die DVA zur Vorstellung des neuen Buches von Thilo Sarrazin eingeladen hatte. Der Autor, der womöglich den Streit einfach mag, provoziert zwar auch in seinem neuen Buch, in dem er die deutsche Flüchtlingspolitik abkanzelt, aber das haben vor ihm schon andere getan. Nach der Kontroverse um seinen hitzig diskutierten Bestseller "Deutschland schafft sich ab" (1,5 Millionen verkaufte Exemplare), in dem Sarrazin gegen Einwanderung und Islam wetterte, ist es ruhiger geworden um den in der Folge abgesetzten Spitzenbeamten, obwohl er fast im Jahrestakt weitere Bücher, mit Titeln wie "Der neue Tugendterror" vorlegte. Das soll sich jetzt ändern, immerhin publizierte die "Bild" bereits Vorabdruck und Interview; die DVA hat gleich 100.000 Exemplare an den Start gebracht.

In Berlin stellte sich derweil ein verletzt wirkender, vielleicht sogar verbitterter Mann vor, der sich insbesondere von der Bundeskanzlerin ungerecht behandelt fühlt: "Angela Merkel wünschte sich den Lauf der Welt anders als ich ihn beschrieb. Dass es den Überbringer schlechter Nachrichten hart treffen kann, dafür gibt es viele Beispiele in der Geschichte. Ich konnte damals meine bürgerliche Ehre nur mit Mühe retten", sagte Sarrazin. Es gehe ihm nicht um  eine Abrechnung, aber die Probleme, die sich die Bundeskanzlerin eingehandelt habe, sehe er als einen gewissen historischen Ausgleich für die Probleme, die ihm bereitet wurden. Dass er sich klein macht, wird man Thilo Sarrazin jedenfalls nicht nachsagen können.

Sein neues Buch "Wunschdenken", das den Arbeitstitel "Das gute Regieren“ trug, habe er nicht schnell als Antwort auf die Flüchtlingskrise verfasst. Vielmehr sei er nach dem Erscheinen von "Deutschland schafft sich ab" (2010) oft gefragt worden, ob er nicht aufschreiben wolle, wie man es besser macht. Dem sei er nachgekommen. Er wisse jedoch um die Tücken, schreibt er gleich zu Beginn des Buchs: "Denn das Gute und Richtige ist tendenziell weniger eindeutig als das Schlechte, Falsche oder Fehlerhafte." Aus der Erkenntnis des Falschen, wofür ihm die Fehler deutscher Politik viel Anschauungsmaterial geliefert hätten, folge mithin nicht zwingend die Erkenntnis des Richtigen.

Diese Einsicht hat Thilo Sarrazin dann aber doch nicht davon abhalten können, in seinem Buch 'die richtige Politik' zu erklären. Ein Kapitel heißt "Wie ich die Weltlage sehe und was ich mir von Deutschland wünsche" Kleiner mag es der Autor nicht. Die "undurchdachte und utopische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik" der Bundesregierung hält er für den "größten Fehler der deutschen Nachkriegspolitik" – überhaupt habe sich allerorts Wunschdenken breit gemacht und dazu geführt, dass reale Zusammenhänge ausgeblendet würden.

Zum Glück gibt es da noch Thilo Sarrazin, der meint zwar – ganz Pragmatiker: "Ich habe weder die Illusion noch hege ich eine größere Hoffnung, dass sich die tatsächliche Politik ausgerechnet an meinen Vorstellungen ausrichten wird." Allerdings sollte sie es tun, denn: "Wenn das nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle, wird weder Deutschland untergehen noch die Welt, allerdings wird die Entwicklung andere Pfade nehmen, dies wird für das Glück, für den Wohlstand und für die Sicherheit der Deutschen nicht positiv sein."

Es passiert nicht oft, dass sich ein Verlag bei der Präsentation des neuen Buches eines seiner verkaufsträchtigsten Autoren vom Buch distanziert und trotzdem die Veröffentlichung verteidigt. DVA-Verleger Thomas Rathnow brachte den Balanceakt in Berlin gut ins Ziel: "Man muss Thilo Sarrazin nicht folgen und kann optimistischer auf die Lernfähigkeit unserer Gesellschaft blicken", sagte er. Eine inhaltliche Würdigung des Buches sei nicht Sache des Verlags, man sei ohnehin keiner bestimmten politischen Richtung verpflichtet, sondern wolle vielmehr Debatten ermöglichen. Dazu passte auch die Buchvorstellung durch den Mainzer Geschichtsprofessor Andreas Rödder, der es vorzog mit einer Kritik zu beginnen: "Mir geht bei Thilo Sarrazin zu viel durcheinander, wenn von 'Rassen, Ethnien und sozialen Gruppen' die Rede ist. Ich finde die Argumentation da nicht seriös." Für nachdenkenswert hält Rödder hingegen Sarrazins "Überlegungen über gelingende Politik". Sie vor allem sollten diskutiert werden, empfahl der Historiker, mutmaßte aber, dass anderes im Vordergrund stehen werde. Das mag sein. Die Frage ist bloß, soll man das dann den Lesern ankreiden oder nicht eher dem neuen Buch von Thilo Sarrazin.