Deutschlands Literaturcommunities

Die modernen Lesesalons

29. Oktober 2015
von Börsenblatt
Das Prinzip des communitygetriebenen Social Readings ist ein alter Hut. Sogar so alt, dass nicht einmal Amazon etwas damit zu tun hat. Trotzdem ist es in unserer digitalen Kultur so beliebt wie nie zuvor.

3.000 bis 5.000 neue Mitglieder pro Monat

Wir teilen unserer digitalen Umwelt jeden noch so wichtigen oder unwichtigen Teil des Lebens mit. Warum also nicht auch unser virtuelles Bücherregal? Das denken sich zumindest die rund 200.000 Mitglieder von Deutschlands größter Buchcommunity Lovelybooks. Hier diskutieren sie über Bücher und Autoren und stellen regelmäßig Rezensionen auf der zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende Plattform ein. Tendenz steigend. Monatlich wächst die Community um circa 3.000 bis 5.000 Mitglieder. Und damit möglichst viele Freunde und Follower ein Abbild des eigenen Lesevergnügens bekommen, lassen sich die Meinungen auch in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Google Plus teilen. Dabei ist die Plattform selbst bereits ein eigener Lesekosmos. Nach Angaben von Tina Lurz, verantwortlich für PR und Social Media, sei Lovelybooks mittlerweile auch für nicht registrierte Leser sehr interessant. Monatlich würde man mehr als eine Million Unique User verzeichnen, darunter auch passive Leser, die sich einfach Anregungen holen oder die neusten Trends verfolgen wollen.  

Lovelybooks hat sich seit seiner Entstehung im Jahr 2006 zu einem festen Bestandteil der Literaturbranche entwickelt. So fest sogar, dass große Publikumsverlage beim Marketing auf vom Lovelybooks-Team organisierte Leserunden setzen, bei denen die Leser miteinander und im besten Fall auch gemeinsam mit dem Autor über den Text diskutieren. Als Anreiz winken den Communitymitgliedern zum Beispiel kostenlose Leseexemplare. Meist ist die Masse der Bewerber deutlich größer als die Anzahl der verfügbaren Leseexemplare. Die Mitglieder wissen, dass sie unter Umständen leer ausgehen. Das stört hier jedoch niemanden. Dann kauft man das Buch eben selbst.

Gespräche über Literatur

Und dann geht sie los, die große Diskussionsrunde im Netz. Abschnitt für Abschnitt werden Handlung und Charaktere virtuell seziert. Es wird zitiert, diskutiert und rezensiert. Neben Bestsellern mögen die User auch Anspruchsvolles, das viel Raum für Interpretationen bietet. Ein virtueller Literatursalon eben, wie es ihn in anderen Formen schon seit Jahrhunderten gibt. Der Ton der Diskussionen erinnert an Gespräche mit Freunden am Freitagabend auf dem Sofa, denn Literatur soll hier vor allem eins: Spaß machen und sich verbreiten. Ein besonderes Highlight ist für die Leser die Nähe zu den Autoren. Jeder Verlagsautor bekommt eine kleine Kennzeichnung, die ihn als solchen auszeichnet, und kann von allen Mitgliedern angeschrieben werden. Ein Fest für jeden Leser.

Auf die Frage, ob sie die Münchener Plattform eher als Social-Reading- oder Marketing-Tool sieht, antwortet Tina Lurz mir klaren Worten: "Unser Ziel ist es, Bücher ins Gespräch zu bringen und den Austausch über Bücher anzuregen. Das ist eben auch ein Teil des Marketings. Autoren und Verlage legen viel Wert auf das persönliche Feedback der Leser, zum Beispiel auch im Lektorat. Die Rezensionen und Meinungen, die aus unseren Leserunden entstehen, sind gutes Marketing, daher ist es legitim zu sagen, dass Lovelybooks durchaus beides ist."

Lovelybooks hat es geschafft, über Bücher wird gesprochen. Da man das jedoch nicht immer nur vom eigenen Wohnzimmer aus tun will, warten die User seit Jahren mal mehr und mal weniger geduldig auf eine App. In München ist dieser Wunsch bekannt. Die Arbeit an einer mobilen Lösung habe sehr hohe Priorität, schließlich wolle man, das User ihre Updates immer und überall aktualisieren können. Ein genauer Termin des Launchs wurde bisher noch nicht bekannt gegeben. 

Die Mayersche hat sich etabliert

Doch Lovelybooks teilt sich den Markt der medienaffinen Leser, zum Beispiel mit der rund 12.200 Mitglieder starken Plattform „Was liest du?“, dem Magazin und der Community der Mayerschen Buchhandlung. Ob es sich dabei um eine Social Reading Plattform handele, ist für Torsten Woywod, Preisträger des Young Excellence Awards 2015, Ansichtssache: Die Frage ist, wo "social" überhaupt anfängt. Wir vernetzen, aber so wie es sich gerade darstellt, ist es ein eigenständiges Lesen und anschließendes Diskutieren darüber." Kollegin Maren Kahl ergänzt: "Lesen war ja schon immer etwas sehr Soziales. Ich denke, die Menschen finden gerade wieder die Lust am Austausch über Literatur wieder. Der einzige Unterschied zu früheren Zeiten ist, dass diese Treffen heute virtuell im Netz stattfinden."

Veranstaltungen bei "Was liest du?" 

Den Vergleich mit dem deutschen Platzhirsch scheuen Torsten Woywod und Maren Kahl nicht. "Neben der Community bieten wir unseren Lesern ein Magazin. Insgesamt gibt es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten." Wie Woywod angibt, zeichnet sich "Was liest du?" vor allem durch die verschiedenen Säulen aus: "Unsere User bekommen zum einen für alle Aktivitäten Punkte, die sie in attraktive Prämien umwandeln können. Je aktiver ein User ist, desto mehr Punkte kann er so sammeln. Außerdem haben wir in den zwei Jahren unseres Bestehens auch schon viele Aktionen durchgeführt, wie die Suche nach dem ungewöhnlichsten Buchtitel. Und gleichzeitig finden wir als Community auch in den Mayerschen Buchhandlungen statt." Was Woywod meint, ist die starke Verknüpfung zwischen der Community und den Buchhandlungen der Mayerschen. Was online stattfindet, ist von Relevanz. Wer sich beispielsweise einen Artikel im Onlineshop der Mayerschen anschaut, findet dort auch Rezensionen der Mitglieder von "Was liest du?". Gleichzeitig haben die Buchhändler die Möglichkeit, sich auf der Plattform als Buchhändler auszuweisen, um mit den Kunden noch über den Laden hinaus ins Gespräch zu kommen. 

Um sich noch weiter an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen, werkelt man hinter den Kulissen an einem Veranstaltungstool, das gerade erfolgreich die letzte Testphase durchläuft und spätestens zu Beginn des neuen Jahres verfügbar sein wird. Nutzer können zukünftig, wie auch bereits von Facebook bekannt, Veranstaltungen anlegen und somit mit einer möglichst großen Reichweite ihre potenziellen Gäste noch viel leichter erreichen. Die Entwicklung des Tools ist für die beiden Communitymanager eine selbstverständliche Entwicklung, seit sich die Veranstaltungshinweise in den Foren häufen, schließlich ginge es bei der Community in erster Linie um eins: Die Verbreitung und der Spaß am gemeinsamen Lesen und daran arbeite man eben auch als Community, wie beide einstimmig sagen.