Die Lieblingsbuchhandlung der Autorin Svenja Leiber

Schrott und Gold

16. August 2016
von Börsenblatt
Wie Svenja Leiber in der Buchhandlung maKULaTUR in Lübeck heimisch wurde.

Es muss viel passieren, um mich mit Buchhandlungen vertraut zu machen. Tendenziell soziophob, ist mir gerade die Buchhandlung einer der unheimlichsten Orte, da jeder Griff ins Regal, vielmehr aber jeder Kauf zu erzählen scheint, was ich gar nicht erzählen will. Alle Begeisterung, Ratlosigkeit, Suche, Liebe meine ich jedes Mal auf den Tisch zu legen, wenn ich mein gewünschtes Buch nenne oder zum Abkassieren her­reiche, genau so, wie ich im Supermarkt ständig die Abend­pläne, Träume oder Illusionslosigkeiten der anderen Käufer anhand ihrer Einkäufe auf dem Kassenband durch­gehe. Um Amazon zu meiden, schicke ich also gern Freunde oder Verwandte vor.
Was also ist passiert, damit ich hier überhaupt von einer Buchhandlung im gewünschten Sinn schreiben kann?

Ausgerechnet in der Stadt meiner Kindheit, in welcher jede windige Ecke die Gefahr birgt, einem früheren Lehrer oder Eltern ehemaliger Mitschüler zu begegnen, weshalb ich im Besuchsfall eigentlich immer nur den obligatorischen Ausflug mit meinen Töchtern in die obere Etage von Niederegger schaffe, fand sich ein Ort, in dem ich nach wenigen Sekunden das Gefühl hatte, ich bekomme, obwohl es eng wie in einem Mauseloch ist, Luft. Vielleicht war es schon der Name des Ladens, maKULaTUR. Die grafische Mischung aus nicht Verwertbarem und Wertvollstem, aus Schrott und Gold. Ich kannte den Laden nicht, war seit über 20 Jahren nicht mehr in der Straße, die früher nur wegen der Disco an ihrem untersten Ende interessant war: die Hüxstraße in der Lübecker Altstadt. Wie immer seltener werdende, schiefe Zähne quetschen sich die Häuschen nebeneinander, hier und da ein ganz fauler Zahn, kurz vorm Verrotten. Einen solchen Zahn haben sich 2002 die Berlinerinnen Birgit Böhnke und Regina Giese vorgenommen, um etwas zu schaffen, was im schönsten Sinn die Verbindung von Leben und Arbeit, Haben und Brauchen, ora et labora bildet.

Kommt man in den Laden hinein, kann man sich kaum zwischen Regalen und Tischen umdrehen. Das Sortiment birgt hauptsächlich exquisite Archi­tektur- und Kunstbücher, aber auch eine feine Auswahl schöner Literatur. Ausschlaggebend für mein spontanes Vertrauen war aber, dass die Buch­händle­rinnen selbst eigentlich nichts anderes sind als eine Art lebender ­Bücher, die ihre Artgenossen unter die Leute bringen. Nicht nur, dass sie sich von Literatur an diesen Ort haben ­locken lassen, sie bewohnen die Literatur buchstäblich. Stapeln sich unten die Bücher, stapelt sich das Leben darüber – Stockwerk um Stockwerk, ein Gehäuse voll geis­tigem und maritimem Treibgut, mittendrin ein riesiger Küchentisch, Tee, Kaffee, Wein, mit Blick auf verschachtelte Dächer, Fenster, Treppchen und Regale: Ehrlich gesagt, hätte ich fast geweint.
Echte, geistreiche Gemütlichkeit ist im Verschwinden. Dass ich in den heimlichen Wohnraum vordringen durfte, lag wohl daran, dass wir zusammen einen Leseabend vorhatten. Aber auch sonst können Kunden durchaus auf einen Tee, mindestens aber auf ein sehr anregendes Gespräch hoffen, was gleichzeitig von solch wohltuender Schrägheit ist, dass man sich selbst beinahe aufgerichtet fühlen darf.

Autorin Svenja Leiber,
1975 in Hamburg geboren, ist in Lübeck aufgewachsen und lebt heute in Berlin. Sie debütierte 2005 mit dem Erzählband "Büchsenlicht". Zuletzt erschien von ihr der Roman "Das letzte Land" (Suhrkamp)