Eröffnung der Frankfurter Buchmesse

"Weltcamp der Ideen und des Austauschs"

14. Oktober 2015
von Nils Kahlefendt
Wenn Utopien rar werden, müssen wohl Büchermenschen ran, um Alternativen zu denken: Die politisch aufgeladene Weltlage und die Rolle der Literatur als Brückenbauer prägten die Eröffnungs-Reden der 67. Frankfurter Buchmesse. Nach vielen klugen, fein abgewogenen Worten sorgte eine indonesische Sängerin für den stärksten Moment des Abends.

Lang, lang hat man ihr entgegengefiebert und – gearbeitet – und nun ist die Welt in Aufruhr. Die Konstellation der gestern Abend mit einem Festakt in der prall besetzten Kongresshalle eröffneten 67. Frankfurter Buchmesse erscheint nicht nur Kulturstaatsministerin Monika Grütters unerwartet: "Mit dem Gastland Indonesien trifft das bevölkerungsreichste muslimische Land der Erde auf ein Gastgeberland, das sich eben fragt, wie die demokratischen Werte, die es offenbar zum weltweiten Sehnsuchtsland machen, geschützt werden können." Mit Bezug auf die TTIP-Verhandlungen bemerkte Grütters, dass in einem Europa, das mehr als eine Freihandelszone sein will, "Kultur nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen werden" dürfe. Nicht nur den "erzielbaren Preisen" dürfe sich eine Veranstaltung wie die Buchmesse widmen, sondern auch dem Wert der Literatur: "Die Literatur kann Grenzen verschieben, sie kann die Grenzen unserer Empathie weiten."                                                                                                                       

Dass es keinen Rabatt auf unsere Werte geben kann, Meinungs- und Publikationsfreiheit nicht verhandelbar sind, betonte Stunden nach dem symbolträchtigen Auftritt von Salman Rushdie zur Eröffnungs-Pressekonferenz  auch Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller. Anhand von aktuellen Beispielen aus Mexiko, Katar, China, Saudi-Arabien und Syrien erinnerte er an Autoren und Blogger, die ihren Einsatz für das Wort und die Freiheit mit Haft, Folter, Vertreibung oder gar dem eigenen Leben bezahlen mussten. Nicht nur mit Blick auf die Aktion „Bücher sagen willkommen“ hofft Riethmüller auf fünf Tage, die Frankfurt in ein buntes "Weltcamp der Ideen und des Austauschs" verwandeln sollen.

Anies Rasyid Baswedan, Minister für Bildung und Kultur der Republik Indonesien, pries sein Heimatland vor der versammelten Kultur-Prominenz als regelrechten Vielfalts-Spezialisten. Vom Militärputsch des Jahres 1965 und seinen bis heute fortwirkenden Traumata war dabei allerdings mit keinem Wort die Rede. Hübsche Volte: Aus dem Land der 700 Sprachen, der größten islamischen Demokratie der Welt, wurde die hierzulande hitzig geführte Flüchtlingsdebatte ganz entspannt zurückgespiegelt. "Deutschland und Europa werden reicher und schöner durch das Gespräch mit den unterschiedlichen Kulturen", so der Minister mit dem weisen Lächeln eines Zen-Meisters.

Für den stärksten Moment des Abends sorgte kein Politiker oder Kulturfunktionär, sondern die 1976 geborene indonesische Sängerin Endah Laras. Eine kleine Frau, die plötzlich, ohne jedes erklärende Beiwerk, die Bühne entert, die erste Strophe eines Gedichts rezitiert - um sogleich in kräftig intonierten, zauberhaften Gesang zu wechseln: Ein javanesisches Poem aus dem 19. Jahrhundert, handelnd von einem Dichter, der eigentlich vom Sultan zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde – aber der Macht schreibend ihre Grenzen aufzeigt. Das war fremd, wundersam, faszinierend. Ein Gesang, der mehr sagte als tausend Worte.     

Hier geht es zum PDF-Download der kompletten Rede Heinrich Riethmüllers.