Christiane Schulz-Rother und ihre vier Buchhandlungen

Bindungen statt Anonymität

15. März 2018
von Stefan Hauck
Nach und nach hat Christiane Schulz-Rother ihr Unternehmen in Berlin vergrößert: Heute ist sie die Chefin von vier Buchhandlungen – und bedient ganz bewusst weiterhin selbst. Eine Chronik des Wachstums.

Christiane Schulz-Rother

Als Christiane Schulz-Rother nach dem Abitur 1988 ihre Buchhändlerlehre in der Tegeler Bücherstube begann, hätte sie sich nicht träumen lassen, dass sie 30 Jahre später Inhaberin von vier Buchläden in Berlin sein würde. Die Chefin in Tegel war ihre Tante Luise Möbus, bei der sie nach der Lehre 1990 in den Berufsalltag einstieg – und Schulz-Rothers Zukunftspläne waren damals noch sehr offen: "Ich wollte erst einmal etwas von der Welt mitkriegen, bin auch zu den Treffen des International Congress of Young Booksellers gefahren."

Ein Jahr später gehörte sie zu Deutschlands jüngsten selbstständigen Buchhändlerinnen: Möbus erlitt einen Schlaganfall im Laden, und Schulz-Rother musste in Windeseile das Ruder übernehmen. "Man schreibt die Drehbücher fürs Leben nicht immer selbst." Die Tegeler Bücherstube behauptete sich gut gegen die nahe gelegene Montanus-Filiale, aber als Thalia auf 800 Quadratmeter in die 500 Meter entfernten Borsig­hallen zog, reagierte Schulz-Rother: "Es war völlig unklar, wie sich diese Konkurrenz entwickeln würde, und ich wollte auf ein zweites Standbein setzen." Im neu erbauten brandenburgischen Einkaufs­center Glienicker Spitze, das an der nördlichen Stadtgrenze Berlins liegt, mietete sie 70 Quadratmeter Fläche, "das Center bringt durch ein Lebensmittelgeschäft und andere Läden sowie durch Schule, Schwimmbad und Sportzentrum Frequenz". Die Gemeinde ist nach der Wende von 5.000 auf 12.000 Einwohner gewachsen, "es wohnen viele Zugezogene und junge Familien dort". Die Filiale wird von einer Mitarbeiterin bewirtschaftet, im Schulbuchgeschäft, an Ostern und Weihnachten bekommt sie Unterstützung von einer weiteren Kraft.

2010 rief eine Auszubildende die Sortimenterin an, die auch im IHK-Prüfungsausschuss sitzt: Sie verliere ihren Ausbildungsplatz, da die Buchhandlung Menger am Tempelhofer Damm schließe. Schulz-Rother sprach mit Inhaberin ­Helga von Sichart: "Sie wollte aus persönlichen Gründen aufhören, aber die betriebswirtschaftlichen Zahlen waren gut." Das Geschäft liegt an der U-Bahn-Linie 6, 40 Minuten Wegzeit liegen zwischen der Tegeler Bücherstube und der Buchhandlung Menger (65 Quadratmeter) – Schulz-Rother übernahm. Eine ­Bäckerei, kleinere Läden und Karstadt gegenüber sorgen für Laufkundschaft, die Stammkunden, darunter viele alteingesessene Tempelhofer, sind treu. "Tempelhof entwickelt sich gerade, es gibt noch bezahlbaren Wohnraum", berichtet die Buchhändlerin.

