Eröffnung von "Frankfurt liest ein Buch"

"Ein Plädoyer für Mut und Zivilcourage"

17. April 2018
von Matthias Glatthor
Gestern Abend fiel in der Deutschen Nationalbibliothek der offizielle Startschuss zum Festival "Frankfurt liest ein Buch", das bis zum 29. April Frankfurt und die Region bespielt. Eine denkwürdige Veranstaltung, auf der der 91-jährige Sohn von Anna Seghers für den emotionalen Höhepunkt sorgte.

Der Vortragssaal der Deutschen Nationalbibliothek war gestern Abend zur offiziellen Eröffnungsveranstaltung des Lesefestivals "Frankfurt liest ein Buch" mit rund 400 Zuhörern voll besetzt. Auf der Leinwand hinter dem Podium sah man das Cover des Titels, der diesmal in Frankfurt und der Region gelesen wird: "Das siebte Kreuz" (Aufbau Verlag) von Anna Seghers. Der 1938/39 im Exil geschriebene antifaschistische Roman beschreibt die Flucht von sieben politischen Häftlingen im Nazideutschland aus dem fiktiven KZ Westhofen bei Worms.

Auf der Bühne nahmen zunächst die acht Personen Platz, die später die Lesung bestritten: Der Schriftsteller Jan Seghers (i.e. Matthias Altenburg), die Autorin und Moderatorin Bärbel Schäfer, der Intendant des Schauspiels Frankfurt Anselm Weber, Marius König (ein Schüler der Wöhlerschule), die Direktorin des Jüdischen Museums Mirjam Wenzel, die Leiterin des Deutschen Exilarchivs Sylvia Asmus, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis sowie die Journalistin Daniella Baumeister. Alle sorgten für einen denkwürdigen Abend.

"Anna Seghers ist zur Zeit allgegenwärtig"

"Exil ist ein großes Thema unseres Hauses", sagte Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin Deutsche Nationalbibliothek, in ihrer Begrüßung. Sie dankte dem Verein "Frankfurt liest ein Buch" und dem Aufbau Verlag für die Gelegenheit, dass die DNB erneut Gastgeber der Eröffnungsfeier sein durfte. Passenderweise sei das Exilarchiv gerade um eine neue Fläche erweitert worden, jetzt sind eine auch Wechselausstellungen möglich. Gegenüber der Bibliothek war bereits am Nachmittag der neue Anna-Seghers-Pfad eingeweiht worden. "Anna Seghers ist so aktuell wie eh und je", betonte die Generaldirektorin − und verweist auch auf Christian Petzolds Verfilmung des Seghers-Romans "Transit", der jüngst im Kino angelaufen ist. Das bekräftige im Anschluss auch Sonja Vandenrath, Leiterin des Fachbereichs Literatur im Frankfurter Kulturamt: "Anna Seghers ist zur Zeit allgegenwärtig". Im "Siebten Kreuz" gehe es nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Mitmenschlichkeit und Hoffnung. Die Menschen, die der Protagonist Georg Heisler auf seiner Flucht um Hilfe bittet, müssten sich zu ihm positionieren. Diese Punkte seien angesichts der Angriffe auf Demokratie und Zivilgesellschaft so aktuell wie einst. Wer könnte ein aufrechter Helfer sein? Diese Frage treibt Georg um, davon hängt sein Leben ab.

Dank an Klaus Schöffling

Die neue Vorsitzende des Vereins "Frankfurt liest ein Buch", Sabine Baumann, lobte die Organisation des Events durch Lothar Ruske und sprach ihrem Vorgänger einen großen Dank aus: "Klaus Schöffling hat Stadt und Region mit Literatur gerockt". Seit der Schöffling-Verleger das Event vor neun Jahren aus der Taufe gehoben habe, sie der "Funke auf uns alle übergesprungen", so Baumann − mittlerweile zähle man über 100.000 Besucher. Zudem fördere das Festival durch die schönen Buchausgaben den unabhängigen Buchhandel vor Ort. Und: Das diesjährige Buch sei "ein Plädoyer für Mut und Zivilcourage".

