Ein Gespräch mit Detlef Bluhm

»Man unterliegt diesen Reizen ja auch«

24. September 2009
von Börsenblatt
»Von Autoren, Büchern und Piraten«, heißt das jetzt erschienene Werk von Detlef Bluhm. Ein Gespräch mit dem Autor über die Vorzüge von E-Books, die Krise im Buchhandel und die ungewisse Zukunft.

In Zeiten, da viele über neue Medien reden, haben Sie ein 280 Seiten dickes Werk über das Buch geschrieben. Warum?

Als vor zwei Jahren in Amerika der Kindle auf den Markt kam, wurde mir rasch klar, dass die Digitalisierung unsere Branche radikal verändern wird, ohne dass wir das Ergebnis kennen. Es gibt keine Erfahrungen für diesen Prozeß – die Musikindustrie kann nur bedingt als Vorläufer gelten. Aber wir wissen sehr genau, wo wir herkommen. Die Geschichte des Buchs ist 3500 Jahre alt, und mich hat interessiert, ob sich daraus etwas für unsere Zeit lernen lässt.

 

Und Ihre Antwort?

Wir leben heute in einer Medienrevolution und in der Geschichte der Buchkultur hat es deren mehrere gegeben. Das prominenteste Beispiel ist Gutenberg: das handgeschriebene Buch wurde abgelöst durch das gedruckte. Heute geschieht etwas ähnliches, neben das gedruckte Buch tritt das digitale Produkt. Ein Beispiel nur, dass die Parallelen verdeutlicht: Die Drucker haben zu Gutenbergs Zeit nichts anderes getan, als das alte Medium, das handgeschriebene Buch, zu kopieren. Erst später wurden die technischen Möglichkeiten des Druckens genutzt und etwa Abbildungen aufs Papier gebracht. Das E-Book, das wir heute kennen, ist in diesem Sinn nur ein Übergangsprodukt, es werden neue Applikationen hinzukommen, vielleicht auch technische Möglichkeiten, die uns heute noch unbekannt sind.

 

Die Sehnsucht nach handschriftlichen Büchern ist aber ziemlich begrenzt ...

So ist es, aber damals war das anders. Es gab viele Vorbehalte, konservative Kreise haben prophezeit, die gesamte Überlieferungskultur würde verloren gehen ebenso wie verschiedene Berufe. Und tatsächlich wurden der Schreiber und andere Berufsgruppen obsolet. Aber dafür sind neue Berufe entstanden: Der Drucker, der Setzer, der Schriftgießer ... Gutenberg hat völlig neue Berufe erfunden. So ist es heute auch.

 

Wird das gedruckte Buch nur als Luxusartikel für eine überschaubare Zahl von Liebhabern bestehen bleiben?

Das elektronische Buch wird das gedruckte Buch sicher in bestimmten Bereichen weitgehend ersetzen. Wir merken das heute beispielsweise bei Ratgebern oder Reiseführern. Ich glaube aber keinesfalls, dass das E-Book das gedruckte Buch gänzlich ablösen wird. Das gedruckte Buch ist nicht vom Aussterben bedroht, sondern von seiner Marginalisierung. Es wird immer mehr an den Rand der Medienwahrnehmung gedrängt, das hängt auch mit den nachfolgenden Generation zusammen, die ein völlig neues Verhältnis zu den Medien haben.

 

Bedauern Sie das?

Teil, teils. Ich lebe in einer Wohnung voller Bücher und bin mit dem Buch aufgewachsen. Insofern bedauere ich die Entwicklung. Aber man bedauert auch Erdbeben, ohne sie verhindern zu können. Andererseits nutze ich moderne Medien wie das iPhone. Man unterliegt diesen Reizen ja auch: der Vereinfachung, der Geschwindigkeit. Das sind unbestreitbare Vorteile, die aber zu Lasten das Buchs gehen. Dieser Prozess ist nicht aufzuhalten.

