Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins

"Erfurt ist eine Chance, Missstände aus der Welt zu räumen"

11. Juni 2014
von Börsenblatt
Die Staatsanwaltschaft Erfurt geht derzeit einem umfangreichen Korruptionsverdacht bei der Bestellung von Schulbüchern nach. Für das Vermitteln von Schulbuchbestellungen von Eltern sollen mindestens 400 thüringische Schulen und Fördervereine von zwei Versandfirmen umsatzabhängige Spenden erhalten haben. Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang beurteilt für boersenblatt.net die Vorkommnisse.

Wie beurteilen Sie die Vorkommnisse in Erfurt?Bei den Ermittlungen in Thüringen geht es um ein strafrechtliches Verfahren, das eine Staatsanwaltschaft betreibt und in das der Börsenverein nicht involviert ist. Zu der Frage, ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu Anklagen und gegebenenfalls Verurteilungen der betroffenen Buchhändler oder gar auch von Schulleitern, Lehrern und Fördervereinsverantwortlichen führen werden, können wir schon mangels genauer Kenntnis des Sachverhalts nichts sagen. Was wir hingegen sicher sagen können ist, dass der Börsenverein und die Preisbindungstreuhänder die Gewährung von Spenden, Rückvergütungen und Provisionen als Gegenleistung zum Kauf preisgebundener Bücher stets als Verstoß gegen das Buchpreisbindungsgesetz eingestuft haben. Jeder Buchhändler, der sich an solchen Systemen beteiligt hat – und das gilt beileibe nicht nur für Thüringen, sondern für ganz Deutschland -, wusste also oder hätte wissen müssen, dass er damit den Boden rechtmäßigen Handelns verlässt. Und, sagen wir es offen, der Sinn solcher Rückvergütungen liegt ja auch gerade darin, sich gegenüber rechtstreuen Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch zu verschaffen.

Warum ist es denn dem Börsenverein dann nicht gelungen, diese Praxis abzustellen oder zumindest einzudämmen? Wenn das schon in Thüringen ein solches Massenphänomen ist, dann müssen der Rechtsabteilung des Börsenvereins diese Fälle doch auch bekannt gewesen sein. Hat der Börsenverein etwa deshalb nichts dagegen unternommen, weil unter den Rechtsverletzern auch eigene Mitgliedsunternehmen waren?Erst einmal hat der Börsenverein seit Inkrafttreten des Buchpreisbindungsgesetzes im Jahre 2002 alles getan, um seine Mitgliedsunternehmen, aber auch interessierte Dritte und die Öffentlichkeit über die Vorschriften des Gesetzes und damit auch die Unzulässigkeit von Rückvergütungen umfassend zu informieren. Zum Schulbuchgeschäft haben wir sogar ein großes, laufend aktualisiertes Merkblatt, das sich speziell an Schulträger richtet und über dessen Themen wir über unsere Landesverbände in permanenten Gesprächen auch mit den Kultusministerien der Länder stehen.

Nachgewiesenen Preisbindungsverletzungen geht die Rechtsabteilung des Börsenvereins in Zusammenarbeit mit den Preisbindungstreuhändern ohne Ansehen von Rang und Stand des betroffenen Rechtsverletzers nach und ahndet sie konsequent durch Abmahnungen bzw., wenn nötig, auch durch das Erwirken einstweiliger gerichtlicher Verfügungen. Das galt und gilt natürlich auch für alle Fälle, bei denen uns die unzulässige Gewährung von Rückvergütungen, Provisionen oder Spenden bekannt wird. Das Hauptproblem bei der zivilrechtlichen Ahndung von Preisbindungsverstößen ist allerdings die Beweislage. Wenn uns ein Buchhändler von Gesprächen mit Kunden berichtet, an deren Schule der Förderverein die Schulbuchbestellungen zu einem Wettbewerber kanalisiert, dann ist das leider noch nicht ausreichend für eine kostenpflichtige anwaltliche Abmahnung dieses Wettbewerbers. Vielmehr brauchen wir gerichtskräftige Beweise, dass dieser Sachverhalt auf rechtswidrigen Rückvergütungen beruht. Wenn uns diese nicht vorgelegt werden können, dann sind uns die Hände gebunden, weil wir den Verstoß vor Gericht im Streitfall nachweisen können müssen. Da hat es eine Staatsanwaltschaft, die solch einen Sachverhalt strafrechtlich untersucht, deutlich leichter. Sie kann nämlich zur Aufklärung des Sachverhalts, wie im Thüringer Fall geschehen, Hausdurchsuchungen machen, die ihr alle jene Beweise an die Hand geben, an die wir im Zweifel nicht herankommen.

