Die Sonntagsfrage

"Mentorenstunden jetzt auch für Flüchtlingskinder. Wie kann das gehen, Frau Schaaf?"

17. Dezember 2015
von Börsenblatt
Ein Mentor, ein Kind - die Leselerninitiative MENTOR macht sich für die individuelle Sprach- und Leseförderung von Kindern und Jugendlichen nach dem 1:1-Prinzip stark. Jetzt sollen auch Flüchtlingskinder von dem Projekt profitieren. Margret Schaaf, Vorsitzende des Bundesverbands MENTOR – Die Leselernhelfer, erklärt, wie es geht. 

Schon länger war es uns eine Herzensangelegenheit, spezielle Materialien für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Herkunftsländern zu entwickeln, die noch nie mit der deutschen Sprache in Kontakt gekommen sind. Lese- und Sprachkompetenz sind doch die zentralen Schlüsselqualifikationen für Integration, soziale Teilhabe und somit Basis für eine gelingende Schul- und Berufslaufbahn. Die aktuelle Flüchtlingssituation hat dieses Anliegen beschleunigt, zumal einige unserer Vereine in Absprache mit Lehrern bereits mit schutzsuchenden Kindern arbeiten. Die Anforderungen an diese Mentoren sind natürlich anders als sie es aus ihren Lesestunden mit deutschen und mit Kindern mit Migrationshintergrund gewohnt sind. Und eines der obersten Gebote bei MENTOR – Die Leselernhelfer ist die fundierte Qualifizierung unserer Mentoren. Uns ist es sehr wichtig, dass sie ein gutes Rüstzeug bekommen. Daher liegen seit ein paar Wochen unsere „Materialien zur sprachlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien" vor, die wir unseren Vereinen und den Lesementoren zur Verfügung stellen. 

Bei der Erstellung der Materialien haben sich die Autoren auf wesentliche und grundlegende Themen beschränkt. Es ist ein Einstieg in die Sprach- und Leseförderung von Flüchtlingskindern, der systematischen Deutschunterricht nicht ersetzen kann und soll. Unsere Mentoren sind keine Deutschlehrer, vielmehr sollen sie weiterhin mit ihrer Zuwendung zum Lesekind und der Orientierung an seinen Interessen vor allem Lese- und Lernlust wecken und fördern. Wichtig ist uns zudem, dass auch hier nach dem bewährten MENTOR Qualitätsmerkmal, dem 1:1 Förderprinzip, gearbeitet wird.

Um Mentor zu werden braucht man übrigens keine pädagogischen Vorkenntnisse. Geduld, Humor, selber gerne lesen und sich gerne mit Kindern beschäftigen sind wichtige Säulen und Eigenschaften. Dem jungen Menschen zuhören, ihn auffangen und sich ihm emotional zuwenden können sind Kompetenzen, die ein Mentor mitbringen sollte. Diese Fähigkeiten sind entscheidender als eine pädagogische Ausbildung. Bevor aber Mentoren ihre erste Lesestunde haben, ob mit deutschen Kindern oder Flüchtlingskindern, werden sie von Referenten in einem Seminar auf ihre Arbeit vorbereitet, qualifiziert und fit gemacht. Unsere Mentoren bauen in der Regel nach kurzer Zeit eine enge und gute Beziehung zu den Kindern auf. Nicht selten hören wir, dass sich die Kinder und Jugendlichen auf ihre Lesestunde mit ihrem Mentor und dessen ungeteilte Aufmerksamkeit mit leuchtenden Augen freuen. Und wenn Worte nicht verstanden werden, werden sie pantomimisch  oder mit Bildkarten erklärt. Auch wird schon mal ein Salzstreuer zur Hand genommen, um zu verdeutlichen, was eine Prise ist. Das Schöne ist: Wir sind ein generationsbergreifendes Netzwerk. Berufstätige oder Studenten sind bei uns genauso ehrenamtlich engagiert wie Ruheständler. Bei MENTOR begegnen sich Personen, die sich im „normalen“ Leben nie begegnen würden.

Mit Flüchtlingskindern haben unsere Mentoren noch keine großen Erfahrungen gesammelt, da stehen wir noch am Anfang. Allerdings bekommen wir bereits sehr bewegende Rückmeldungen von Mentoren, die Flüchtlingskinder unterstützen. Da, wo Begegnung stattfindet, entsteht auch hier Bildung durch Bindung. Diese Kinder und Jugendliche sind unendlich dankbar, neugierig und haben den Rückmeldungen zufolge in kurzer Zeit erstaunlich große Fortschritte beim Spracherwerb gemacht. Auch in der Förderung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen spielt unser ganzheitlicher Ansatz eine besonders große Rolle. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die hohe Bereitschaft der Mentoren sich auf die nicht selten auch traumatisierten Kinder einzulassen. Sie holen sie dort ab, wo sie gerade stehen. Mentoren und Kinder steigen kreativ und flexibel in die Arbeit ein, sie hören sich gegenseitig zu und lassen sich auf ein Geben und Nehmen unvoreingenommen ein.  

MENTOR – Die Leselernhelfer Bundesverband e.V. macht sich für die individuelle Sprach- und Leseförderung von Kindern und Jugendlichen nach dem 1:1-Prinzip stark. MENTOR setzt sich dafür ein, die Leselust bei jungen Menschen, unabhängig von kultureller und sozialer Herkunft, zu wecken. So erhält auch der wachsende Anteil der Kinder und Jugendlichen mit sprachlichen Defiziten und mangelnden Lesefähigkeiten wieder Spaß und Freude am Lernen. Das Qualitätsmerkmal von MENTOR ist die konsequente Arbeit nach dem 1:1 Prinzip mit den drei Säulen:

-       Ein Mentor fördert jeweils ein Kind – eine Stunde pro Woche – mindestens ein Jahr lang

-       Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mentor und Kind: Bildung durch Bindung

-       Eine entspannte Lernatmosphäre: Humor, Geduld und Vertrauen statt Leistungsdruck