Die Sonntagsfrage

"Wie kann man die Freiheit des Wortes in Russland verteidigen?"

15. Juli 2015
von Börsenblatt
Zentrales Thema bei der Eröffnung der Buchtage am 20. Juni ist die Freiheit der Literatur und des Wortes, die in vielen Teilen der Welt bedroht ist. Boersenblatt.net hat den russischen Schriftsteller Andrej Dmitrijev, der gerade durch Deutschland reist, gefragt, wie man die Freiheit des Wortes in Russland verteidigen kann – und wie die deutsche Buchbranche dies unterstützen könnte.

"Wichtig ist anzumerken, dass die Situation der Freiheit des Wortes in Russland nicht eindeutig ist. Belletristik, Sachbuch, Publizistik, historische Literatur, Poesie erfahren keine Zensur. Freiheit des Wortes eines Autors oder Dichters ist unbegrenzt. Ganz anders steht es um Periodika: es wird ein starker Druck auf Journalisten und Publizisten ausgeübt – juristisch, administrativ und physisch. Zeitungen bekommen Geldstrafen. Journalisten werden bedroht, geschlagen, getötet. Am schlimmsten sieht es jedoch im Fernsehen und in den elektronischen Medien aus. Sie werden vom Staat kontrolliert. Langsam mutieren TV-Sender und elektronische Medien (früher Infoquellen und Diskussionsplatformen) zu groben Propagandainstrumenten. Hier ist anzumerken, dass einige wenige unabhängige Medien geblieben sind, zum Beispiel der Radiosender Echo Moskwy (Echo Moskaus) und der Fernsehsender Dozhd (Regen).

Die Situation hat sich zusätzlich durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Beleidigung religiöser Gefühle verschärft. Jede atheistische oder wissenschaftliche Äußerung eines jeden Menschen kann entsprechend interpretiert werden und unter dieses Verbot fallen. Außerdem wurde ein Gesetz über das Verbot der Propaganda der Homosexualität verabschiedet. Jede literarische und visuelle Äußerung, die dieses Thema tangiert, könnte strafrechtlich verfolgt werden. Wir erwarten weitere ähnliche Gesetze.

Wie könnte die deutsche Buchindustrie diesen Kampf für die Freiheit des Wortes unterstützen? Ein guter russischer Autor gibt ein wichtiges, freies, tiefes, vielfältiges Zeitzeugnis über das heutige Leben. Die deutsche Buchbranche könnte dem freien russischen Wort insoweit Hilfe leisten, dass sie die russischen Autoren zu Wort kommen lässt.

Das Internet ist frei, verzerrt aber die Realität, da darin zu viele politische und soziale Kämpfe ausgetragen werden. Poesie und Belletristik sind verlässliche Quellen der freien Information, letzte Bastion des freien Wortes. Sie sind frei vom äußeren Druck und innerer Verantwortungslosigkeit. Freies Wort in Russland ist ein literarisches Wort. Dieses Wort soll verlegt und ins Deutsche übersetzt werden, um dadurch auch in dieser Kulturträgersprache erhalten zu bleiben."

Andrej Dmitrijev hat bei Suhrkamp in deutscher Übersetzung die Erzählung "Die Flussbiegung" veröffentlicht. Der Schriftsteller war Gast der vom Buchinformationszentrum Moskau und vom Auswärtigen Amt geförderten Autorenreise, die am heutigen Sonntag zu Ende ging.