Schließlich stellte Constanze Neumann, Verlagsleitung Literatur bei Aufbau, die Druck- und Erfolgsgeschichte des Buchs vor. Dieses biete einen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft der Jahre. Autorin Anna Seghers kam dabei in einer Tonaufnahme selbst zu Wort: Darin schildert sie den Verlust von Manuskript-Versionen, von denen am Ende nur eine einen Verleger erreichen sollte.

Begleitet wurden anschließend die acht Vorlesepassagen von eingeblendeten Original-Illustrationen William Sharps aus der Comic-Version von 1942. Erstmals ist jetzt eine deutschsprachige Ausgabe im Buchhandel zu haben.

Emotionaler Schlussakkord

Der Höhepunkt des Abends war jedoch der emotionale Auftritt von Pierre Radvanyi, des bald (29. April) 92-jährigen Sohnes von Anna Seghers. Dank Unterstützung durch das Institut français und trotz der Streiks bei Bahn und Fluglinien war er mit seiner Frau aus Paris angereist. Radvanyi, der 1945 mit einem Stipendium nach Frankreich zurückgekehrt war und seither in Paris lebt, schilderte zwei Erinnerungen an seine Mutter: Einmal an die Flucht im Juni 1940 aus Paris vor der vorrückenden Wehrmacht, bei der sie die Geistesgegenwart der Mutter gerettet hatte, und ein Waldspaziergang 1938 auf dem Anna Seghers über einen Satz im "Siebten Kreuz" grübelte. Seine Mutter sei immer auf der Suche nach Sätzen gewesen, "die eine gewisse Musik bringen", beschrieb er ihre Arbeitsweise.

Über Autorin und Buch

Anna Seghers, als Netty Reiling 1900 in Mainz geboren, beschreibt im Roman "Das siebte Kreuz" die Flucht von sieben Gefangenen aus dem fiktiven KZ Westhofen − ein Schlag ins Gesicht ihrer Unterdrücker. Im Mittelpunkt des Buchs stehen die Fluchterfahrungen des Kommunisten Georg Heisler. Der Roman erschien 1942 in einer englischen Ausgabe in den USA und auf Deutsch im mexikanischen Exilverlag El Libro Libre; 1946 dann erstmals beim Aufbau Verlag. Die Autorin hatte 1925 den ungarischen Soziolgen László Radványi geheiratet (der sich später Johann Lorenz Schmidt nannte). Ihr Exil nach Hitlers Machtergreifung führte sie in die Schweiz, Frankreich und Mexiko. 1947 kehrte Seghers nach Deutschland zurück, drei Jahre später zog sie nach Ost-Berlin. Dort starb sie 1983.

Bibliografische Angaben

  • Anna Seghers: "Das siebte Kreuz", Aufbau, 448 S., 20 Euro, ISBN 978-3-351-03603-4
  • Anna Seghers: "Das siebte Kreuz". Die illustrierte Fassung von 1942. Mit Original-Illustrationen von William Sharp, Aufbau, 92 S., 18 Euro, ISBN 978-3-351-03604-1

Programm des Lesefestivals

"Frankfurt liest ein Buch" lädt vom 16- bis 29. April zu über 120 Veranstaltungen in Frankfurt und der Region ein – erstmals sind auch Mainz und Worms dabei, in denen Teile der Handlung vom "Siebten Kreuz" spielen.

Das komplette Programm finden Sie hier.

Pierre Radvanyi ist für drei Tage als Ehrengast des Lesefests in Frankfurt. Bei diesen Veranstaltungen wird er noch als Gast oder Redner anwesend sein:

  • Dienstag, 17. April, 19 Uhr:  Ausstellungseröffnung "… so kann ich jetzt gar nichts sagen, was aus meinem Roman wird" - mit Fotos von Gisèle Freund über Anna Seghers. Ort: "Fenster zur Stadt" im Restaurant Margarete, Braubachstraße 18-22, Frankfurt am Main.
  • Dienstag, 17. April, 20.30 Uhr: Soiree in der Oper Frankfurt. "Wir ahnten (...) Wir fühlten (...)".  Ort: Oper Frankfurt, Willy-Brandt-Platz. 
  • Mittwoch, 18. April 20.30 Uhr: "Die zwei siebten Kreuze". Anna Seghers' Roman und wie daraus eine Bildergeschichte wurde. Ort: Buchhandlung Hugendubel, Steinweg 12, Frankfurt am Main.