Diogenes: Philipp Keel, Winfried Stephan und Stefan Fritsch im Gespräch

»Ich mag es, wenn die Dinge einfach sind«

10. Mai 2012
von Börsenblatt
Diogenes erlebt eine Zäsur und beschwört den Zusammenhalt. Ein Gespräch mit dem neuen Verleger Philipp Keel und den langjährigen Geschäftsleitern Winfried Stephan und Stefan Fritsch.

Herr Keel, Sie waren lange in den USA, weit weg von Ihrem Geburtsort Zürich und vom Diogenes Verlag. Wann haben Sie sich dafür entschieden, Nachfolger Ihres Vaters zu werden?

Keel: Erst nachdem mein Vater tot war. Denn für mich gab es keinen Zweifel, dass mein Vater diesen Verlag so lange leiten würde, wie er dazu in der Lage wäre und dass er nicht wirklich jemanden neben sich dulden würde. Er hat das zwar nie so gesagt, aber das war trotzdem klar.

Dennoch haben Sie sich auch nach seinem Tod noch länger Bedenkzeit gelassen.

Keel: Meine Eltern waren beide lange krank. Ich habe deshalb schon 2009 entschieden, nach Zürich zurückzukommen. So hatten wir reichlich Gelegenheit, miteinander zu reden. Diese Zeit, so schwierig und traurig sie manchmal war, hat uns einander noch einmal ein großes Stück näher gebracht. Natürlich war es auch eine Umstellung, nachdem ich fast 20 Jahre mit einer gewissen, vor allem geografischen Distanz zu meinem Zuhause gelebt hatte. Trotzdem bestand in all den Jahren ein echtes Interesse am Verlag. Mein Bruder und ich, wir wussten immer darüber Bescheid, was im Verlag geschieht. Doch während der Krankheit meiner Eltern haben wir nicht darüber gesprochen, wie es mit Diogenes weiter gehen sollte. Mein Vater hat sich schlicht dagegen gesträubt, darüber zu reden; aber er hat dennoch immer wieder betont, dass es schön wäre, wenn der Verlag durch uns fortgeführt würde. Ein Verkauf, das war klar, kam für ihn nicht infrage.

Ihr Bruder Jakob erschien zunächst als der wahrscheinlichere Nachfolger; er hat das Verlagsgeschäft bei Knopf gelernt und war Assistent der Geschäftsleitung im väterlichen Verlag. Wie kamen jetzt Sie ins Spiel?

Keel: Er ist der Erstgeborene – die haben bekanntlich immer eine Art Bonus und sind in ihrer Rolle auch irgendwie genauer oder vernünftiger. Meinen Eltern galt er wohl auch deshalb zunächst als derjenige, der Diogenes weiterführen sollte. Dennoch hat mein Vater über kreative Dinge vor allem mit mir gesprochen – über das Programm immer mit uns beiden. Mein Bruder hat sich dagegen mehr für die administrativen Aspekte interessiert und sich schon früh Gedanken zur aktuellen Situation gemacht. Das hat Jakob viel Nerven gekostet, für die ich vermutlich ein Ventil durch meine künstlerische Arbeit hatte.

Und diese künstlerische Arbeit geben Sie jetzt auf?

Keel: Das habe ich nicht vor. Es kommt etwas Neues hinzu, sozusagen noch obendrauf. Es ist nicht vorgesehen, dass ich jeden Tag hier im Verlag bin. Ich will auch zu Hause arbeiten und Bücher lesen, hoffentlich etwas Gutes entdecken, Ideen entwickeln und dabei bloß nicht die Kunst vergessen.

Herr Stephan, Herr Fritsch, waren Sie als Geschäftsleiter einbezogen in das Nachdenken darüber, wie es mit dem Verlag weitergehen würde nach Daniel Keel?

Stephan: Wir haben manchmal darüber gesprochen. Aber dann ging es ja lange Zeit immer weiter – unverändert.

Herr Keel, es gab häufiger Angebote, den Verlag zu übernehmen. Daniel Keel hat das stets kategorisch abgelehnt. War ein Verkauf für Sie nach dem Tod Ihres Vaters eine Option?

Keel: Nein, dazu sind wir, mein Bruder und ich, einfach zu sehr mit dem Verlag groß geworden. Die Autoren, die bei uns ein- und ausgingen, die Gespräche, diese ganze Kultur – das hat uns stark geprägt. Der Verlag – das ist ein Teil von uns. Nach dem Tod unseres Vaters hat jeder für sich darüber nachgedacht, was es überhaupt bedeuten würde, den Verlag zu verkaufen. Die Antwort ist eindeutig: auf keinen Fall. Man überlegt, wie sich das anfühlen würde und weiß, es ist unmöglich. Auch den Autoren, der Geschäftsleitung und all unseren Mitarbeitern, die diesen Verlag schon so lange mitprägen, wäre ein Verkauf nicht zuzumuten. Zu klären war dann die Frage: Wie machen wir es? Denn der Wunsch meines Vaters, der war zwar knapp formuliert, doch auch sehr anspruchsvoll: dass der Verlag so wie bisher weitergeführt werden soll. Das ist natürlich mit Komplikationen verbunden. Mit unserer Entscheidung, mein Bruder Jakob als Verwaltungsratsvorsitzender und ich als Verleger, sind wir überzeugt, das Beste für Diogenes und uns gefunden zu haben.

