Comic-Novitäten – Krimis

Kriminell gute Comics

26. Februar 2015
von Guido Heyn
Krimis in Comicform bieten eine enorme Themenvielfalt: vom klassischen Stoff bis zur aktuellen, sozialkritischen Gesellschaftsstudie. Hier eine Auswahl aktueller Neuerscheinungen.

Ein Grundstein des Mafia-Mythos

Eine der schillerndsten Romanfiguren, die vor dem Hintergrund des organisierten Verbrechens zum Klassiker wurde, ist zweifellos »Scarface«. 1930 von Armitage Trail (Pseudonym von Maurice Coons) geschrieben, wurde das Mafia-Epos jetzt in dunklen Grüntönen grafisch zu neuem Leben erweckt. Der auch mehrfach verfilmte Klassiker schildert auf spannende Weise den Aufstieg und Fall eines skrupellosen Verbrechers zur Zeit der Prohibition und Gangsterbosse in den USA und zeigt das blutige und unternehmerische Handeln der Mafia. Die atmosphärisch dichten Bilder erinnern an die klassischen Gangsterfilme der 1950er Jahre und hier und da meint man sogar, den ein oder anderen Schauspieler in den Zeichnungen zu entdecken .

»Scarface«, Christian de Metter / Armitage Trail, Schreiber & Leser, 112 S., 21,80 Euro

 

Ägyptische Gesellschaftsstudie

Kein typischer Krimi hingegen ist »Metro« (Edition Moderne, 104 S., 18 Euro) von Magdy El-Shafee: Der junge Programmierer Schihab versucht mit ehrlicher Arbeit und einer kleinen Firma Geld zu verdienen. Er stößt dabei aber schnell an die Grenzen eines durch und durch korrupten und skrupellosen Systems. Mit Schulden und ohne jede Perspektive rastet er dann aus und überfällt eine Bank. Der schwarzweiße Comic wurde gleich nach Erscheinen in Ägypten verboten, schildert er doch allzu deutlich die Missstände im Staat und die Frustration einer ganzen Generation – die 2011 dann auch zur Revolution führten. Die titelgebende Metro, die auch zwischen den Kapiteln immer wieder als grafisches Element auftaucht, symbolisiert dabei sehr passend die verschlungenen Wege, die die Menschen in Ägypten zu gehen gezwungen sind und gleichzeitig den Anflug von Moderne, die mit der U-Bahn Einzug in den islamischen Staat gehalten hatte. Gerade auch den jungen Menschen muss sie wohl wie ein ewig uneingelöstes Versprechen der Veränderung vorgekommen sein.

»Metro«, Magdy El-Shafee, Edition Moderne, 104 S., 18 Euro

Schräge Krimi- und Agentensatire

Fernab unserer Realität ist Agent Tony Chu ein Geschmackstelepath der amerikanischen Ernährungsbehörde FDA – in einer Welt, in der es nach einer Lebensmittelseuche eine Hühnerfleisch-Prohibition gibt. Geschmackstelepath bedeutet, dass er etwa nach dem Genuss eines Apfels, dessen Herkunft, die verwendeten Düngemittel, sein Wachsen und dessen Ernte vor Augen hat. Das funktioniert natürlich auch mit dem Blut von Ermordeten bzw. anderen unappetitlichen Dingen. Nicht unbedingt immer lecker, aber so ist er ein perfekter Ermittler. Die actionreiche Krimi-Satire »Chew« (bisher vier Teile) wurde 2011 als beste Serie mit dem Eisner-Award ausgezeichnet. Kein Wunder, bietet sie doch eine packende Handlung, viel Humor und vor allem jede Menge schräger Ideen. In aktuellen Band 4 zum Beispiel geht es um mächtige, außerirdische Pflanzen, unbekannte Leuchtschriften am Himmel, Area 51, mordende Teenager und kurzzeitig auch um einen Kung-Fu-erprobten Hahn. – Eine TV-Umsetzung ist bereits geplant: Die Macher von Fernseh-Hits wie »Eureka« oder »The Walking Dead« arbeiten daran.

»Chew – Bulle mit Biss 4: Flambiert«, John Layman / Rob Guillory, Cross Cult, 128 S., 16,80 Euro

Thrillerkost im Crime Noir-Stil

Die ebenfalls preisgekrönte Reihe »Criminal« bietet härteren Stoff mit klassischen Crime Noir-Elementen. Im aktuellen Band 6 kommt Riley Richards zu dem Schluss, dass seine schöne und vermögende Ehefrau Felicity sterben muss. Spielschulden und die Affäre seiner Frau sind dabei die Hauptmotive – aber auch der Wunsch in seinen kleinen Heimatort und zu seiner Jugendliebe zurückzukehren. Virtuos lässt uns das Comic-Dream-Team Brubaker-Phillips (»Sleeper«) – fast ein bisschen zu tief – in das Psychogramm eines Mörders eintauchen und wagen nebenbei auch noch das Experiment Comic-im-Comic, denn die Jugenderinnerungen werden in ganz anderem Zeichenstil erzählt. Ein wunderbarer und klassischer Thriller! – Die einzelnen Bände der Reihe kann man übrigens unabhängig voneinander lesen, auch wenn sich die Geschichten immer um Kleinkriminelle, Dealer oder Mörder drehen und es hier und da auch Querverbindungen gibt. Alle Bände  zusammen – es ist noch kein Ende der Serie in Sicht – werden dann aber auch noch zu einem Gesamtbild führen.