Ein zweites Problem bei der Ahndung solcher Verstöße hat uns Amazon beschert. Amazon gewährt nämlich – abweichend von seiner früheren jahrelangen Praxis – seit einiger Zeit ganz offen derartige Rückvergütungen, indem es auch Schulfördervereine zu seinem sogenannten affiliate-Programm zulässt. Deswegen hat der Börsenverein Amazon verklagt. Das daraus resultierende Gerichtsverfahren läuft seit vielen Monaten und führt hoffentlich bald zu einer endgültigen Klärung der preisbindungsrechtlichen Lage in unserem Sinne. So lange dieses Musterverfahren noch nicht rechtskräftig entschieden ist, macht es keinen Sinn, über dieselbe Rechtsfrage parallel Prozesse gegen andere Buchhändler zu führen.

Heißt das nicht, dass die Erfurter Staatsanwaltschaft eigentlich auch gegen Amazon ermitteln müsste?Das ist eine der Fragen, die uns momentan intensiv beschäftigen. Wir haben das Thema Rückvergütungen bislang entsprechend unserer eigenen Zuständigkeit primär preisbindungs- und wettbewerbsrechtlich behandelt. Durch die Untersuchungen der Erfurter Staatsanwaltschaft hat das Thema jetzt aber eine ganz neue, zusätzliche Dimension bekommen, nämlich die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Beteiligten an Rückvergütungssystemen. Offensichtlich hat sich die Staatsanwaltschaft Erfurt auf einen Fall konzentriert, dessen Begehungsschwerpunkt in Thüringen liegt. Wir prüfen deshalb gerade, ob wir bei der Staatsanwaltschaft München in diesem Zusammenhang auch eine Strafanzeige gegen Amazon stellen sollten. Denn vom Sachverhalt her unterscheidet sich das, was Amazon macht, nicht erkennbar von dem Verhalten der zwei jetzt betroffenen Thüringer Schulbuchversender.

Amazon und andere Firmen fischen unmittelbar vor den Augen des Buchhandels mit solchen Praktiken Aufträge von Schulen ab. Kann man es einem örtlichen Buchhändler dann eigentlich verdenken, wenn er solche Systeme auch anbietet, um dringend umsatznotwendige Schulbuchaufträge im Ort zu sichern?Die Vorwerfbarkeit solchen Handelns mag bei den Thüringer Anbietern oder auch bei Amazon ungleich stärker gegeben sein als bei dem kleinen Buchhändler vor Ort, der im Gegenzug zum Auftrag des benachbarten Kindergartens die erwartete Spende für das neue Klettergerüst leistet. Letztlich exkulpiert das den Händler aber nicht. Jeder, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, muss die Konsequenzen seines Tuns tragen. Übrigens hilft der Börsenverein in schwierigen Situationen mit Kunden, die nach Spenden oder Rückvergütungen fragen, durch leicht verständliches Informationsmaterial und in Einzelfällen auch mit passenden Schreiben der Rechtsabteilung gerne weiter.

Wird der Börsenverein denn im Zusammenhang mit dem Thüringer Vorgang etwas unternehmen, um Änderungen herbeizuführen?
Wichtig ist jetzt das Gespräch mit den Kultusministerien und Kommunen, mit denen unsere Landesverbände ja überall in ständigem Austausch sind. Was wir nicht nur in Thüringen, sondern in allen Ländern brauchen ist noch viel wirksamere Aufklärung von Schulleitern, Lehrern und Verantwortlichen von Schulfördervereinen über die Problematik ihres Tuns. Dabei müssen wir zugleich deutlich machen, dass die Lösung nicht in europaweiten Schulbuchausschreibungen liegen kann, sondern nur in einem sensibleren Umgang mit der Buchpreisbindung beim lokalen Kauf von Schulbüchern durch - idealerweise eigenbudgetierte - Schulen und Eltern. Grundsätzlich sehe ich den ganzen Vorgang deshalb als große Chance an, die Branche, aber auch die Verantwortlichen an den Schulen, wachzurütteln und einen Missstand aus der Welt zu kriegen, der schon viel zu lange viel zu weit verbreitet ist.