Was hat sich seit dem 13. September 2011 verändert?

Fritsch: Wir waren sehr traurig. An den Abläufen hat sich nicht viel geändert, außer der Tatsache, dass wir Daniel Keel in bestimmte Entscheidungen nicht mehr mit einbeziehen können.

Herr Keel, wie fühlt es sich an, hier in diesem Zimmer zu sitzen, anstelle Ihres Vaters?

Keel: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Es ist sehr traurig für mich, hier zu sitzen, denn mit dem kurzen zeitlichen Abstand steht das Fehlen meines Vaters im Vordergrund. So wie sich der Raum heute präsentiert, ist es ganz das Büro meines Vaters. Ich hoffe, dass sich dieser Eindruck und schließlich auch mein Gefühl ändern werden, wenn hier alles ein bisschen aufgefrischt ist. Selbstverständlich bleibt auch einiges wie es war - etwa der Schreibtisch meines Vaters, die Bronze von Dürrenmatt und ein paar seltsame Bilder.

Es gibt prominente Beispiele dafür, dass Verlage daran gescheitert sind, die Leitung vom Vater an den Sohn weiterzugeben. Ist Diogenes die große Ausnahme?

Fritsch: Wir haben eine riesige Chance, die Chance, es gut zu machen. Das ist eine Herausforderung. Wir sind eine große Familie. Das muss so bleiben.

Stephan: Es gibt funktionierende Strukturen. Die Führung des Verlags war nicht allein die Sache von Daniel Keel und Rudolf Bettschart: Sie haben ja vor 20 Jahren eine Geschäftsleitung installiert.

Keel: Die wichtigen Dinge müssen weiterhin diskutiert und die Entscheidungen gemeinsam getragen werden. Besonders wichtig ist, dass wir Freude an unserer Arbeit haben und mit Leidenschaft Bücher machen.

Fritsch: Rudolf Bettschart würde sagen, 50 Prozent  am Erfolg ist gute Stimmung.

Rudolf Bettschart hat keine Nachkommen. Was soll einmal mit seinen Anteilen geschehen?

Keel: Das weiß nur er. Nachdem mein Vater gestorben ist, erscheint es erst recht unvorstellbar, dass sich Rudolf Bettschart nicht mehr jeden Tag um den Verlag kümmert. Er hat mich immer wie einen Sohn behandelt und ich habe von ihm als meinem Patenonkel genauso viel gelernt wie von meinem Vater.

Das Verlagsgeschäft verändert sich rapide. Neigt sich die Zeit der großen Familienunternehmen dem Ende zu, sind Sie im Nachteil gegenüber den Konzernen?

Stephan: Das glaube ich nicht. Unsere Größe hat sogar Vorteile. Wir pflegen sehr enge Beziehungen zu unseren Autoren und können ihnen einen Fullservice bieten. Wir produzieren Hardcover, Taschenbuch, Hörbuch, E-Book und vertreiben all diese Formate auf sämtlichen Kanälen.

Fritsch: Entscheidend ist doch immer, ob man die Bücher hat, die gefragt sind, oder ob man sie nicht hat. Darum dreht es sich letztlich bei allen Gesprächen mit dem Handel. Und da sind wir in einer guten Position.

Stephan: Unsere Politik war es nie, einzelne Bestseller zu kaufen. Im Zentrum stand nie ein einzelnes Buch, sondern der Autor und sein Werk. Damit sind wir für die Zukunft gerüstet.

Wie sehr fehlt das legendäre Gespür von Daniel Keel für gute Bücher?

Stephan: Wir haben fast drei Jahrzehnte zusammengearbeitet, das färbt ein bisschen ab.

Der Tod von Daniel Keel bedeutet also keinen Bruch?

Stephan: Doch, denn mit Daniel Keel starb einer der letzten einer legendären Verlegergeneration. Aber jetzt schauen wir mit Philipp Keel gemeinsam in die Zukunft.

Die führenden Filialbuchhändler stecken in Schwierigkeiten, durch elektronische Angebote wird sich der Markt weiter verändern, in der Schweiz müssen Sie zudem ohne Preisbindung auskommen. Nichts, so scheint es, wird einfacher.

Fritsch: All das ist richtig. Wir müssen uns also anstrengen. Entscheidend ist, die Partner im Handel, mit denen wir besonders gut zusammenarbeiten können, zu unterstützen. Ich sehe momentan nicht derart viele Veränderungen, dass wir die Art, wie wir den Großteil unserer Bücher verkaufen, nicht beibehalten könnten. Für einen Buchhändler ist es wichtig, dass er Vertrauen in das Urteil, den Rat desjenigen hat, der ihm Bücher offeriert. In Zeiten, wo das Miteinander immer oberflächlicher, schneller, unpersönlicher wird, ist das vielleicht noch mehr so, deshalb ist die Arbeit unserer Vertreter so zentral.

Sie haben im Vorjahr weniger Titel herausgebracht und weniger Umsatz erwirtschaftet. War 2011 ein schwieriges Jahr?

Fritsch: Die Triebfeder des Verlags war nie Wachstum, sondern immer inhaltliche Qualität. Der Umsatzrückgang im vergangenen Jahr erklärt sich vor allem aus dem Wechselkurs des Franken zum Euro. Wir leiden, wie andere auch, extrem unter dem starken Franken.

Stephan: Wir wollen uns möglichst intensiv um Titel kümmern, von denen wir wirklich überzeugt sind. Weniger ist da oft mehr. Außerdem gibt es in der Belletristik auch natürliche Schwankungen. Man hat eben nicht jedes Jahr neue Bücher von John Irving, Bernhard Schlink oder Martin Suter.

Daniel Keel sagte einmal, dass er mit einem Viertel der Bücher die restlichen drei Viertel finanziere. Wie ist das heute?

Fritsch: Heute ist es noch verrückter. Das Verhältnis ist 10 zu 90. Das ist ja das Problem der Verlegerei. Man kann auf die 90 Prozent nicht verzichten, die sind auch wichtig, aber man weiß vorher nicht, welche Bücher zu den zehn Prozent gehören werden.

Stephan: Das Erfreuliche dabei ist: die zehn Prozent ändern sich, das heißt neue Autoren kommen dazu. Das bleiben nicht immer dieselben.

Herr Keel, ich vermute, dass Ihnen die Gestaltung der Bücher, da Sie selbst Maler und Zeichner sind, besonders am Herzen liegt. Die Buchumschläge sind ein Markenzeichen des Diogenes Verlags. Bleibt alles, wie es ist?

Keel: Das bewegt sich ständig, aber nicht meinetwegen. Ich finde es schön, dass das Lektorat hier zunehmend Einfluss auf die Auswahl der Motive und Künstler genommen hat. Aber davon abgesehen liegt mir das Corporate Design durchaus am Herzen. Ich habe als 20-Jähriger meinem Vater gesagt, dass ich es schön fände, wenn alle Umschläge weiß wären. Er hat damals entgegnet, nur weil ich in der Werbung arbeite, müsste ich nicht mit solch einem Blödsinn kommen. Irgendwann waren dann die Umschläge weiß. Im Hinblick auf unser 60-jähriges Jubiläum denke ich durchaus darüber nach, ob wir nicht noch stärker zu einem klassischen Stil zurückfinden könnten. Es liegt mir etwas daran, die Dinge zu vereinfachen und die Marke Diogenes damit noch mehr zu stärken

Sind Sie Traditionalist?

Keel: Ja, das kann man so sagen. Das bedeutet aber nicht, dass ich technikfeindlich bin. Natürlich müssen wir uns auch um das E-Book kümmern. Die Leute werden digital und klassisch lesen. Und wir bieten entsprechend beide Formate an. Aber ich glaube, dass sich die elektronische Form eher in anderen Sparten ausbreiten wird. Dass es auf Readern oder Tablets vor allem um die kurze, rasche Information geht. Das Erlebnis Lesen hat eine große Chance, klassisch zu bleiben.

Haben Sie Buchideen mitgebracht?

Keel: Ja, und das darf ich nun vermehrt tun und freue mich darauf, zusammen mit Winfried Stephan und Daniel Kampa das Programm zu machen.

Überlegen Sie häufiger: Wie hat oder hätte das mein Vater gemacht?
Keel: Gott sei Dank nicht so oft wie ich es befürchtet habe, aber man kommt nicht ganz drumherum.

Sie werden auch außerhalb des Verlags gemessen an Ihrem Vater. Setzt Sie das unter Druck, wenn Sie etwa an die nächste Frankfurter Buchmesse denken, wo das 60-jährige Bestehen des Verlags gefeiert werden soll?

Keel: Im Moment bin ich froh, wenn ich jeden Tag, an dem ich hier bin, nicht zu aufgeregt bin. Ich mache das Schritt für Schritt. Während der Krankheit meiner Eltern habe ich oft gedacht: Wenn ich mir alles auf einmal vorstelle, was vor mir liegt, ist das zu gewaltig. Wenn ich versuche, das einigermaßen gut hinzukriegen, was gerade ansteht, dann ist das schon viel.

Es ist üblich, nach 100 Tagen eine erste Bilanz zu ziehen. Was sollte dann unter dem Strich stehen?

Keel: Zunächst einmal ganz schlicht: dass es geht, dass es möglich ist. Die Quintessenz wäre dann, dass wir alle zufrieden sind miteinander und mit dem, was wir machen. Ich sehe keinen Grund, dass uns das nicht gelingen sollte.