Deutsch-Französischer Jugendliteraturpreis 2015

Von Mops bis Sex: Zwölf Shortlist-Titel

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Shortlist für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis 2015 wurde heute auf der größten Kinder- und Jugendbuchmesse Frankreichs in Montreuil (Paris) bekanntgegeben: Zwölf Bilderbücher wurden von der Jury ausgewählt. Die Preisverleihung findet im Mai 2015 auf der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken statt.

Für den französischen Teil der gemeinsamen Jury präsentierte Autorin Geraldine Elschner die sechs Nominierungen, für den deutschen Teil der Jury stellte Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck die Nominierungen vor. Der Deutsch-Französische Jugendliteraturpreis 2015 hat den Schwerpunkt Bilderbuch.

Auf der deutschen Seite nominiert sind:

Fabiola Nonn und Lukas Weidenbach mit "Die Geschichte von Carl Mops, der verloren ging und wieder nach Hause fand" (Jacoby & Stuart)

Begründung der Jury: Die Angst verlorenzugehen kennt jedes Kind: Mit Freude am Detail hat Joëlle Tourlonias die Geschichte vom kleinen Mops inszeniert, der vom Smartphone-gestressten Frauchen vor der Metzgerei angeleint vergessen wird. Dramaturgisch geschickt zoomt sie die Bildausschnitte, arbeitet mit Licht und Schatten, zeigt die Annäherung zwischen dem verwöhnten Schoßhund und Straßenköter Paula. Einsamkeit, Sehnsucht nach Freundschaft und dem richtigen Platz im Leben: Hier sprechen die Bildausschnitte für sich.

Matze Doebele mit "Konrads Schatten" (Kunstanstifter Verlag)

Begründung der Jury: Nicht Konrad ist es, der Unfug treibt – sein Schatten ist ungemein aktiv... Mit variablem Layout, bewegtem Mienenspiel der Figuren und klarer Gestik führt Döbele die Schattenstreiche vor Augen, das Malerisch-Pastose ist haptisch greifbar und besitzt dennoch zarte Luftigkeit. In Konrads Kampf gegen seinen Widersacher spielt Döbele mit der Typografie, eliminiert den Schatten, indem er das Licht eliminiert. Die Parabel zeigt, dass die Schatten nicht nur bei Konrad auch Positives bewirken.

Anke Bär mit "Endres, der Kaufmannssohn" (Gerstenberg)

Begründung der Jury: Fremd und doch vertraut wirkt Anke Bärs Ästhetik: Bis hin zur stockfleckigen Nachahmung von Pergament hat sie mittelalterliche Buchkunst in die heutige Zeit transponiert. Angelehnt an die Kunst der Scriptoren, vermittelt sie in ihrer Geschichte vom jungen Kaufmannssohn
den damaligen Zeitgeist. Ob ornamental arrangierte und symbolisch besetzte Kräuter, Sternzeichen, Totentänze bis hin zum großartigen Baum des Lesens mit Buchstaben – es gibt viel zu entdecken
auf den Bildern.

Katharina von der Gathen und Anke Kuhl mit "Klär mich auf: 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema" (Klett Kinderbuch Verlag)

Begründung der Jury:  Warum küsst man sich? Ist Sex witzig? Was bedeutet „geil“? Derlei Fragen von Kindern hat Katharina von der Gathen in ihren Workshops in Schulen gesammelt. Die Gesprächsführung des Ratgebers in Tischkalenderform ist dreigeteilt: Illustration und Kinderfrage
auf der Vorderseite, die sachliche Antwort auf der Rückseite. Unverkrampft, humorvoll und tabulos sind Anke Kuhls Zeichnungen, die die Fragestellung gekonnt übertreiben und dadurch die Gedankenproduktion kräftig ankurbeln oder eigene Antworten geben. Kuhls konturbetonte Figuren und karikierende Situationen erleichtern den Einstieg ins Thema und machen neugierig.

Sabine Jörg und Antje Drescher mit "Der Ernst des Lebens" (Gabriel Verlag)

Begründung der Jury:  Wie sieht er bloß aus, der Ernst des Lebens? Hoffentlich nicht so fies, wie die Erwachsenen damit drohen, hofft Annette... Antje Drescher zeigt aus unterschiedlichen Perspektiven die gemischten Gefühle vor dem ersten Schultag, spielt wie bei einer Kameraführung mit Ebenen. Der Betrachter der lebendigen Alltagsszenen spürt die Papiere, die Rauhheit der Stifte, die Strichführung: Dreschers Arbeitsweise animiert zum Nachzeichnen. Sie fi ndet eindringliche Bilder für die Beklommenheit, löst sie durch Aktivitäten auf und lässt Annette auf poetische Art ihren Ernst finden – ein echt Netter.

Felicitas Horstschäfer und Johannes Vogt mit "Haus" (Gerstenberg)

Begründung der Jury: Was macht ein Haus aus? Ein Haus aus Schnee, ein Haus im Baum, eines das rollt ... Die 19 unterschiedlichen Häuser in Positiv-Negativ-Konturen auf prägnanten Farbflächen geben Gesprächsanlässe und reizen zum Weitererzählen; „Und wie sieht dein Haus aus?“ fragt das letzte Bild. Die Illustrationen bleiben trotz ihrer Reduzierung auf wenige Bildbestandteile ungemein spielerisch – man muss viel können, um so einfach zu zeichnen.