»Criminal 6 – Unschuld«, Ed Brubaker / Sean Phillips, Panini, 116 S., 16,95 Euro

Spannung mit realem Bezug

Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki zeigen sich einige Wissenschaftler tief beeindruckt und wollen eine pazifistische Vereinigung gründen. Doch prompt wird einer der Initiatoren ermordet. Daraufhin nimmt Kaplan vom französischen Geheimdienst die Ermittlungen auf. Der Wissenschaftler Masson gerät ebenfalls ins Visier der Mörder, als er sich um einen der Mitbegründer kümmert. Und da geschieht ein weiterer Mord, der die Vermutung nahelegt, dass alle Physiker, die der Bewegung beitreten wollten, um ihr Leben fürchten müssen. Kaplan und Masson bleibt nicht viel Zeit, um dem Attentäter das Handwerk zu legen. Das Comic wirft einen durchaus auch sozialkritischen Blick auf ein Thema, das uns alle angeht. Durch den Bezug auf reale Wissenschaftler gewinnt es zudem noch an Tiefe. In erster Linie bietet es aber eine spannende Handlung mit hohem Unterhaltungsfaktor. Die franko-belgischen Zeichnungen sind so traditionell, dass sie perfekt zu dem historischen Thema passen.

»Kaplan & Masson 1: Die Chaostheorie«, Didier Convard / Jean-Christophe Thibert, Carlsen, 56 S., 12 Euro, Band 2 erscheint im August

Vom Leben mit der Mafia

Zwei halbwüchsige Knaben – Giovanni und Ciro – verlassen das verarmte Sizilien, das unter der Gewaltherrschaft der Dons zu leiden hat. Hautnah haben sie deren Willkür gerade erst erfahren, als sie zu Waisen gemacht wurden. Wie so viele um 1900 herum suchen auch sie in Amerika eine neue Heimat – und die beiden Freunde speziell auch Zuflucht vor den Dons, denn sie werden gesucht. Aber mit den italienischen Einwanderern hält auch die Mafia Einzug in der Neuen Welt. Ciro wird Reporter, Giovanni hingegen Mafioso. Ciro berichtet dann auch in Rückblenden von ihrem Werdegang. – Eine Saga, die sich in gelungener Form einer fast vergessenen Zeit annimmt, aus einem sehr menschlichen Blickwinkel. Bei Schreiber & Leser liegen eine ganze Reihe weiterer Comics speziell zum Thema Mafia vor – ein Blick lohnt sich.

»Blut & Schweigen I«, François Corteggiani / Marc Malés, Schreiber & Leser, 144 S., 22,80 Euro

Abenteuerliche Jagd nach einem religiösen Manuskript

1951 entdeckt der Anthropologe Egon Bauer in einem tibetischen Kloster ein Manuskript, das zu beweisen scheint, dass sich Christus in Tibet aufhielt. Diese Entdeckung könnte den gesamten christlichen Glauben von Grund auf erschüttern. Nach einem Überfall der chinesischen Armee werden seine Unterlagen nach Peking geschickt und er bleibt in der brennenden Ruine zurück. Seine Tochter macht sich unterdessen zusammen mit einem Detektiv auf den Weg von den USA nach Tibet, um ihren Vater zu suchen. Aber es gibt noch weitere Mitspieler in diesem Religionsthriller, die auf der Jagd nach dem Manuskript sind. Und so beginnt eine komplexe Spurensuche und Abenteuergeschichte, die über den halben Erdball hinweg führt. Die verschiedenen Handlungsebenen und -orte geben der Geschichte immenses Tempo und die unterschiedlichen Kulturkreise zusammen mit den sehr stimmungsvollen Zeichnungen zusätzlich Atmosphäre. Ein ungemein spannendes Abenteuer und ein optischer Genuss!

»Das verbotene Manuskript«, Roberto Da Pra / Paolo Grella, Ehapa, 176 S., 39,99 Euro

Klassischer Stoff

Prinz Florizel von Böhmen ist gelangweilt und bei seiner Suche nach immer außergewöhnlicheren Abenteuern stößt er auf einen ganz besonderen Club. Sein Freund Oberst Geraldine und er merken jedoch schnell, dass es hier keine normale Unterhaltung gibt: Per Kartenspiel wird hier darüber entschieden, wer Mörder und wer Opfer ist. Wahrlich ein Club für Lebensmüde. – Kommt Ihnen die Story irgendwie bekannt vor?! Kein Wunder, mit Robert Louis Stevensons »Der Selbstmörderclub« liegt hier eine weitere Umsetzung eines klassischen Romans vor – angereichert mit einer ordentlichen Prise Humor, die durch die zarten, hellen Zeichnungen noch betont wird.

»Der Selbstmörderclub«, Clément Baloup / Robert Louis Stevenson / Eddy Vaccaro, Splitter, 96 S., 19,80 Euro, ab August