E-Book

Tolino - die offene E-Reading-Alternative

23. Juli 2015
von Börsenblatt
In Berlin hat heute eine Allianz der Großfilialisten Hugendubel, Thalia, Weltbild, des Club Bertelsmann und der Telekom die neue E-Reading-Plattform Tolino angekündigt. Mit dem gleichnamigen Lesegerät und dem gesamten E-Book-Angebot aller Partner soll so die größte flächendeckende Lösung für das digitale Lesen im deutschsprachigen Raum geboten werden. Ein klares Statement und eine starke Initiative in einem Markt, der von multinationalen Konzernen wie Amazon und Apple dominiert wird.

Im Mittelpunkt der neuen strategischen Partnerschaft steht das Lesegerät Tolino shine, ein Gerät mit E-Ink-Display und integrierter Beleuchtung, das ab 7. März bei allen Partnern erhältlich sein wird. Den Preis für das Gerät legen die Partner selbst fest, bei Thalia kostet er 99 Euro, bei Weltbild 99,99 Euro. Der Content-Pool, den die Partner aggregieren, umfasst 300.000 deutschsprachige Titel.

Carel Halff betonte bei der Pressekonferenz, dass die Marke Tolino für ein offenes System steht, ohne dass deshalb der Wettbewerb der Partner untereinander beendet werde. Thomas Kiessling (Telekom) sagte, im Mittelpunkt der neuen Lösung stehe das persönliche digitale Buchregal, unabhängig davon, über welche Handelsplattform man das Gerät und die Inhalte erwirbt.

Die Lektüre der E-Books, so Kiessling, sei voll synchonisiert: Man kann ein Buch auf dem PC anfangen zu lesen und nach einer Unterbrechung auf einem Tablet weiterlesen. Die in einer Cloud geladenen Inhalte sind "sicher", so Kiessling, "und können nicht einfach gelöscht werden".

Michael Busch rechnet damit, dass bis 2015 etwa 25 Prozent aller Bücher digital gelesen und verkauft werden, auch über den stationären Buchhandel. Darin liegt auch die Chance für den wirtschaftlichen Erfolg des Tolino. Weltbild und Thalia machen derzeit 30 bis 40 Prozent Umsatz mit digitalen Inhalten (E-Books etc.).

Welche Auswirkungen wird die Lösung für den kleinen Buchhandel haben? Nina Hugendubel sagte, dass auch der unabhängige Buchhandel eingebunden werden kann und bestellte E-Books auch über die Telekom Cloud zugänglich gemacht werden können.

Das Gerät, so Anita Offel-Grohmann, spiele "klar in der Champion's League". Dank eines Soft-Touch-Lacks verfüge das Gerät über "Kuschelqualitäten", so Kiessling. Technisch und von der Bedienung ist das Gerät klar auf "Augenhöhe" mit anderen Readern im Markt, etwa dem Kindle Paperwhite oder dem Kobo Glo.

 

Kurze Analyse
Ist Tolino die Antwort auf Amazons Kindle oder Apples iTunes (iBookstore)? Wird es der branchenübergreifenden Allianz von Thalia, Weltbild, Hugendubel, Club Bertelsmann und Telekom gelingen, der Übermacht der multinationalen Internet-Giganten zu trotzen und eine attraktive Alternative zu Amazons Geschäftsmodell zu etablieren?

Thalia-Chef Michael Busch verspricht jedenfalls, „dem Kunden das bestmögliche Konzept beim E-Reading anbieten zu können“. Die Kräfte, die die Tolino-Partner bündeln, sind eindrucksvoll. Mit Weltbild, Hugendubel und Thalia sitzen die größten Buchhändler im Boot, mit dem Club Bertelsmann die größte Buchgemeinschaft. Und mit der Telekom kommt ein Technologiepartner hinzu, der für die E-Reading-Plattform die modernste Infrastruktur mitbringt: einen Cloud-Service, der es den Tolino-Nutzern erlaubt, ihre Inhalte überall und zu jeder Zeit abzurufen – und zwar von jedem beliebigen Endgerät. Für Nutzer ohne Internetverbindung stellt die Telekom zudem ihr Netz aus 11.000 Hotspots zur Verfügung. Nimmt man die Substanzen aller vorhandenen Plattformen zusammen, entsteht mit der E-Reading-Plattform Tolino das wohl größte E-Book-Angebot im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich und Schweiz).

Ein wichtiger Aspekt bei dieser Allianz ist aber nicht nur der Schulterschluss von Buchbranche und Telekommunikationsdienstleister bzw. Internetprovider, sondern die Verknüpfung des E-Reading mit dem stationären Buchhandel. Das Lesegerät wird nicht nur in den Online-Shops der Händler erhältlich sein, sondern flächendeckend in allen 1.500 Filialen.

Die Entwicklung des Geräts und der mit ihm verbundenen Infrastruktur lag in den Händen der Deutschen Telekom: Hier soll das Beste aus beiden Welten, technologische Kompetenz und buchhändlerische Erfahrung, eingeflossen sein.

Besonderen Wert legen die Teilnehmer der Allianz auf die Offenheit des Ansatzes: Jeder kann mitmachen – in einer zweiten Stufe auch der unabhängige Buchhandel; der Zugriff ist von jedem Endgerät aus möglich; die Inhalte sind dauerhaft in der Telekom Cloud gespeichert und bleiben auch bei Verlust des Geräts oder Kontokündigung erhalten.

 

Rückblick
Für Thalia-Chef Michael Busch ist die E-Reading-Plattform rund um den Tolino der dritte Anlauf: nach der Allianz mit Libri und Sony im Frühjahr 2009 und nach der Oyo-Allianz aus dem Jahr 2010, die später zerbrach und insgesamt nicht erfolgreich verlief – auch deshalb, weil man in der Kooperation mit Medion ein technisch unzulängliches Gerät anbot, das die Kunden nicht nachhaltig überzeugte. Inzwischen bietet Thalia mehrere E-Reader, die auch gehobene Kundenwünsche befriedigen. Hier wäre vor allem das Cybook Odyssey zu nennen.

Auch Weltbild und Hugendubel verfügen über Erfahrungen im E-Reader-Geschäft und konnten im Niedrigpreissegment mit den Readern 3.0 und 4.0 (von Trekstor) punkten. Mehr als 100.000 Geräte sollen verkauft worden sein.

Perspektiven

Interessant bei der Kooperation mit dem Club dürften zwei Dinge sein:

  • Die Buchgemeinschaft verfügt neben zahlreichen Kundendaten über die Vertriebskapazitäten und das innovative Potenzial des Bertelsmann-Konzerns. Die Inhalte für die Club-Plattform kommen (wie auch bei Weltbild.de) vom elektronischen Kiosk Pubbles, dem Joint Venture von Bertelsmann, Gruner + Jahr und Weltbild.
  • Die Club-Töchter im europäischen Ausland könnten eine Internationalisierung des Angebots erleichtern.
Die Schlüsselrolle der Telekom (die ja bereits die eigene E-Reading-Plattform Pageplace betreibt), könnte sich auch bei der Ausgestaltung von Angebotsmodellen (z.B. Content-Flatrate oder –miete mit Gerätesubventionierung) erweisen. Davon war aber zum heutigen Zeitpunkt noch keine Rede.