Die sechs französischen Nominierungen sind:

Emmanuel Fornage mit "Les fables de La Fontaine" (Circonflexe)

Begründung der Jury:  Noch eine illustrierte Version der Fabeln, denkt man zunächst. Aber diese zeigt mit ihren Scherenschnitten eine sorgfältige und genaue Annäherung an die berühmten Erzählungen. Die zarten und feinfühligen Scherenschnittbilder lenken die Aufmerksamkeit auf
die wichtigen Aussagen des Textes, wie sie im Kontext des Regional-Französischen zu finden sind. Es sind jedoch keine Regionalismen, es sind zeitlose Bilder, ein wenig in die Jahre gekommen und ein anderes Mal wieder sehr nostalgisch und modern zugleich, was ihre Anordnung betrifft. Eine Goldschmiedarbeit! Es könnte für ein deutsches Publikum interessant sein, die Fabeln unter diesem regionalen Aspekt wiederzuentdecken und zu verstehen.

André Bouchard mit "L'abominable sac à main" (Seuil jeunesse)

Begründung der Jury:  Wem kommt das nicht bekannt vor? Die Handtasche der Mama, groß, durchwühlt, ein Allesschlucker, der die Schlüssel verschlingt, die Lippenstifte und den ganzen Rest. Niemals gesättigt. Eine echte öffentliche Gefahr. Aber würde ein etwas kleineres Format daran wirklich etwas ändern? Viel Humor steckt in der Charakterisierung der Mutter, die sich, wie jeder weiß, hinter ihrer berüchtigten Tasche versteckt und in der sie aus dem Alltag mehr transportiert als nur Dinge: Gehässiges, Wahres, Spaßiges und Verächtliches. Ein Lesegenuss!

Gwen le Gac und Christophe Honoré mit "L'une belle, L' autre pas" (Actes Sud Junior)

Begründung der Jury:  Was ist schön? Was ist es nicht? Zwei Schwestern, voller Gegensätze, stellen diese Frage. Die Zeichnungen der einen: Ein bisschen hässlich, behauptet die andere. Die Eltern müssen Stellung nehmen. Doch wie kann man Schönheit definieren? Das Recht anders zu denken, voller Nuancen, Fragen, gesichtslosen Figuren, Ausstanzungen und Stoffcollagen. Sehr schön werden manche sagen... Und die anderen?

Chloé Perarnau mit "Le jour où l’ elephant..." (Editions Grains de Sel)

Begründung der Jury:  Hier geht es um ein Mädchen, das seine Vorstellungskraft entdeckt – in einem wirklich „komischen“ Buch. Die Illustrationstechnik ist sehr frei. Ohne zu zögern vermischt das Mädchen verschiedene Welten – und auf dem Rücken eines Elefanten erlebt sie das Potenzial ihrer Fantasie und wie gut es ist und wie es stärkt, eine eigene Weltsicht zu haben und zu äußern. Ja, eigentlich muss man niemand um Erlaubnis fragen, sich Geschichten auszudenken.

Rémi Courgeon mit "L'oizochat" (Mango Jeunesse)

Begründung der Jury:  Zwei Flügel auf dem Rücken. Zwei spitze Ohren. Was ist das? Ist es aus dem Nest gefallen? Oder aus einer entfernten Regenrinne? Erschöpft landet Zpil, der aus seinem zerstörten Land geflohen ist, in einem unbekannten Wald. Es ist nicht einfach, die Stimmen der
Tiere zu verstehen. Und es ist nicht einfach, sich ihnen verständlich zu machen und seinen Platz zu finden. Auf Augenblicke der Hoffnung folgt rabenschwarze Hoffnungslosigkeit, bis er Litzia begegnet, halb Katze, halb Fisch. Eine lustige Fabel, die mit ihren warmen, ganz zarten Farben berührt, wenn sie von Entwurzelung und Verschiedenheit erzählt.

Zaü und Emmanuel Bourdier mit "Les jours noisette" (Utopique)

Begründung der Jury:  Es ist ein Thema, das man selten in den Bilderbüchern findet, ein Thema mit Überraschungseffekt: Man versteht erst am Ende, worum es genau geht, wer dieser merkwürdige Vater ist und auch, warum die Beziehung zwischen Sohn und Vater zwischen Liebe und Furcht schwankt. Viel Zartgefühl ist in der Erzählung und auch in den Bildern, es ist eine kindgerechte Erzählung ohne Effekthascherei.

Die nominierten Titel sind die Grundlage für die Entscheidung der beiden Jurys, die den deutschen und französischen Preisträger in einer gemeinsamen Sitzung vor der Preisverleihung am 22. Mai 2015 auf der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken (21.−24. Mai 2015) ermittelt.

Die zehnköpfige Jury besteht aus je fünf Personen, die ausgewiesene Kenner der deutschsprachigen bzw. französischsprachigen Kinder- und Jugendliteratur sind.

Zum Preis

Der mit je 8000 Euro dotierte Deutsch-französische Jugendliteraturpreis wird zu gleichen Teilen gestiftet von der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik und wird jährlich für ein herausragendes Werk der deutschen und französischen Kinder- und Jugendliteratur verliehen.

Die Europäische Kinder- und Jugendbuchmesse Saarbrücken will − gemäß ihrem Motto "Bücher bauen Brücken" −, mit dem Preis "dem Publikum in Frankreich und Deutschland aufstrebende Talente des jeweiligen Nachbarlandes vorstellen und fördern", erklärt Yvonne Rech, Geschäftsführerin der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse Saarbrücken. "Ziel des Preises ist es, das Verständnis für Kultur und Gesellschaft des Nachbarlandes zu stärken und den literarischen Brückenbau intensiver ins Bewusstsein zu bringen", ergänzte Doris Pack, Vorsitzende der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit und Vorsitzende der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse.