E-Book-Markt in Brasilien

Wachsen in der Krise

26. August 2016
von Börsenblatt
Wie entwickelt sich der E-Book-Markt in Brasilien? Verleger, Buchhändler und Dienstleister tagten gestern beim Kongress „Livro Digital“ in São Paulo – mit internationaler Besetzung. Neben Amazon holten die Veranstalter mit MVB-Chef Ronald Schild und Eventkonzepter Leander Wattig auch zwei deutsche Speaker auf die Bühne.

Der brasilianische Branchenverband Câmara Brasileira do Livro (CBL) richtete die eintägige Veranstaltung in diesem Jahr zum sechsten Mal aus. Einige Zahlen zum E-Book-Geschäft in Brasilien (Quellen: Publishnews, CBL):

Die Wachstumskurve ist, wie auch in vielen anderen Ländern, abgeflacht. Während von 2012 bis 2013 bei den Absatzzahlen noch eine Steigerung von 2,0 Prozent zu verzeichnen war, verkauften Verlage 2015 nur noch 0,6 Prozent mehr E-Books als im Vorjahr. Der Anteil der E-Book-Verkäufe am Gesamtmarkt (Stückzahl) lag 2015 bei 4,27 Prozent (2014: 3,5 Prozent). Der Umsatzanteil E-Books am Gesamtmarkt lag 2015 bei 2,57%. Die Verkaufszahlen einzelner Warengruppen liegen oft weit auseinander: So berichtet Marcelo Gioia, Managing Director bei Bookwire Brasilien, etwa von stabilen Wachstumsraten im Bereich Religion. Zahl der erhältlichen E-Book-Titel (ohne Selfpublisher): 50.000

Die Wirtschaftskrise in Brasilien sorgt für anhaltende Verunsicherung. Die Regierung hat Ankaufsprogramme für Print- und E-Books auf Eis gelegt. Dennoch, es geht voran: „Der Markt befindet sich in einer Phase der Professionalisierung", meint Carlo Carenho, Chef des brasilianischen Online-Fachportals Publishnews. Zwei digitale Auslieferungen stemmen den Hauptanteil im E-Book-Geschäft: Neben der Distribuidora de Livros Digitais (DLD), einem Zusammenschluss von sieben großen brasilianischen Verlagen, treibt Bookwire die Geschäfte voran. Die Dependance der Frankfurter Digitalauslieferung ist seit 20 Monaten in Brasilien vertreten und hat rund 12.000 Titel von über 170 Verlagen im Programm.

Amazon liebt den Katalog

Wichtigster Absatzkanal für E-Books ist weiterhin Amazon, zunehmend dicht gefolgt von Google. Alex Szapiro, Country Manager bei Amazon Brasilien, stellte in seinem Redebeitrag heraus: „Ein umfangreicher und gut gepflegter Katalog steht im Zentrum unseres Erfolg." Amazon setzt deshalb auf permanente Sortimentsausweitung und -pflege, ob direkt über Verlage oder über Drittanbieter (Market Place).

Gut gepflegte Titel – das heißt vor allem vollständige Metadaten, die das Buch genau beschreiben und kategorisieren. „Es gibt mehr Inhalte über das Buch als Inhalte im Buch selbst", so die Eingangsthese von Ronald Schild, Geschäftsführer MVB. In seinem Vortrag zeigte er Fallbeispiele, wie vollständige Metadaten zu mehr Sichtbarkeit im Netz führen. So stieg in einem Testfall ein Titel mit vollständiger Thema-Verschlagwortung bei Amazon von Sales Rank 1.410 auf Rank 73, in spezifischeren Themenkategorien sogar auf Rank 1.

Selfpublishing ist auch in Brasilien ein großes Thema. Regelmäßig besetzen Autoren ohne Verlag die ersten Plätze in den E-Book-Charts. Wie schaffen es Verlage, Autoren an sich zu binden und zu halten? In seinem Vortrag „Gamechanger Selfpublishing" warb Leander Wattig für ein neues Dienstleisterverständnis von Verlagen. „Türhütermonopol war gestern." Um Autoren zu überzeugen, sollten Verlage ihre Leistungen transparent machen und sich immer wieder fragen: „Was tue ich für meinen Autor und wie vermittle ich meinen Markenkern?

Kunden über ihre Leidenschaften binden

„What the hell are you doing at your job?", wird Sam Missingham oft gefragt. Ihr Jobtitel: „Head of Audience Development" bei HarperCollins, London. Ihre Mission: „Jeder hat eine Leidenschaft, ein Hobby. Frage dich: Was muss ich meinen potentiellen Kunden zu ihrer Leidenschaft anbieten, worauf springen sie an?" So entstehen integrierte Kampagnen, in den meisten Fällen eine Kombination aus Event, PR und Social Media. Ständige Interaktion über Facebook, Twitter, Gewinnspiele oder Umfragen führt zu enger Bindung. Tipps: „Kenne deine Ziele, lass die Finger vom Social Media Tools, die du nicht gut kennst und sammle Kundendaten, wo immer möglich."

Im Anschluss an den Digitalkongress öffnet am heutigen Freitag die 24. Bienal Internacional do livro in São Paulo ihre Tore. Bis zum 4. September präsentieren 280 Aussteller ihr Angebot. Mit über 300 Autoren und vielen Live-Events richtet sich die Messe vor allem an die Leser selbst.

Sandra Schüssel