 

Bringt die Veränderung des Mediums einen Verlust mit sich, einen Verlust an intellektueller Substanz?

Ich denke schon. Dazu gibt es ja bereits wissenschaftliche Untersuchungen. Neurologen haben festgestellt, dass heute bei zehnjährigen Kindern ein bestimmter Teil des Gehirns, der den Daumen steuert, viel größer geworden ist, weil sie ständig twittern oder simsen. Autoren und Wissenschaftler berichten, dass sich ihre Lesegewohnheiten ändern. Sie werden fahriger, verlieren die Geduld mit langen Texten. Es gibt also eine Verarmung, aber eben auch eine Bereicherung, von der ich schon gesprochen habe: Man kommuniziert schneller, fasst Dinge kürzer. Aber nichts bleibt, wie es ist. Das finde ich ungeheuer spannend.

 

Der Internetbuchhandel wächst auf Kosten des stationären Sortiments, die zunehmende Bedeutung von E-Books trägt auch nicht gerade zur Beruhigung der Buchhändler bei. Fällt die Geschäftsgrundlage für viele Buchhandlungen weg?

Der stationäre Buchhandel verliert im Schnitt jährlich 75 Millionen Euro an den Internetbuchhandel. Das E-Book wird diesen Druck noch verstärken, denn es ist unwahrscheinlich, dass das Geschäft mit elektronischen Büchern über den stationären Buchhandel laufen wird. Es ist also zu befürchten, dass die Umsätze der Buchhandlungen weiter sinken werden. Das betrifft aber ganz sicher nicht nur die Kleinen; Hugendubel und Weltbild sind bereits in einem Wandlungsprozess. Die Buchhandelslandschaft wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren drastisch verändern.

 

Hugendubel hat erhebliche Schwierigkeiten, Thalia hingegen geht es allem Anschein nach gut. Glauben Sie wirklich, dass vor allem die Großen die Leidtragenden der Medien-Entwicklungen sind?

Die Großen haben das Problem ihrer riesigen Flächen und teuren Lagen. Braucht man heute noch eine 7000 Quadratmeter große Buchhandlung? Die Kleinen könnten schneller, gewandter, kundenorientierter sein und dadurch eine gute Überlebenschance haben, zumal dann, wenn sie die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters nutzen.

 

Was wird aus den Großbuchhandlungen?

Dort werden nur noch auf einem Teil der bisherigen Fläche Bücher angeboten, daneben wird es wohl Non-Book-Abteilungen geben mit Papeterie, Musik und andern Artikeln. Hugendubel hat ja solches bereits angekündigt.

 

Die Entwicklung ist rasant. Wird Ihr Buch mit dem Erscheinen schon inaktuell sein?

Große Teile widmen sich der abenteuerlichen Buchgeschichte, ihres ständigen Wandels und ihrer Medienrevolutionen. Im letzten Kapitel habe ich dargestellt, was derzeit ist und was werden könnte. Dort findet man grundsätzliche Überlegungen zur Buch- und Netzkultur, die sicher fünf bis zehn Jahre Bestand haben werden. Einige Ausblicke in die Zukunft hingegen könnten tatsächlich in ein bis zwei Jahren überholt sein. Aber es wird auf meiner neuen Homepage einen Blog geben, auf dem die weiteren Entwicklungen diskutiert werden und parallel zum gedruckten Buch auch ein E-Book fürs iphone mit zusätzlichen Inhalten, mit Bild- und Tondokumenten.

 

Sie haben mit vielen Leuten aus der Branche gesprochen. Wie haben Sie die Stimmung wahrgenommen?

Man ist gespannt, wie sich der Markt entwickelt, Verleger allerdings mehr als Buchhändler. Doch es gibt auch eine Skepsis, ob die notwendigen Investitionen sich rentieren und eine Unsicherheit hinsichtlich der Erlöse. Diese Spannung wird noch eine Weile anhalten.