Drei Standorte sind eigentlich genug, dachte Schulz-Rother, die sich nebenbei auch noch ehrenamtlich engagierte – von 2005 bis 2009 als Sprecherin des Arbeitskreises unabhängiger Sortimente, von 2009 bis 2015 als Vorsitzende des Börsenvereins in Berlin-Brandenburg. Doch dann konnte sie doch nicht widerstehen. Als sich Ursula Kiesling 2016 aus Altersgründen von der Buchhandlung Haberland (120 Quadratmeter) in Frohnau trennen wollte, war Schulz-Rother sofort zur Stelle: "Ich wohne drei Minuten von hier, bin in der Gartenstadt Frohnau aufgewachsen, das ist ein Heimspiel." Die Gegend hat Kleinstadtcharakter, mit vielen intakten Einzelhandelsläden rund um die Buchhandlung. "Man bleibt im Kiez, es gibt viele Familien. Kinderbücher sind hier sehr gefragt." Die Käufer seien gutbürgerlich und werteorientiert, berichtet die Buchhändlerin, viele Kunden suchten sehr literarische Lesestoffe.

Für die heute 49-Jährige ist der neue Laden, den sie im Sommer 2017 mit neuem Fußboden und Regalen einrichten ließ, auch deshalb ideal, weil er nur einen Kilometer entfernt ist von ihrer Glienicker Bücherstube. Während hier eher die junge Kundschaft dominiert, sind es in der sieben Kilometer südlich gelegenen Keimzelle des Unternehmens, der Tegeler Bücherstube (120 Quadratmeter) eher die Älteren: "Den 25- bis 30-Jährigen ist Tegel zu wenig urban, die ziehen weg und kommen erst später wieder."

Dass Schulz-Rother mittlerweile gleich vier Buchhandlungen  betreibt, sorgt für Synergieeffekte – nicht nur in finanziellen Dingen wie Grundrabatten, IBU-Bestellclearing, Versicherungen oder Steuer. "Auch die Vertreter kommen nur einmal zu uns, und mit dem Einsatz von VLB-TIX können wir alle sehen, was jeder bestellt hat und welche Titel er wie einschätzt." Die Namen der jüngeren Zukäufe hat die Buchhändlerin bewusst nicht verändert: "Das sind Traditionsbuchhandlungen, man geht seit 70 Jahren zu Menger, geht seit 85 Jahren zu Haberland, und das ist für die Kunden wichtig." Von der Tegeler Bücherstube aus steuert sie die Läden, die trotz der unterschiedlichen Kundenstruktur viele Ähnlichkeiten haben: "Wir sind weder 'stylish' noch ein 'Concept-Store', die Kunden suchen überwiegend unterhaltende Literatur und wollen Bindungen statt Anonymität."

Die Bindungen hält Schulz-Rother, die auch im Sortimenter-Ausschuss des Börsenvereins aktiv ist, mit ihren 15 Mitarbeitern durch viele Aktionen aufrecht: stets ausgebuchte halbjährliche Buchvorstellungsabende, einen Leseclub für Jüngere, Schmökerabende für Neun- bis Zwölfjährige, Mitarbeiterempfehlungen in der "Urlaubspost" und "Weihnachtspost", monatliche Newsletter. "Ich arbeite personalintensiv, aber deswegen kommen ja die Leute zu uns." Zu den Vorteilen des kleinen Verbunds zählt sie, dass sich Engpässe in den Arbeitsplänen flexibler gestalten lassen als früher – aber selbstverständlich arbeitet die Chefin in allen Läden mit.

Geheimwissen gibt es nicht  Einmal im Monat holt sie alle Filialleiter an einen Tisch, vier Mal im Jahr treffen sich alle Mitarbeiter: "Der Austausch ist wichtig, es soll kein Geheimwissen geben – ich möchte, dass wir uns als ein gutes Team verstehen. Auch das spüren die Leute, und es trägt dazu bei, dass sie sich wohlfühlen." Damit sie gute Mitarbeiter bekommt, bildet Schulz-Rother konstant aus, gibt ihr Können weiter, was die bei ihr angestellten Sortimenter schätzen. Im Februar hat die Filialleiterin der Tegeler Bücherstube, Maike Schöngart (39), die Buchhandlung Neues Kapitel im Prenzlauer Berg übernommen. Die Chefin sieht es mit einem lachenden und einem weinenden Auge: "Auch wenn ich jetzt eine neue Filialleiterin suchen muss: Für den Berliner Buchhandel ist es eine Bereicherung."